Schreck für Kandidaten: Was, wenn der künftige Chef Sie zum Interview in die nächste Bar führt? Tipps, um locker zu bleiben

Hamburg. Das Bewerbungsgespräch bei der Computerfirma verlief anders, als Jörg Baumann (Name geändert) gedacht hatte. Der Betriebswirt, wie immer bei solchen Anlässen in dunklem Anzug und blütenweißem Hemd, musste zunächst einmal eine gute Stunde auf den Geschäftsführer des mittelständischen Unternehmens warten. "Die Sekretärin war sehr freundlich zu mir, aber insgeheim hatte ich die Befürchtung, dass sie mir schon ein wenig auf den Zahn fühlen wollte", berichtet der 41-Jährige anschließend von seiner Wartezeit.

Als der Chef, der deutlich legerer gekleidet war als der Bewerber, endlich kam, schlug er vor, das Bewerbungsgespräch in die Sushi-Bar auf der gegenüber liegenden Straßenseite zu verlegen. "Obwohl ich rohen Fisch hasse, musste ich natürlich so tun, als fände ich die Idee ganz großartig", sagt Baumann.

Der Chef erzählte von seinen Hobbys und bot dem Kandidaten das Du an

Das Bewerbungsgespräch fand also in der Sushi-Bar statt - und zog sich über anderthalb Stunden hin. Außer über Arbeitsinhalte sprach der Geschäftsführer auch viel über sein Hobby Segelfliegen. Drei Tage später bekam Jörg Baumann einen Anruf seines zukünftigen Chefs, der ihn als neues Teammitglied begrüßte und ihm umgehend das Du anbot.

"In kleinen, inhabergeführten Unternehmen kommt es immer wieder zu Bewerbungssituationen, die nicht nach Schema F ablaufen", sagt Christian Püttjer, Buchautor und Karrierecoach. Gerade in der Werbebranche oder bei Start-up-Unternehmen sei jederzeit damit zu rechnen, dass Vorstellungsgespräche an der Cappuccino-Maschine oder in der Kantine stattfinden. "Die Personalverantwortlichen haben in solchen Situationen den Vorteil, dass sie Bewerberinnen und Bewerber auf einer sehr persönlichen Ebene kennenlernen. So können sie besser entscheiden, ob die Neulinge ins Team und zur Firma passen", sagt Püttjer.

Beim gemeinsamen Essen offenbaren sich viele Facetten des Charakters

Wer gemeinsam mit dem mutmaßlichen Chef in spe in den Brotkorb greift, offenbart dabei in der Regel mehr Facetten seines Charakters als bei einem Standardgespräch mit Abteilungs- und Personalleitern. Wie entschlussfreudig zeigt man sich bei der Wahl der Speisen? Benimmt man sich dem Personal gegenüber höflich? Ist einem der Umgang mit Etikette-Regeln vertraut?

"Egal, wo ein Gespräch abgehalten wird: Entscheidend ist immer, dass man es schafft, eine Beziehung zu seinem Gegenüber aufzubauen", sagt die Kommunikationstrainerin Katja Schmitz, die unter anderem für die Bundesagentur für Arbeit Bewerbungsseminare leitet. Außer den üblichen Gesprächsinhalten wie etwa Berufserfahrung ist in solchen Situationen allerdings stärker als sonst die Fähigkeit und Bereitschaft zum Smalltalk gefragt.

"Wenn der Personaler eine Bemerkung über das Wetter macht, erwartet er keine intelligente oder schlagfertige Antwort, sondern lediglich, dass man auf das Smalltalk-Angebot eingeht und sich ebenfalls zum Wetter äußert", meint Schmitz. "Es ist ein Pluspunkt, wenn man es schafft, in solchen Situationen locker und entspannt zu bleiben. In der Praxis fällt das aber vielen sehr schwer."

Hat das Essen geschmeckt und der Rundgang Spaß gemacht, spürt manch ein Bewerber, wie langsam der Druck von ihm abfällt. Auch in solch einer Situation heißt es, Nerven behalten und sich nicht zu selbstsicher fühlen. Vertraulichkeit ist nach wie vor fehl am Platz. Beispielsweise wenn nach dem Grund für den angestrebten Jobwechsel gefragt wird, darf man auf keinen Fall ein schlechtes Wort über den bisherigen Arbeitgeber verlieren, auch nicht wenn man dazu allen Grund hätte. In einem solchen Fall gilt: niemals in eine, wie Püttjer es nennt, "Ich-pack-dann-mal-aus-Stimmung" geraten und den letzten Arbeitgeber oder ehemalige Kollegen schlechtmachen! Personalverantwortliche suchen stets nach loyalen Mitarbeitern.

Wer mit unvorhergesehenen Ereignissen rechnet, gerät seltener ins Schleudern

Vorstellungsgespräche sind, so ungezwungen sich der künftige Arbeitgeber auch zeigen mag, immer schwierige und belastende Situationen. "Viele Bewerber fühlen sich bei einem Vorstellungstermin, als würden sie zum Schafott geführt. Sie fixieren sich darauf, um jeden Preis gut anzukommen", weiß Bewerbungstrainerin Katja Schmitz. "Jedes unvorhergesehene Ereignis bringt sie ins Schleudern."

Beliebt bei Personalverantwortlichen in kleineren Unternehmen ist es beispielsweise, dem eigentlichen Bewerbungsgespräch einen kleinen Firmen-Rundgang anzuschließen. Der Bewerber bekommt so die Möglichkeit, einen Blick in die einzelnen Abteilungen werfen zu können.

Doch wie verhält man sich bei der Besichtigungstour? Begrüßt man jeden einzelnen Mitarbeiter? "Man sollte sich jedem gegenüber offen zeigen und freundlich grüßen", rät Bewerbungsexperte Christian Püttjer.

"Wenn es die Lage erfordert, beispielsweise, weil man jemandem vorgestellt wird, sollte man nicht nur die Hand schütteln, sondern auch ein paar Worte zur eigenen Person sagen. Wichtig ist auch, dass man den Blickkontakt hält." Püttjers Meinung nach sollten sich Bewerber auf jeden Fall freuen, wenn sie bereits während des Vorstellungsgesprächs die Möglichkeit bekommen, sich mit potenziellen Vorgesetzten zu unterhalten und auch schon mal andere Mitarbeiter kennenzulernen: "Auf diese Weise bekommt man viel tiefere Einblicke in das Unternehmen, als bei einem Vier-Augen-Gespräch in einem Büro. "

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Quelle: hamburg-lernt.de