Warum weiblicher Nachwuchs wenig Interesse an der Informatik hat und wie Arbeitsmarktexperten und die wenigen Fachfrauen das ändern wollen.

Reisen buchen, Einkaufen, mit Freunden kommunizieren - Informationstechnologie bestimmt in vielen Bereichen das tägliche Leben. "Irgendwann fing es an mich zu stören, dass andere die Programme schreiben und damit einen Teil meiner Welt gestalten", sagt Irina Balko. Abfinden wollte sich die 28-jährige Betriebswirtin aus Hamburg nicht damit und büffelte neben dem BWL-Studium die Programmiersprache JavaScript, später Ruby und Python. Künftig möchte sie als Produktmanagerin Webseiten und Applikationen gestalten.

Mit solchen Zielen gehört sie beim weiblichen Geschlecht zu einer Minderheit. Laut Auswertungen des IT-Verbands Bitkom gab es 2011 auf dem deutschen Arbeitsmarkt unter den 866 000 IT-Fachkräften gerade mal 128 000 Frauen - das macht einen Anteil von weniger als 15 Prozent. Bei den Uni-Absolventinnen im Fach Informatik und bei den weiblichen Azubis liegt die Quote noch niedriger .

In Zeiten, in denen von allen Seiten der drohende Fachkräftemangel beklagt wird, kann sich die Wirtschaft diese Abstinenz kaum leisten. "Unsere jährliche Arbeitsmarktumfrage weist bereits seit gut fünf Jahren einen Mangel an qualifizierten IT-Kräften aus", sagt Stephan Pfisterer, Personal- und Arbeitsmarktexperte beim Bitkom und urteilt: "Ein entscheidendes Hemmnis für das Wachstum der Unternehmen." Schon deshalb geht es in Zukunft ohne die Frauen nicht.

Doch die lockt das Arbeitsfeld rund um Bits und Bytes wenig. "Das Image, transportiert von Medien und Spielfilmen, schreckt viele ab", sagt Susanne Albers, Professorin am Institut für Informatik der Humboldt-Universität Berlin. Das Bild vom Nerd, allein im dunklen Keller vor dem Rechner, sei weit verbreitet - das Gegenstück zu einem kommunikativen Beruf, der Frauen meist anspreche. "Dabei haben solche Vorstellungen mit der Realität wenig zu tun, einsame Kämpfer werden nicht gesucht ", sagt Albers.

In der Informatik arbeite man oft in Teams oder Projekten. Gefragt sei Kreativität beim Lösen von Problemen, logisches Denken und Lust am Tüfteln. "Das Bild vom Informatikstudium wird falsch kommuniziert", sagt Pfisterer. Um mehr Frauen zu gewinnen, müsse man statt den technischen den gesellschaftswissenschaftlichen Aspekt hervorheben. "Nichts verändert unsere Gesellschaft doch so sehr wie die IT."

Längst versucht man an vielen Stellen gegenzusteuern. Am Informatiklehrstuhl der Humboldt-Uni Berlin etwa gibt es eine Extra-Beratungsstunde für Schülerinnen, um diese für das Fach zu gewinnen. Die Uni Bremen veranstaltet jährlich das Sommerstudium InformaticaFeminale nur für Frauen. "Frauen unter sich sind mutiger", ist die Erfahrung von Maya Schulte, Mitarbeiterin im Kompetenzzentrum Frauen in Naturwissenschaften und Technik an der Uni Bremen und verantwortlich für die InformaticaFeminale. Hier seien die Frauen gezwungen, selbst aktiv zu werden, was allein unter Männern keine Selbstverständlichkeit zu sein scheint. Schulte hört oft Aussagen wie, "hier komme ich endlich zum Zug, sonst kümmere ich mich eher um die Dokumentation, während die Herren den praktischen Teil übernehmen".

Erfolgserlebnisse sollen auch Programmier-Workshops speziell für Mädchen vermitteln wie die Veranstaltung Rails Girls. Gestartet in Finnland, hat diese Idee sich über ehrenamtliche Initiatoren weltweit ausgebreitet. In einem zweitägigen Workshop sind Frauen unter sich, wenn sie unterstützt von Lehrern in die Grundzüge der Programmiersprache Ruby einsteigen.

Angeschoben von Irina Balko, fand der Workshop vor wenigen Tagen auch das erste Mal in Hamburg statt. "Ein voller Erfolg, die 36 Plätze waren in kürzester Zeit ausgebucht", sagt sie. Und die Teilnehmerinnen waren begeistert, wie schnell sie selbst eine Web-Applikation programmieren konnten. "Solche Erlebnisse nehmen die Scheu vor der Informatik", resümiert Balko.

Auch die Unternehmen bemühen sich verstärkt um IT-Frauen. "Dezidierte Programme zur Gewinnung weiblicher Fach- und Führungskräfte sind jedoch noch die Ausnahme", sagt Pfisterer. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie hingegen sei inzwischen vielerorts ein Thema. Und beim Bewerbermarketing werden verstärkt weibliche Rollenmodelle eingesetzt, um Frauen anzusprechen. "Einige Firmen denken auch darüber nach, ob man die klassischen Assessment-Center verändern soll, die eher am männlichen Verhalten ausgerichtet sind", sagt Pfisterer. Dabei gelange man dann schnell zur großen Frage, wie modernes Management künftig überhaupt aussehen soll.