Kollegen und Vorgesetzte können nerven, mobben, krank machen. Schmeißt man den Job hin? Sucht man das Gespräch?

Die Probleme am Arbeitsplatz von Marlies Weber (Name geändert) traten plötzlich auf. Fast zehn Jahre lang hatte die Projektleiterin friedlich und freundlich Tür an Tür mit einer Buchhalterin gearbeitet, da kippte die Stimmung zwischen den beiden Kolleginnen. Auf Webers Schreibtisch landeten Zettel, die Seitenhiebe auf ihr angeblich schlampiges Verhalten enthielten.

"Bitte in Zukunft - und nicht wie im letzten Monat häufiger geschehen - die Bewirtungsbelege korrekt ausfüllen", musste sie zum Beispiel lesen. Eines Morgens entdeckte Marlies Weber eine E-Mail der Buchhalterin, die nicht nur an sie, sondern an alle 70 Mitarbeiter des Unternehmens gerichtet war. In dem mehrere DIN-A4-Seiten langen Schreiben wurden Webers angebliche Fehler und Versäumnisse über ein halbes Jahr dokumentiert. Sie wurde bezichtigt, sich arrogant und herabsetzend ihrer Kollegin gegenüber zu verhalten und "eine absolut unerträgliche Arbeitsatmosphäre" zu schaffen.

Der Konflikt endete erst, als sich die Kollegin ein neues Opfer suchte

"Ich habe mich von diesem Zeitpunkt an absolut unwohl an meinem Arbeitsplatz gefühlt und hatte keine Ahnung, wie ich auf diese unberechtigten Vorwürfe reagieren sollte", sagt Marlies Weber heute. Mehrere Monate musste sie die Situation ertragen. "Die Konflikte beruhigten sich erst, als die Kollegin einen Kleinkrieg mit einer Sekretärin anfing." Davor habe sie ernsthaft erwogen, zu kündigen.

Es gibt vieles, was einem den Weg zur Arbeit vermiesen kann. Nie versiegende Quelle von Frustration sind einer Umfrage von Regus, einem Anbieter von Bürolösungen, zufolge die Kollegen. Etwa 27 Prozent der Befragten würden wegen "unfreundlicher Kollegen" kündigen und jeder Sechste findet gar, dass "inkompetente Kollegen" Anlass genug sind, sich nach einer neuen Arbeit umzusehen. Doch so reagieren Beschäftigte meist nur in der Theorie.

Die Praxis sieht dagegen in der Regel anders aus. Da wird eher im Stillen gelitten und gemeckert. Fehden mit Kollegen und Vorgesetzten ziehen sich mitunter ewig hin. "Heute traut sich kaum jemand, zu kündigen. Die Menschen bemühen sich, es so lange wie möglich in ihrem Job auszuhalten", sagt Maria Richter, Diplom-Psychologin und Coach aus Berlin. "Dabei kann es sinnvoll sein, zu gehen, wenn die Situation unerträglich geworden ist."

"Love it, change it or leave it - dieses Prinzip funktioniert eigentlich immer", sagt Dr. Barbara Schneider, Karrierecoach aus Hamburg. Das heißt: "Bevor man seinen Job aufgibt, sollte man versuchen, die Situation zu verändern." Sich auch mal selbst zu analysieren, hält Schneider für einen wichtigen Ansatz: "Fragen Sie sich: Was ist es, das mir so zu schaffen macht? Gibt es einen Auslöser, auf den ich reagiere? Beobachten Sie sich eine Zeit lang selbst. So erkennen Sie typische Reaktionsmuster."

Doch die Kollegen sind nur ein potenzieller Unruheherd. Die Beziehung zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern bietet der Regus-Umfrage zufolge am meisten Zündstoff. 48 Prozent der Teilnehmer gaben an, nicht bei einer Firma bleiben zu wollen, in der die Kommunikation mit dem Management und Vorgesetzten schwierig ist.

Anklagen helfen nicht. Überlegen Sie, ob Sie eine Mitschuld am Streit haben

Aber ob ungerechter Chef oder nervender Kollege: Das Gespräch sollte man nicht an einem Tag suchen, an dem man sich wieder einmal über diese Person aufgeregt hat. "Und wenn Sie ihn dann ansprechen, beherzigen Sie die Regeln der 'gewaltfreien Kommunikation'", sagt Beraterin Barbara Schneider. "Das heißt: Kommen Sie nicht mit Anklagen, sondern sagen Sie erst einmal, was bei Ihnen selbst los ist und was sein Verhalten bei Ihnen auslöst", erklärt sie. "Dann fragen Sie: Und wie sehen Sie das?" Hat solche Selbsthilfe nicht gefruchtet, dann hilft mitunter auch der Gang zum Betriebsrat.

Es besteht juristisch kein Recht auf Versetzung in ein anderes Team

"Arbeitnehmer haben ein Beschwerderecht. Sie dürfen sich über Kollegen und Vorgesetzte, die sich ihnen gegenüber herabsetzend verhalten, beschweren", erklärt Martin Lützeler, Fachanwalt für Arbeitsrecht von der Kanzlei CMS Hasche und Sigle in Köln. "Ein Anrecht auf eine Versetzung in eine andere Abteilung oder darauf, dass demjenigen, der andere schikaniert, gekündigt wird, besteht allerdings nicht."

Ohnehin sei der Nachweis, dass sich Kollegen oder Chefs tatsächlich "pflichtverletzend" verhalten, schwierig, sagt Lützeler. "Das müssen gröbere Entgleisungen sein. Alleine die Behauptung, jemand würde Lügen über einen verbreiten, ist sehr schwierig zu belegen und hält vor Gericht kaum stand."

In der Praxis müssten Arbeitnehmer schon konkrete Vorwürfe erheben, wenn sie recht bekommen wollen, sagt Lützeler. Wenn man Pech hat und keine Chance mehr auf Besserung besteht, bleibt also tatsächlich nur die Kündigung. Das bestätigt Karrierecoach Barbara Schneider. Eine Kündigung sollte allerdings nicht gerade dann ausgesprochen werden, wenn man wütend und verletzt ist. "Mindestens eine Nacht sollte man darüber geschlafen haben."

Übrigens kann allein schon die Tatsache, dass man sich gegen Ungerechtigkeiten aufgelehnt hat, Besserung bringen: "Allein dadurch, dass man es versucht hat, ist man selbst ein bisschen anders geworden", sagt Schneider. "Dadurch wird einem klar: Ich habe etwas Besseres verdient." Das bringt mehr Selbstbewusstsein und hilft darum auch bei der Jobsuche, so man sich denn tatsächlich fürs Kündigen entscheidet. Schneider: "Man bekommt eine positivere Ausstrahlung, weil man sich nicht mehr als Opfer sieht."