Nobelpreis für Wirtschaft 2010: Das Diamond-Mortensen-Pissarides-Modell erklärt Arbeitslosigkeit

Warum kann es gleichzeitig hohe Arbeitslosigkeit und freie Stellen geben? Wann hört ein Arbeitsloser auf, einen Job zu suchen? Wenn Arbeitsmarktforscher auf diese Fragen eine Antwort suchen, stützen sie sich dabei auf die Erkenntnisse der diesjährigen Nobelpreisträger für Wirtschaft: Peter A. Diamond, 70, Dale Mortensen, 71, und Christopher A. Pissarides, 62.

Weite Teile der modernen Arbeitsmarktpolitik basieren auf ihren Annahmen. Während die klassische Theorie von Angebot und Nachfrage davon ausging, dass sich alles findet, bezogen die drei frischgebackenen Nobelpreisträger ganz neue Faktoren mit ein und revolutionierten so das Verständnis vom Suchen und Finden in großen Märkten.

Vor Diamond, Mortensen und Pissarides gab es nur eine statische Sicht, wonach es keine unfreiwillige Arbeitslosigkeit geben kann. "Die These lautete also: Alles findet sich, jeder kann einen Job bekommen, jeder hat alle Informationen, die er braucht. Gibt es mehr Arbeitslose, sinken die Löhne, daher stellen die Arbeitgeber wieder ein", erklärt Ronald Bachmann vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen.

Diamond, emeritierter Professor am Massachusetts Institute for Technology (MIT), erkannte Anfang der 70er-Jahre, dass es Märkte gibt, die anders funktionieren: sogenannte Suchmärkte, auf denen Angebot und Nachfrage nicht jederzeit zueinanderfinden.

Das Modell zeigt auf, wie es zu unfreiwilliger Arbeitslosigkeit kommt

Für den Arbeitsmarkt heißt das: Wer einen neuen Job sucht, benötigt, Zeit, Geld und Energie, um sich über freie und attraktive Stellen zu informieren. Und ein Chef wird trotz vieler Nachfragen die offene Stelle erst besetzen, wenn er mehrere Bewerber verglichen und einen geeigneten Kandidaten gefunden hat. Aus diesem Grundgedanken entwickelten Diamond, Mortensen und Pissarides das Such- und Matching-Modell. Damit lässt sich berechnen, wann Marktteilnehmer mit der Suche aufhören oder ob sie weiter nach einem Partner Ausschau halten, der besser "passt". So kann man theoretisch erklären, warum es in einer Volkswirtschaft zu Arbeitslosigkeit kommt, selbst wenn viele Stellen unbesetzt sind.

"Das ist wie in der Disco: Da stehen auf einer Seite Männlein und auf der anderen Seite Weiblein herum, und nach zwei Stunden tun sich ein paar zusammen. Das Modell berechnet vorher, wie viele Paare entstehen", erklärt der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Dennis Snower. Die Nobelpreisträger machen deutlich, von welchen Faktoren die Entscheidungsfindung im Stellenmarkt abhängt: von Mindestlohnbestimmungen, aktiver Arbeitsvermittlung oder der Arbeitslosenversicherung.

"Ihre Theorie hat unmittelbare Konsequenzen für die aktuelle Arbeitsmarktpolitik, für Mindestlöhne, Kündigungsschutz und Hartz IV", sagt Joachim Möller, der Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Das Modell erklärt, wie es zu unfreiwilliger Arbeitslosigkeit kommt. Und macht klar, welche Anreize im Niedriglohnsektor nötig sind.

6 bis 7 Euro Stundenlohn machen Arbeit für Hartz-IV-Empfänger attraktiv

Das IAB hat herausgefunden, zu welchem Mindestlohn Arbeitslose eine Arbeit annehmen würden: Zu einem Stundenlohn von 6 bis 7 Euro. Dieser Betrag oder Anspruchslohn würde sich deutlich von den 4,50 Euro absetzen, die ein vollzeitbeschäftigter Alleinstehender verdienen muss, um über das Hartz-IV-Niveau hinauszukommen - ein echter Anreiz also.

Diamond, Mortensen und Pissarides bestätigen auch den Kurs der Hartz-IV-Reformen der Bundesregierung, mit der die Politik die Arbeitslosigkeit senken will - indem sie gezielte Verhaltensanreize des "Förderns und Forderns" gibt, aber auch die Arbeitsvermittlung stärkt und effizienter macht. In der Sprache der Nobelpreisträger heißt das: Das senkt die Kosten der Suche, die als eine der Stellschrauben für die Entscheidungsfindung gilt.

Selbst die Existenzberechtigung der Arbeitsvermittlung können die Nobelpreisträger belegen. Dort laufen Stellenangebote ein, dort stellen sich die Jobsuchenden vor - also können die Vermittler Informationsdefizite abbauen. "Die Theorie erklärt die Bedeutung der Bundesagentur für Arbeit", sagt der Präsident des Münchner Instituts für Wirtschaftsforschung, Hans-Werner Sinn: "Man macht die Suchkosten zu öffentlichen Kosten."

Das Modell der Nobelpreisträger ist heute in aller Welt anerkannt. Doch im Detail gibt es durchaus Kritik. "Die Vereinfachung im Modell erklärt nicht, woher die Heterogenität im Arbeitsmarkt kommt", sagt Dennis Snower. Falls es zu einem Schock komme wie einen rasant steigenden Ölpreis, steige die Arbeitslosigkeit schneller, als das Modell berechne. Es bleibt also viel zu tun für künftige Nobelpreisträger.