Unzufrieden mit dem Job: radikaler Wechsel oder lieber sanfte Korrekturen? Wer sich verändern will, sollte wissen, wie sein Ziel aussieht

"Wenn schon, denn schon", dachten sich Mark und Corinna Olof. Im Juli vergangenen Jahres kündigten beide ihre Jobs in Wien - sie war Lehrerin, er Exportleiter bei Milford Ostfriesische Tee Gesellschaft -, zogen nach Hamburg und eröffneten ein halbes Jahr später ihre Feinkostbar "Die Theke". Der Sprung in die Selbstständigkeit war für den gebürtigen Hamburger Mark Olof die Erfüllung eines lang gehegten Wunsches. "Ein kleines, feines Bistro mit ausgesuchten Waren, das war schon immer mein Traum", sagt der 43-Jährige. Dass sich die gesuchten Räume dann in der HafenCity fanden, passt für die beiden Neustarter ins Bild. "Hier sind wir Teil von etwas ganz Neuem."

Fast etwas zu neu. Noch sind nicht alle Baustellen in der HafenCity verschwunden. Das macht es nicht leichter, Gäste an die Tische vor dem kleinen Bistro zu locken. Auch ein paar mehr Frühstücksgäste sonnabendmorgens wünscht sich Olof. Dafür laufe das Mittagsgeschäft aber bereits sehr gut.

Für den Neustart braucht man Ehrgeiz, Fachwissen und viel Zeit

Der Sprung ins Ungewisse kostet Nerven, Schlaf und Geld. Wird die Geschäftsidee ankommen? Reicht das Startkapital? Nicht jeder ist für die Selbstständigkeit geboren, sagt Sabine Pilgrim, Referentin der Handelskammer Hamburg im Bereich Starthilfe & Unternehmensförderung. "Ein Neustart erfordert Mut zum Risiko, großes Engagement, intensive Vorbereitung und Fachwissen sowie - nicht zu vergessen - Unterstützung aus dem Familienkreis." Schließlich erlebe der das Abenteuer meist aus nächster Nähe mit. Dafür aber biete eine Selbstständigkeit vielfältige Entfaltungsmöglichkeiten "und die eigenen Fähigkeiten können oft optimal eingesetzt werden", sagt Pilgrim. "Man schafft selbst die entsprechenden Rahmenbedingungen."

Mit seinen Rahmenbedingungen nicht mehr zufrieden war Arne Petersen. Der 48-jährige Diplom-Ingenieur war 20 Jahre lang in leitenden Positionen im Risikomanagement großer Unternehmen beschäftigt. 2010 entschied er sich für den kompletten Neuanfang. Statt mit der Bewertung und Steuerung von Risiken befasst sich Petersen nun mit Steuerung und Kupplung britischer Motorräder. "Mit Oldtimern - Restauration und Verkauf. Die haben eine ganz besondere Ausstrahlung, eine richtige Aura", schwärmt er.

Die Arbeit mit und an den Liebhabermodellen verschafft ihm die Erfüllung, die ihm in seinem Berufsleben zunehmend gefehlt hatte. Im Haus seiner Urgroßeltern, die dort einst einen Kolonialwarenhandel führten, hat er sich Werkstatt und Büroräume eingerichtet. Mittelfristig plant Petersen umzuziehen, Ottensen könnte er sich gut als Standort vorstellen. "Ich starte heute als One-Man-Show, aber mein Ziel ist ein prosperierendes Unternehmen im Premium Segment."

Petersen hat sehr klare Vorstellungen davon, wie aus seiner persönlichen Leidenschaft ein erfolgreiches Geschäft werden soll. "Das ist auch nötig", sagt Jürgen Hesse, Mitbegründer vom Büro für Berufsstrategie in Berlin. Er warnt vor "der Gefahr der illusionären Verkennung". Oft machten sich Wechselwillige zu optimistische Vorstellungen vom Ziel ihrer Wünsche. "Es gibt keinen Traumjob. So wenig, wie es den Traumprinzen oder die Traumprinzessin gibt. Jeder Beruf hat Vor- und Nachteile." Deshalb sollte nach Möglichkeit das neue Metier getestet werden. Der Experte rät, den Urlaub zu nutzen, "um zu hospitieren, zu jobben oder per Praktikum in den angestrebten Bereich zu schnuppern".

Die Gründe für einen Neustart sind vielfältig. Sie reichen von Wunschtraum über Unzufriedenheit bis zu Burnout. Auch die Neuorientierung mit Mitte vierzig sei nicht ungewöhnlich, sagt Psychologin und Beraterin Andrea Danker aus Hamburg. "Das ist ein Alter, in dem viele resümieren: Wo stehe ich, wo will ich hin? Ist es gut, da wo ich bin?" Lautet die Antwort Nein und führt zur Neuorientierung, folgt oft eine Auseinandersetzung mit dem privaten Umfeld. Und obwohl Danker ausdrücklich dazu rät, Pläne und Vorstellungen im Freundes- und Familienkreis zu diskutieren, warnt sie Veränderungswillige auch: "Nicht jede Reaktion wird positiv ausfallen." Wer nun jedoch Rückgrat beweise, erlebe oft schon das erste Erfolgserlebnis, meint die Expertin. "Man wächst daran, Widerstände zu überwinden, etwa zu sagen, ich höre eure Sorgen und Bedenken, gehe aber meinen Weg und hoffe auf eure Unterstützung."

Manchmal reicht ein Wechsel der Abteilung, um sich besser zu fühlen

Nicht immer aber sei eine radikale Neuorientierung nötig, weiß Danker. Zunächst müssten die Ursachen für die Unzufriedenheit identifiziert werden, sagt sie. In manchen Fällen reiche dann schon der Wechsel in eine andere Abteilung oder in ein neues Unternehmen - oder eine Neuorientierung innerhalb des eigenen Fachgebiets.

Martina Raßbach etwa hat von Architektin auf Architekturführerin umgesattelt. "Ich habe schon immer gern Architektur vermittelt, den Menschen die verschiedenen Konzepte erläutert", sagt die 46-Jährige. Während ihrer Erziehungszeit habe sie für sich geklärt: Was will ich? Was will ich nicht? "Herausgekommen ist eine Liste, die Posten umfasst, wie: Ich möchte konzeptionell arbeiten, eigenständig und möglichst viel draußen sein." Nach verschiedenen anderen Projekten ging sie 2009 mit "citywalksHAMBURG" online. "Das war der Anfang: meine Website. Dazu Flyer und viel, viel Arbeit", sagt Raßbach. Die aber habe sich gelohnt, "Jetzt macht mir meine Arbeit richtig viel Spaß." Aber kann sie auch davon leben? "Noch nicht ganz. Aber es geht eindeutig in die richtige Richtung."