Der Schweizer Forscher meint: Der Vertrieb braucht mehr Unterstützung.

Abendblatt: Welche Fähigkeiten brauchen Verkäufer in der Krise?

Christian Belz: Meine Kurzformel lautet: Sozialkompetenz und emotionale Intelligenz schlagen Fachkompetenz, obschon es natürlich beides braucht. Grundsätzlich unterscheiden sich diese Fähigkeiten nicht nach der Wirtschaftssituation.

Abendblatt: Und mit diesen Fähigkeiten können Verkäufer der Krise trotzen?

Belz: Wenn sich das Auftragsvolumen mehr als halbiert hat, kann ich auch von Top-Verkäufern keine Wunderdinge erwarten; sie können den Einbruch nicht abfangen. Aber gute Verkäufer orientieren sich an der Wirkung.

Abendblatt: Das heißt?

Belz: Das heißt, dass ich als Verkäufer die Kundenbeziehung festigen kann, auch wenn ich nicht gerade ein aktuelles Geschäft abwickle. Davon profitiere ich dann wieder bei einem Aufschwung.

Abendblatt: Was meinen Sie mit "Kundenbeziehung festigen"?

Belz: Das bedeutet nicht nur, Termine mit dem Kunden zu machen, um sich in Erinnerung zu rufen, sondern sich ernsthaft mit Themen zu befassen, die den Erfolg des Kunden ausmachen. Der Kunde darf nicht nur dann interessant sein, wenn man als Verkäufer dort seine Produkte oder Dienstleistungen absetzen kann. Das ist indirektes Marketing, eine Investition, die langfristig wirkt.

Abendblatt: Dann müsste man aber doch wegkommen von der kurzfristigen Quartalsdenke ...

Belz: Wir können die Absatzzahlen bis zu den Tagesergebnissen durchdeklinieren, das macht nichts, das ist eine Aufgabe des Controllings. Die Frage ist nur, wie wir diese Zahlen interpretieren. Ihre Frage ist schon etwas suggestiv, aber ich stimme Ihnen inhaltlich zu: Ich brauche auch Instrumente, die die längerfristige Wirkung von verkäuferischen Aktivitäten berücksichtigen.

Abendblatt: Nun klagen Verkäufer oft darüber, dass sie zu viel Zeit in ihre Berichte stecken müssen, Zeit, die besser in die Pflege der Kundenbeziehungen investiert wäre. Wie stehen Sie dazu?

Belz: Ein ganz wichtiger Punkt. Es geht darum, wie ich die Zeit beim Kunden optimieren kann. Die Kernfrage ist für mich deshalb, wie der Verkäufer entlastet werden kann, wie wir ihn durch Technik und Mitarbeiter im Innendienst unterstützen.

Abendblatt: Aber gibt es doch das sogenannte Customer Relationship Management, damit sollten doch auch die Verkäufer entlastet werden ...

Belz: Ja, aber damit wurde genau das Gegenteil bewirkt.

Abendblatt: Solche Managementansätze sind kontraproduktiv?

Belz: Entscheidend ist, dass der Verkäufer die richtigen Prioritäten setzen kann. Das Hauptproblem ist meiner Ansicht nach die Überforderung von Verkäufern: Sie müssen ständig Protokolle schreiben, Daten pflegen, Umsätze auf dem tagesaktuellen Stand dokumentieren und Prognosen machen. Wo bleibt da der Kunde? Kundeninformationssysteme sind sinnvoll, aber sie müssen im Arbeitsportfolio des Verkäufers richtig gewichtet sein.

Abendblatt: Was überfordert Verkäufer noch?

Belz: Es wird nicht nur beim internen Reporting mehr verlangt, sondern auch die Sortimente werden breiter, die Kundengruppen und Vertriebskanäle differenzieren sich. Und ein Problem der Führung: Wenn ein Verkäufer bis zu 30 Ziele erfüllen soll, dann ist das schlichtweg nicht möglich. Für sich genommen macht vielleicht jeder dieser Punkte Sinn, aber in der Summe überfordert es die Ressourcen eines Verkäufers. Das kann niemand leisten.

Abendblatt: Was zeichnet heutzutage den Spitzenverkäufer aus?

Belz: Kürzlich verglichen wir in einem Konzern die besten mit den durchschnittlichen Verkäufern. Top-Verkäufer selektionieren ihre Kunden weit besser, gewinnen weit mehr Angebote und sind damit bessere Verwerter. Sie realisieren doppelt so viele Kontakte bei den wichtigsten Kunden, und zwar von Besuchen bis zu Veranstaltungen. Sie haben mehr Substanz im Kundenkontakt, sie mobilisieren die Kräfte im eigenen Unternehmen und werden besser unterstützt.

Abendblatt: Sind das Menschen, die sozusagen schon mit der DNS eines Verkäufers geboren wurden?

Belz: Nein, diesen Top-Verkäufern fällt nicht einfach alles etwas leichter, sondern sie arbeiten besessen; die Arbeit scheint ihr Leben zu sein. Unternehmen sollten mit solchen Erkenntnissen nicht nur den Durchschnitt anheben, sondern auch die Bedingungen schaffen, welche die guten Verkäufer zu Höchstleistungen auflaufen lassen.

Abendblatt: Was können Verkäufer tun, um diese Unterstützung von ihrer Firma zu bekommen?

Belz: Wenn sich gute Verkäufer im eigenen Unternehmen bewegen, wie sie das bei Kunden tun sollten, dann werden sie auch gut unterstützt.

Abendblatt: Dennoch wird in den meisten Unternehmen der Verkauf in der Krise zum Engpass. Wie fühlt sich dabei der Verkauf? Mehr Arbeit für weniger Lohn ist keine verlockende Perspektive.

Belz: Natürlich gibt es Stress, Angst und Frustration. Es gibt aber viele gute Verkäufer, die den Druck produktiv ummünzen und zur Höchstform auflaufen. Allerdings brauchen sie Unternehmen, die nicht nur auf die Bremse treten, sondern auch in die Zukunft blicken und aufbauen. Tatsächlich ist die Kurzarbeit der Produktion aber meist mit der Langarbeit im Verkauf begleitet.