Rund 250 Betriebsärzte arbeiten in Hamburg. Das medizinische Randgebiet hat Nachwuchssorgen

Ulrich Rogall ist Arzt. Aber er steigt auch schon einmal in den Kessel einer Müllverbrennungsanlage - bei 70 Grad Umgebungstemperatur, in voller Schutzmontur, wie die Arbeiter auch. "Ich will doch sehen, was die Mitarbeiter dort aushalten müssen", sagt er. Rogall ist Betriebsarzt. Er arbeitet selbstständig, verantwortlich für elf mittelgroße Firmen und zahlreiche kleine. "In manchen bin ich wöchentlich oder monatlich vor Ort, in anderen nur einmal im Jahr, je nach Bedarf." Der Hamburger ist begeistert von seinem Fach: "Wir Arbeitsmediziner haben den ganzen Menschen - und vor allem Zeit für ihn."

"In Hamburg gibt es rund 250 Arbeitsmediziner", sagt Ulrich Stöcker, Vorsitzender des Landesvereins des Verbands Deutscher Betriebs- und Werksärzte (VDBW). Einige wenige seien in Behörden, die anderen für Unternehmen tätig. Laut Gesetz haben Betriebsärzte die Aufgabe, den Arbeitgeber beim Arbeitsschutz und bei der Unfallverhütung in allen Fragen des Gesundheitsschutzes zu unterstützen. "Betriebsärztlich betreut werden müssen alle Firmen, auch der kleine Handwerksbetrieb", sagt Stöcker. Einen eigenen Betriebsarzt zu haben sei aber nur für Unternehmen ab etwa 1500 Mitarbeiter wirklich sinnvoll.

"Also arbeiten viele Ärzte überbetrieblich und betreuen die Mitarbeiter mehrerer Firmen", erklärt Stöcker, der selbst hauptberuflich Ärztlicher Leiter des Arbeitsmedizinischen Zentrums Reinbek/Glinde ist. "Hier im Norden ist das sogar die häufigere Variante." Das liegt an der Unternehmensstruktur - in Hamburg gibt es eine Vielzahl kleinerer Firmen, aber weniger große.

Mathias Feindt ist einer derjenigen, die sich festangestellt nur um die Beschäftigten eines Arbeitgebers kümmern. Er ist Betriebsarzt der Hauni Maschinenbau AG und mit zwei Assistenzkräften - einem Sanitäter, einer Arzthelferin - für die 2000 Mitarbeiter am Standort Hamburg zuständig. Vor allem die Vielfalt der Aufgaben ist es, die ihn für die Arbeitsmedizin einnimmt.

"Ich bin zu Vorsorgeuntersuchungen oder zu therapeutischen Anlässen mit den Mitarbeitern in Kontakt, beurteile Arbeitsplätze, biete Messungen an, mache Beratung, unterstütze bei Wiedereingliederungen nach einer Reha ...", zählt er ein paar Beispiele auf. Als Betriebsarzt sei er zudem Motor des Gesundheitsmanagements im Unternehmen. Echte Notfälle gebe es zum Glück selten. Ein Vorteil der Arbeitsmediziner sei: "Wir können Beratung sehr niedrigschwellig anbieten. Bei uns kommt man eben für zehn Minuten vorbei, das ist etwas anderes, als sich beim Hausarzt erst einmal einen Termin zu holen."

"Unser Ziel ist die Prävention", sagt Ulrich Stöcker vom VDBW. "Das ist nach dem Studium, in dem es vor allem ums 'Retten' geht, ein eher ungewohnter Blickwinkel für junge Mediziner." Dementsprechend hat das medizinische Randgebiet Nachwuchssorgen. Nachdem die Ärzte im Rahmen der Facharztausbildung zwei Jahre in der Inneren Medizin waren, machen viele einfach in dem Bereich weiter, statt sich noch einmal auf ein weiteres Gebiet zu konzentrieren. Der Berufsverband versucht gegenzusteuern, zum Beispiel mit der Aktion "Docs@Work", bei der junge Mediziner im Rahmen eines Wettbewerbs für die präventive Arbeit gewonnen werden sollen.

Gebraucht werden in der Betriebsmedizin aufgeschlossene, zugängliche und vertrauenerweckende Typen. "Kommunikation muss einem leichtfallen", sagt Mathias Feindt von Hauni. "Und zwar mit den Arbeitern genauso wie mit den Managern." Durchsetzungskraft und Mut sind auch gefragt. Ulrich Rogall: "Wenn zum Beispiel jemand in der Geschäftsführung plötzlich Herzbeschwerden hat, es dem Betriebsarzt aber verbietet, einen Rettungswagen zu holen, muss man ein gestandener Arzt sein, um das trotzdem durchzusetzen." Vorteile gegenüber anderen Medizinerjobs habe die Tätigkeit viele, sagt Verbandsvorsitzender Stöcker. "Arbeitsmedizin ist planbar und familienfreundlich. Es gibt keine Nacht- oder Wochenenddienste. Und die Arbeit ist hochspannend - jeden Tag erwarten einen neue Anforderungen." Dass sich Arbeitsmediziner ständig im Spannungsfeld zwischen der Sorge für die Mitarbeiter und den Vorgaben des Unternehmens bewegen, verschweigt er aber auch nicht. "Manchmal braucht man schon gute Nerven", sagt er. "Es kann passieren, dass die Geschäftsführung Maßnahmen, die man selbst für nötig hält, nicht finanzieren will." Nicht zuletzt deswegen sei die Arbeitsmedizin ein "ständig missionierender Job". Auch an der Mitarbeiterfront stoßen Betriebsärzte mitunter auf Gleichgültigkeit. "Dann muss man immer und immer wieder erzählen, dass das Gehör kaputtgeht, wenn man keine Kopfhörer zum Schutz aufsetzt."

"Das große Plus des Berufs ist aber, dass man sehr frei in der konzeptionellen Gestaltung seiner Arbeit ist", sagt Mathias Feindt. "Ich kann nur jedem raten, mal in die Arbeitsmedizin reinzuschnuppern." Auch für Ärzte, deren erste Facharztausbildung schon eine Weile zurückliegt, sei das interessant, sagt Ulrich Stöcker. "Es gibt genügend Weiterbildungsstellen in Hamburg. Auch für Mediziner, die sich mit 40 noch einmal umorientieren wollen."