Peter Krämer übernahm die Reederei der Eltern. Er rieb sich auf bis zum Herzinfarkt. Heute soll sein Vermögen in Entwicklungsländern Gutes tun.

Mattentwiete 1, vierter Stock, Chefzimmer der Reederei Marine Service Gruppe. Beigefarbener Teppich, schwere Sitzmöbel aus dunklem Leder, an den Wänden hängen, goldgerahmt, filigrane Zeichnungen der klassischen Moderne, darunter zwei Frühwerke von Picasso mit Porträts seiner Eltern.

Der Reeder Peter Krämer, 61, telefoniert mit der Verlagsleiterin des 94-jährigen französischen Philosophen Stéphane Hessel. Krämer will den Autor der pazifistischen Streitschrift "Empört Euch" für ein Symposium nach Hamburg locken. Auch mit Altbundeskanzler Helmut Schmidt sei er im Gespräch, sagt er zur Verlagsleiterin. Sie vereinbaren, in Kürze wieder zu telefonieren. Krämer ist sicher: "Es sieht gut aus für das Projekt."

Reeder, Philosoph, Menschenfreund, Kunstliebhaber: Die Liste der Talente und Leidenschaften des hanseatischen Weltmannes ist lang. Krämer ist bekennender Genussmensch, liebt guten Rotwein, gutes Essen und Zigaretten, von denen viel zu oft während des Gesprächs eine zwischen seinen Fingern glimmt. Nebenbei ist er begeisterter Familienmensch. Vor vier Jahren wurde er zum zweiten Mal Vater. Sohn Tommi sei sein Sonnenschein, ein Dickkopf wie er, "der die Welt umarmt".

+++Wir brauchen eine Wir-Gesellschaft+++

Krämer steuert von seinem Schreibtisch aus weit mehr als die Charter und Routen seiner Tankschiffe. Weil ihn die Armut in Entwicklungsländern umtreibt, will er von Hamburg "ein paar Ideen für eine bessere Welt in die Welt tragen". Seit 2005 akquiriert der Initiator und Mäzen des Unicef-Projekts "Schulen für Afrika" mithilfe prominenter Botschafter wie Sabine Christiansen Spenden. Er selbst hat Millionen Euro aus seinem Privatvermögen beigesteuert. "Bildung ist die Grundvoraussetzung für Wachstum in den Entwicklungsländern und ein Menschenrecht." Unterstützt von Freund und Schirmherr Nelson Mandela konnten so bislang 1000 Schulen in elf afrikanischen Ländern errichtet werden. Für die Reichen im eigenen Land fordert Krämer seit Jahren eine höhere Besteuerung der Vermögen. Vor allem will er reichen Erben, "die aus eigener Kraft noch nichts geschaffen haben", ans Geld.

Dass er mit seinen antikapitalistischen Thesen und vehementem Eintreten für eine bessere Welt heftig polarisiert, wundert den "roten Reeder", wie ihn einige Gegner nennen, nicht: "Ich bin seit Schülerzeiten ein zutiefst politischer Mensch, der sich seine eigene Meinung bildet und sie auch vertritt."

Dieses Bewusstsein verdankt der Sohn aus wohlhabendem Hause nicht seinen Eltern - "die waren rechtskonservativ" -, sondern dem von ihm verehrten Lehrer Niels Kempe. Der Pädagoge am Walddörfer-Gymnasium in Volksdorf habe ihn wie kein Mensch zuvor geprägt, sagt Krämer. Kempe hätte seine Schüler gelehrt, "genau hinzuschauen, was passiert, sich aufzulehnen, wenn es gefordert ist, und vor allem sich zu empören".

Damals definierte Krämer Erfolg vor allem als Streben, den Sinn des eigenen Lebens zu finden und daran weiterzuarbeiten. 1968 sah er sich als Aufklärer: Er verfasste Flugblätter gegen den Vietnamkrieg, hielt flammende Reden vor der Schulversammlung. Dabei habe er auch, wie nebenher, seine Schüchternheit und sein Stottern abgelegt. "Das war learning by doing. Ich musste eine wichtige Sache vertreten, das hat mir die Angst genommen."

Seitdem rede er mit großer Leidenschaft. Aus ihm ist ein extrovertierter Mensch geworden. Nur, wer aus sich herausgehe und authentisch sei, könne Menschen begeistern. Es klingt selbstbewusst, nicht überheblich, wenn er sagt: "Ich weiß, dass ich einen Raum ausfülle, wenn ich ihn betrete." Gänsehaut habe er gehabt, als er vergangenes Jahr vor Vertretern der Vereinten Nationen in Südafrika gesprochen und vor 1000 Zuhörern die Hymne "We Shall Overcome" angestimmt hat.

Seine rhetorische Gabe setzt er oft an Schulen ein: Mehr als 400 Schülern der Albert-Schweitzer-Schule hat er vor einiger Zeit sein Afrika-Projekt vorgestellt. "Dabei habe ich auch über meinen Werdegang und meine Ideen von sozialer Gerechtigkeit gesprochen." Am Ende, sagt Krämer, hätte er minutenlang stehenden Beifall bekommen. "Anschließend boten sich über 60 Schüler für das Fundraising an. Das hat mich wirklich umgehauen."

Dass Krämer mit seiner linken Haltung den Familienbetrieb übernehmen würde, war nicht geplant. Nach einem Ausflug in den Journalismus - "ich wäre fast an der Münchner Journalistenschule angenommen worden" - studierte er Soziologie und Politik in Hamburg und ging 1972 zum Jurastudium nach Köln. 1981 schloss er dort mit Auszeichnung ab.

Während Krämer an seiner Dissertation schrieb, starb sein ältester Bruder mit 37 Jahren an Krebs. Der Jurist zögerte keine Sekunde, seine "Pflicht" zu tun, wie er sagt. Er nahm den Platz seines Bruders ein, der dem Vater seit acht Jahren im Geschäft zur Seite gestanden hatte. Das Unternehmen stand damals kurz vor der Insolvenz.

Peter Krämer rettete den Betrieb durch den Verkauf von vier Schiffen und baute es in den Boomjahren zu einer der größten Tankschiffreedereien aus. Sein Einsatz blieb nicht ohne Folgen: Mit 35 Jahren erlitt er einen Herzinfarkt und lag auf der Intensivstation. "Ich war zwei Jahre lang ständig zwischen Jakarta und Taipeh unterwegs, habe in dieser Zeit keinen Urlaub gemacht." Dass in seiner Branche mit harten Bandagen gekämpft wird, setzte ihm ebenfalls zu. Besonders schlimm sei es gewesen, als ihn am 8. Januar 2005 eine koreanische Werft "erpresste": "Die wollten über Nacht drei Millionen Euro mehr für das Schiff. Es blieb mir nichts anderes übrig, als zu zahlen."

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Die Gewinne aus den "guten Jahren" dienen ihm heute nicht nur als Polster für seine karitativen Aktivitäten, sondern vor allem, der "größten Krise der Schifffahrt seit dem 2. Weltkrieg" die Stirn zu bieten. Offen sagt er, dass ihm sein Geschäft zurzeit wenig Freude macht. Die niedrige Auslastung und die sinkenden Charterraten seiner Tanker verhagelten ihm die Bilanz, über zwei Drittel seines Vermögens seien bereits vernichtet worden. "Statt kreative Ideen für das Geschäft zu entwickeln, führe ich fast nur noch Gespräche mit Bankern, Rechtsanwälten und Wirtschaftsprüfern."

Der Kritik der Gewerkschaften, seine Schiffe würden unter liberianischer Flagge fahren und so von der niedrigen deutschen Tonnagesteuer profitieren, kontert der Geschäftsmann: "Unter deutscher Flagge wäre ich heute schon pleite." Sein oberstes Ziel sei es, die gut 1100 Arbeitsplätze abzusichern. "Dank geschäftlicher Rücklagen werden wir sicher die nächsten Jahre auch bei schlechten Märkten durchhalten. Ansonsten hilft nur beten, dass es irgendwann wieder aufwärts geht."

Seine Zukunft hat Krämer fest im Blick. An ein Leben nach dem Tod hat er nie geglaubt, vielmehr sei das Bewusstsein der eigenen Endlichkeit seit jeher der Motor, sein Handeln und dessen Konsequenzen täglich zu hinterfragen. Gemeinsam mit Horst Köhler weiht er im Oktober die 1000. Schule in Afrika ein. Vorher will er den Austausch zwischen Stéphane Hessel und Helmut Schmidt moderieren und ein Buch über die Endlichkeit des Lebens verfassen. Ob er es je veröffentlichen wird, ist offen. "Es wird ein persönliches Vermächtnis, vor allem für mich und für meine beiden Söhne."