Das Kapital einer Firma sind qualifizierte Mitarbeiter. Doch nicht jedem Arbeitgeber scheint das bewusst zu sein

Hamburg. Fachkräftemangel, düstere demografische Zukunft, Leistungsabfall bei Bewerbern. Darüber wird viel gejammert. Was hilft, ist ein systematisches, zielgerichtetes Talentmanagement - zum einen, um passende Bewerber zu finden und zum anderen, um gute Mitarbeiter zu binden. Denn was bringt die klügste Strategie oder das beste Produkt, wenn die Mitarbeiter des Unternehmens trübe Tassen sind?

Firmen, die sich heute über die Zukunft Gedanken machen und wissen, was das eigene Personal wert ist, werden morgen den Wettbewerbsvorteil haben. "Um uns im Wettbewerb zu behaupten, brauchen wir primär die tief greifenden Erfahrungen und die Ideen unserer Mitarbeiter", sagt Michael Schmidt, Mitglied des Vorstands BP Europa SE und Arbeitsdirektor. Talentmanagement helfe, die Mitarbeiter für die steigenden Anforderungen zu qualifizieren und ihre Arbeitsplatzzufriedenheit sicherzustellen.

Qualifizierte Mitarbeiter erwarten heute von ihrer Stelle mehr als einen sicheren Job. "Immer häufiger nennen sie als Kriterien für berufliche Zufriedenheit Abwechslung durch vielfältige Tätigkeiten, Freiraum zur Verwirklichung eigener Ideen, Weiterbildungsmöglichkeiten und mehr zeitliche Flexibilität", sagt Ina Wietheger, Partnerin bei der Strategieberatung Roland Berger. Es gehe nicht nur darum, Engagement und Kreativität der Fachkräfte zu erhalten und zu steigern, sondern auch darum, Produktivitätsverluste zu verhindern, wenn Mitarbeiter sich nicht mehr mit ihrer Aufgabe identifizieren.

"In Zukunft müssen wir stärker auf die individuellen Präferenzen unserer Mitarbeiter eingehen", mahnt Armin Trost. Er ist Professor für Human Resource Management an der Hochschule Furtwangen. Die Unternehmen sind gefordert, ihr derzeitiges Talentmanagement zu überprüfen und eine langfristige Strategie zu entwickeln. "Viele Unternehmen diskutieren den Fachkräftemangel, aber nur wenige tun konsequent etwas dagegen. Oder sie konzentrieren sich auf Einzelmaßnahmen", weiß Beraterin Wietheger.

Drei Schlüsselfragen entscheiden dabei über Erfolg und Misserfolg: Welche Talente braucht die Firma in zehn Jahren? Wo findet sie diese Talente? Wie werden sie langfristig gebunden?

Ein Fehler ist, zu regional zu denken. So rekrutieren etwa viele Konzerne intern aus der Unternehmenszentrale, das Potenzial ihrer internationalen Niederlassungen bleibt oft unberücksichtigt. "Ein wichtiges Instrument, um Transparenz zu schaffen, ist ein internationaler Talentpool", erklärt Wietheger. In dem Pool sollten nach unternehmensweit einheitlichen Kriterien sämtliche Mitarbeiter erfasst werden, die für Schlüsselpositionen infrage kommen.

"Talentmanagement fängt bei unseren Auszubildenden an und reicht bis hin zu den obersten Führungskräften. Wir setzen unsere global eingeführten Instrumente des Talentmanagements durchgängig ein", sagt BP-Manager Schmidt. Zu diesen Instrumenten zählen außer Entwicklungs-Assessment-Centern regelmäßige Gespräche, um Informationen über die Talentstruktur im Unternehmen zu erhalten. "Danach richten wir auch im Hinblick auf den Fachkräftemangel, den wir besonders bei technischen Rollen merken, gezielte Weiterentwicklungsprogramme sowohl im technischen als auch kaufmännischen Bereich aus", erzählt Schmidt.

Ob BP, Eon oder Henkel - die Möglichkeiten für Konzerne, das Potenzial der Mitarbeiter zu fördern, ist natürlich größer als bei Mittelständlern. Das Angebot reicht von der finanziellen Unterstützung einer gezielten Weiterbildung wie Meister-, Doktortitel oder MBA bis zur Freistellung vom Tagesgeschäft, in der sich ein Mitarbeiter mit einem Unternehmensthema befasst und es eigenverantwortlich vorantreibt. Auszeiten sorgen für neue Motivation und Kreativität im Job. Im Rahmen eines Sabbaticals können sich Mitarbeiter zum Beispiel eigenen Vorhaben wie etwa Reisen oder sozialen Einsätzen widmen.

"Talentmanagement muss Chefsache sein", postuliert Michael Diekmann, Vorstandsvorsitzender der Allianz. "Uns steht im Top-Management ein Generationswechsel bevor", sagt er. Um den organisatorischen Wandel zu meistern, hat die Allianz ein Talentmanagement-System eingeführt, in dem die Schlüsselqualifikationen für die Top-Positionen definiert und 3000 High Potentials bis zur Abteilungsleiterebene erfasst sind.

Geprüft werden ihre fachlichen Qualifikationen und die soziale Kompetenz - und wenn nötig, erhält die eine oder andere Führungskraft einen Fortbildungskurs oder ein Coaching. Alljährlich wird der Fortschritt der Kandidaten begutachtet. Natürlich auch von Diekmann. Schließlich geht es irgendwann um seinen Nachfolger.