Der Erfinder der Managementlehre blieb sein Leben lang neugierig. Als Azubi lebte er in Hamburg. Diese Erfahrungen prägten den Pragmatiker.

Am 19. November wäre Peter F. Drucker hundert Jahre alt geworden. Kein Zweifel, ohne die Ideen, Beobachtungen und Beschreibungen des Amerikaners österreichischer Herkunft gäbe es "Management" in seiner heutigen Form wohl gar nicht. Peter Drucker ist der Erfinder der Managementlehre. Wie kein anderer hat der gebürtige Wiener die Aufgaben und Anforderungen der Führungskräfte analysiert. Von ihm stammt der Satz: Nur wenige Führungskräfte sehen ein, dass sie letztendlich nur eine Person führen müssen. Diese Person sind sie selbst.

Von der Arbeit in der Wissensgesellschaft über die Erfolgsformeln des Marketings bis zu brandheißen Fragen der Unternehmensverantwortung und den moralisch vertretbaren Höchstgrenzen bei Managementgehältern: Auf alle Fragen, zu denen Manager und Führungskräfte Antworten suchen, heißt der Ratschlag: "Schlag nach bei Drucker!" Seine Weisheiten sind deshalb so unerschöpflich, weil er als Universalgelehrter nie müde wurde, sich jede Art von Wissen anzueignen.

Wesentliche Früchte der Erkenntnis, die später in die Ratschläge an Vorstände von Unternehmen wie General Motors und Toyota, Coca-Cola oder IBM einfließen sollten, sammelte Drucker in Hamburg. Er war noch keine 18 Jahre, als er 1927 seine Geburtsstadt Wien verließ, um in einer Hamburger Baumwollexportfirma erste Berufserfahrungen zu sammeln. "Meine Arbeit war entsetzlich langweilig, und ich lernte so gut wie nichts", urteilte Drucker jedoch später. Zusätzlich zur Ausbildung ließ er sich in der Jurafakultät der Hamburger Uni einschrieben - vor allem, um den Wünschen seines Vaters zu entsprechen, jedoch ohne ernsthafte Absichten. Vorlesungen gehört hat der junge Drucker nie.

Die Monate in der Hafen- und Kaufmannsstadt waren für den jungen Trainee aber alles andere als verloren. Er genoss die Zeit. Nicht nur, weil er an den Wochenenden in der "wunderschönen Umgebung Hamburgs wandern" konnte. Die Hamburger Bibliothek war nur wenige Schritte von seinem Arbeitsplatz entfernt. "Und so tat ich fünfzehn Monate lang nichts anderes als lesen, lesen, lesen - in Deutsch, Englisch, Französisch", schreibt er später. Sein Interesse beschränkte sich keineswegs auf Ökonomie oder Verwaltungslehre. Um die Schriften des von ihm verehrten Philosophen Kierkegaard im Original lesen zu können, lernte er Dänisch.

Einmal pro Woche ging der Pro-forma-Student in die Hamburger Staatsoper. Studentenkarten waren in den Zwanzigerjahren noch kostenlos. Vor allem eine Aufführung hatte es dem jungen Drucker angetan: "Falstaff" von Verdi. Noch beeindruckter war der Achtzehnjährige, als er in der Bibliothek nachgeschlagen hatte, dass Verdi seine Oper mit 80 Jahren komponiert hatte und warum er dies getan hatte: "Während meines gesamten Lebens als Musiker habe ich nach Perfektion gestrebt. Ich habe sie nie erreichen können. Ich hatte also die Pflicht, es noch einmal zu versuchen." In seinem Hamburger Jahr beschloss Drucker, dass Verdis Worte sein Leitstern sein sollten.

Drucker wurde 95 und war bis zu seinem Tode aktiv und erfolgreich. Von Hamburg ging er nach Frankfurt, wo er dann "wirklich" studierte und in Rechtswissenschaft promovierte. Beim Frankfurter Generalanzeiger lernte er das journalistische Handwerk. Als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, emigrierte er über London in die USA, wo er dann zum Pionier der modernen Managementlehre avancierte.

Paradoxerweise konnte Drucker seinem Ideal nach Perfektion vor allem deshalb so nahekommen, weil er selbst flexibel genug war, eigene Schlüsse kritisch zu hinterfragen und ständig neue Perspektiven einzunehmen. Anders als so viele Berater, Trainer und Publizisten, die sich gerne auf ihn berufen, hat er selbst kein Modell, keine Methode, keine Strategie des modernen Managements entworfen, die sich mit einem Copyright schützen ließen. Seine Erkenntnisse sind stets Ableitungen genauer Beobachtungen. Sein profundes Allgemeinwissen und ein gut geschultes ganzheitliches Denken versetzten ihn aber in die Lage, mehr zu sehen als seine Zeitgenossen, und vor allem mehr vorauszusehen: die Wissensgesellschaft und ihre Folgen, die Auswirkungen des geografischen Wandels, die neuen Herausforderungen für Führungskräfte im 21. Jahrhundert.

Realitäten, die langsam von Führungskräften und Businessexperten als gültig anerkannt werden, hat der große Denker des Managements im 20. Jahrhundert bereits vorhergesehen. Ganz bewusst hat er sich in den späten Lebensjahren, als sein Name in allen Business Schools der Welt einen guten Klang hatte und er in den Vorstandsetagen ein- und ausging, als Berater für gemeinnützige Organisationen eingesetzt. Unentgeltlich beriet er die Heilsarmee, die Pfadfinder und den Stammesrat der Navajo-Indianer. Immer auf der Suche nach der vernünftigen Organisationsform, die Menschen zu Höchstleistungen und guten Ergebnissen verhelfen kann. Und immer in dem Bewusstsein, dass es die Erfolgsmethode, die Eine-für-alles-Lösung nicht geben kann. Die beste Organisationsform ist die, die der Aufgabe gerecht wird ("The Organisation that fits the task"). Ebenso sehr setzte sich Drucker, der zeit seines Lebens so viel über Management und Personalführung geschrieben hatte, gegen Personenkult und Mystifizierung der Aufgaben und Leistungen der Unternehmensbosse ein. Eine gute Führungskraft zu sein hieß für ihn: stets "gewissenhaft zu sein, einige wenige Dinge zu tun und sie gut zu tun. Man behüte uns vor dem genialen Manager." Drucker starb am 11. November 2005 in den USA.

Dr. Lars-Peter Linke ist Geschäftsführer des Trainingsunternehmens COGNOS International in Hamburg.