Berufsporträt: Markus Seidel ist Ghostwriter. Im Namen seiner Kunden schreibt er Biografien und Romane. Empathie ist für ihn wichtig

Markus Seidel ist Ghostwriter, ein Autor, der anderen seine Fähigkeit leiht, mit Sprache umzugehen. Das müssen nicht immer Stars sein - auch wenn sich viele Promis gern von einem Ghostwriter vertreten lassen. Der 42-jährige Germanist schreibt die Geschichten von weitgehend unbekannten Menschen auf.

Das Prinzip ist immer das gleiche: Da ist jemand, der viel erlebt hat, aufschreiben soll es jedoch ein anderer. "Da besteht oft der Wunsch, etwas für kommende Generationen zu hinterlassen", sagt Seidel. "Andere hoffen, dass ihre Lebensgeschichte als Roman groß rauskommt." Seine Bücher handeln von Liebe, Paradiesvögeln, Mobbing, seltenen Krankheiten oder der Privatinsolvenz. Aber auch ein Kinderbuch und Reden hat Markus Seidel schon geschrieben. "Reden reizen mich allerdings weniger, weil dabei wenig Spielraum für eigene Ideen bleibt", sagt er.

Abgelehnt hat er bisher kaum einen Auftrag. "Wer dafür zahlt, bekommt von mir den gewünschten Text." Spezialisiert ist Seidel auf Biografien, Erfahrungsberichte und autobiografische Romane. Der Kunde veröffentlicht die Texte unter seinem Namen, Seidel tritt nicht in Erscheinung. Verschwiegenheit ist für ihn oberstes Gebot.

Langweilig wird sein Job selten. Es sind immer wieder spannende Geschichten, die dem Texter erzählt werden. "Man hört viel Interessantes, wenn sich die Menschen öffnen", sagt Seidel. Dabei lerne er auch von der Lebenserfahrung anderer.

Zurzeit sitzt er an der Biografie eines irakischen Ingenieurs, der während des Regimes von Saddam Hussein der Spionage angeklagt war und im Abu-Ghraib-Gefängnis saß. Heute lebt er in Norddeutschland. Selten arbeitet Markus Seidel an nur einem Projekt. Während er noch an der Lebensgeschichte des Irakers schreibt, führt er Gespräche mit einer schillernden Figur aus dem Jetset, die ebenfalls ihre Biografie veröffentlichen will.

"Die Chemie zwischen Auftraggeber und Schreiber muss passen, damit die Arbeit funktioniert", sagt Seidel. Er brauche stets einen gewissen künstlerischen Freiraum. Fallen die Vorgaben zu strikt aus, werde es schwierig. "Und die Geschichte muss spannend sein", sagt Seidel. Zu Beginn schreibt er immer erst einmal zehn Seiten zur Probe. Nur wenn sich partout keine gemeinsame Basis findet, lehnt er den Auftrag ab. Das sei in den sieben Jahren seiner Tätigkeit aber erst einmal passiert.

"Das Schreiben ist ein gutes Stück Handwerk", sagt Seidel, der vor seiner Arbeit als Ghostwriter fünf eigene Romane verfasst hat. Spannungsbögen, Wende- und Höhepunkte, dramatische Elemente und Verzögerungen - wenn er am Schreibtisch sitzt, hadert er nicht lange mit Wörtern und Sätzen. "Schreiben muss ich immer können und nicht nur wenn die Sonne scheint und die Tagesform stimmt", sagt Seidel. Täglich erfüllt er meist sein Pensum von drei bis fünf Seiten.

Für Inhalte und Handlung trifft er sich zwischendurch mit den Auftraggebern, telefoniert und erhält Informationen per E-Mail. Er sichtet Lebensläufe, Tagebücher und Briefe. Für das Buch über den irakischen Ingenieur verabredet er sich monatlich mit dem Kunden zu sechsstündigen Sitzungen, in der dieser seine Erlebnisse erzählt. "Eine gewisse Empathie ist wichtig, sonst bleibt alles nur an der Oberfläche", sagt er. Als Herausforderung empfindet er es immer noch, sich in jede Person hineinzuversetzen - und zwar so gut, dass diese sich später wiedererkennt.

Manchmal bekommen Romane oder Biografien dann ganz andere Schwerpunkte, als vom Kunden geplant. "Als Außenstehender kann man einfach besser beurteilen, welche Situationen spannend sind", sagt Seidel. Die Gefangenschaft in Abu-Ghraib etwa sollte in der Lebensgeschichte des Ingenieurs zunächst nur eines von vielen Mosaiksteinen sein, jetzt nimmt sie einen Großteil des Buches ein.

Nicht nur der Inhalt, auch der Stil muss stimmen. Dabei versucht der Ghostwriter sich an der Sprache des Kunden zu orientieren, wie er sie in den persönlichen Gesprächen erlebt. Zum Thema muss der Duktus ebenfalls passen. "Wenn jemand über Mobbing berichtet, wirkt ein zu sachlicher Stil schnell trostlos", sagt Seidel. Besser sei trotz ernster Themen eine etwas unterhaltsamere Art. Auch so etwas spricht er vorher mit dem Kunden ab.

Ist die Geschichte zu Papier gebracht, endet der Job von Markus Seidel. Die Vermarktung liegt in den Händen der Kunden. Auf Wunsch schreibt er aber noch ein Exposé und stellt eine Liste mit infrage kommenden Verlagen zusammen. Wenn ein vielversprechender Stoff vor ihm liegt, handelt der Auftragschreiber aber auch schon mal eine Koautorenschaft aus - verbunden mit einer Provision vom Verkaufserlös. "Bei einem Erfolg wäre es doch schade, wenn der eigene Name nicht auf dem Cover steht", sagt Seidel.