Leicht wird Geisteswissenschaftlern der Berufseinstieg nicht gemacht, aber wenn sie erst mal Fuß gefasst haben, gelangen sie bis ins Management.

Ob Amerikanistik, Ethnologie, Germanistik, Orientalistik, Geschichte oder Philosophie - jeder, der Geisteswissenschaften studiert, kennt die Situation: Sobald das gewählte Studienfach erwähnt wird, ist folgende Frage sicher: "Und was willst du später einmal beruflich mit dem Abschluss machen?"

Die Frage ist nicht unberechtigt, da Geisteswissenschaftler im Gegensatz zu Lehramtskandidaten, Medizin- oder Jurastudenten mit ihrem Studium keine beruflich ausgerichtete Ausbildung erhalten. Einen passenden Beruf müssen sie sich selbst suchen. "Daher ist es für Studierende der Geisteswissenschaften wichtiger als für die meisten anderen, dass sie sich während ihrer Zeit an der Hochschule beruflich orientieren, sich Zusatzqualifikationen aneignen und praktische Erfahrung sammeln", sagt Kolja Briedes, Projektleiter für Absolventenstudien beim Hochschul-Informations-System (HIS).

Die Sprach-, Politik- und Kulturexperten zeichnet der Blick fürs Ganze aus

Ein Geisteswissenschaftler, der es bis in die Geschäftsleitung geschafft hat, ist Ulf Bauer. Der Direktor für Politik und Unternehmenskommunikation von British American Tobacco (BAT) hat Staats- und Sozialwissenschaften an der Universität der Bundeswehr in München studiert. Er war Pressesprecher im Bundespräsidialamt und Kommunikationsverantwortlicher bei Deutsche Post World Net.

Die letzten vier Jahre vor seinem Wechsel zu BAT arbeitete er als Senior Expert Corporate Communications direkt für Vorstandschef Klaus Zumwinkel. "Geisteswissenschaftler zeichnen sich vor allem durch ihren Blick auf das große Ganze aus", sagt Bauer. "Zudem bringen sie das nötige Verständnis für gesellschaftliche Prozesse und Veränderungen mit." Unter den Management-Trainees, die jedes Jahr bei BAT anfangen, sind meistens auch Geisteswissenschaftler. Sie kommen vor allem im Bereich Corporate Affairs zum Einsatz. Auch der Leiter der Unternehmenskommunikation, Dr. Ralf Leinweber, hat Politikwissenschaften studiert.

Gefragt seien Geisteswissenschaftler heute in vielen verschiedenen Bereichen und Branchen, sagt Kolja Briedes vom HIS. Eingestellt würden sie vor allem aufgrund ihrer kommunikativen, sozialen und interkulturellen Kompetenz. "Größere Unternehmen haben gemerkt, dass Geisteswissenschaftler ganz nützlich sein können", sagt Personalberater Claus Peter Müller-Thurau. "Selbst Banken und Versicherungen." Eins zu zehn sei das Verhältnis, in dem Geisteswissenschaftler von Großunternehmen eingestellt würden. Die Suche nach dem ersten Job gestaltet sich für Geisteswissenschaftler dennoch vergleichsweise schwierig.

"Die Berufseinstiegsphase dauert oftmals bis zu zwei Jahre", sagt Briedes. "Viele Absolventen halten sich auch mit Werks- oder Honorarverträgen über Wasser. Doch ist der feste Einstieg erst einmal geschafft, wird das Studienfach häufig zweitrangig." Darüber hinaus stellt er fest, dass eine steile Karriere oder eine sichere Berufsposition zumeist nicht zu den Wunschträumen gehören, die Studienanfänger der Geisteswissenschaften zur Wahl ihres Fachs bewegen. Ausschlaggebend sei außer dem inhaltlichen Interesse und dem Motiv, den eigenen Neigungen nachzugehen, vor allem die Möglichkeit zur persönlichen Entfaltung.

Auch Verdienstmöglichkeiten stehen bei der Wahl des Studienfachs wohl eher nicht im Vordergrund. Denn Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaftler haben im Durchschnitt ein geringeres Einkommen als andere Akademiker. Während die Hälfte der in Vollzeit erwerbstätigen Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaftler weniger als 2300 Euro pro Monat netto verdient, liegt der entsprechende Wert bei Akademikern anderer Fachrichtungen bei 2600 Euro. Das belegt eine vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) veröffentlichte Studie.

Traditionelle Einsatzmöglichkeiten für Geisteswissenschaftler finden sich vor allem in Publizistik, Kunst, in Lehre und Bildung sowie in Forschung und Wissenschaft. Ebenso sind sie im Kulturmanagement, in der öffentlichen Verwaltung, in Werbung, PR und Marketing sowie in anderen Dienstleistungsberufen zu Hause.

Man kann jedem Geisteswissenschaftler einen Crashkurs BWL verpassen

Und nicht zuletzt üben Geisteswissenschaftler auch kaufmännische Tätigkeiten aus. "Natürlich gibt es Grenzen", sagt Karriereexperte Müller-Thurau. "Wenn ich einen Controller brauche, nehme ich keinen Historiker." Ansonsten gelte: "Entscheidend ist die Persönlichkeit. Man kann jedem Geisteswissenschaftler einen Crashkurs in Wirtschaftswissen verpassen."

Durch den Wandel der Medienlandschaft sind weitere Berufsfelder entstanden. Um sämtliche Belange des Internets kümmert sich bei Olympus beispielsweise Sabine Prinz. Sie hat in Heidelberg Romanistik, Germanistik und Politik studiert. Danach war sie zunächst in der Werbung sowie in einer Hamburger PR-Agentur tätig. Schließlich wechselte sie zu Olympus, wo sie erst in der Marketingkommunikation im Medizin-Bereich und anschließend im internationalen Produktmanagement arbeitete.

"Als Geisteswissenschaftlerin gehöre ich sicherlich zu den Exoten in unserem Unternehmen und auch in der Internet-Branche", gibt Sabine Prinz zu. "Doch in global agierenden Unternehmen werden heute auch Flexibilität und multikulturelle Bildung verlangt", sagt sie. "Geisteswissenschaftler haben sich in ihrem Studium die Schlüsselqualifikation erworben, exakt zu formulieren und selbstständig Fachkenntnisse zu erarbeiten. Das passt zu der sich ständig verändernden Internet-Welt, für die es kein Lehrbuch gibt."

Video: BWL-Kenntnisse erwünscht

Quelle: Stiftung Warentest