Der Vertragsbruch fängt schon viel früher an: Wer Interna ausplaudert, schädigt das Geschäft.

Die Bäckerei-Mitarbeiterin hatte es nett gemeint. "Nein, wir haben keine Marmelade mehr auf den Tischen", sagte sie treuherzig zum Kunden, "da kamen immer viele kleine Tierchen, wenn es wärmer wurde." Zwei Tage später war die Verkäuferin entlassen, noch in der Probezeit. Die Chefin hatte den Dialog mitgehört und geriet außer sich. Schließlich sei beim Kunden der Eindruck entstanden, in der Bäckerei gehe es nicht hygienisch zu. Von den Tierchen zu sprechen sei eine schwere Verletzung des Betriebsgeheimnisses, warf die Chefin ihr vor.

Trifft das zu? "Ein Geheimnis ist das, was der Arbeitgeber als Geheimnis deklariert hat", sagt Arbeitsrechtlerin Sonja Riedemann von der Kölner Kanzlei Osborne Clarke. Das heißt: "Erst wenn die Chefin sagt, das mit den Tierchen darf niemand wissen, wird daraus ein Betriebsgeheimnis." Die Verkäuferin hatte keine solche Anweisung erhalten. Zudem konnte sie davon ausgehen, dass die Kunden die Krabbeltiere ohnehin bemerkt hatten. Und doch: Sie hatte keinen Anlass, über den bereits behobenen Mangel zu plaudern. Ein banales Beispiel, eine knifflige Rechtslage, die auf Anhieb gar nicht aufzulösen ist. Die Beurteilung von Betriebsgeheimnissen beschäftigt Heerscharen von Juristen sowie Arbeits- und Strafgerichte. Fest steht: Wer plaudert, begibt sich auf dünnes Eis. Und das schneller als allgemein vermutet.

Bei dem Begriff Betriebsgeheimnis denken die meisten an gefährliche Verfehlungen wie die Weitergabe von Bauplänen oder Insolvenzgerüchte. An Rolf Breuer von der Deutschen Bank, der öffentlich die Kreditwürdigkeit seines Schuldners Leo Kirch in Zweifel zog. An Raketenpläne, die aus deutschen Firmen nach Nahost wandern. An Preisabsprachen und Maulwürfe. Der juristische Begriff jedoch setzt viel früher an. Jegliche Weitergabe von Tatsachen technischer, kaufmännischer oder personeller Art, die nur einem engen Personenkreis bekannt sind und die wirtschaftliche Interessen betreffen, gelten als Betriebsgeheimnisse.

Die Kostenkalkulation im Mittelstand ist ein klassischer Fall. Beispiel Möbelladen: Der Filialleiter weiß, dass die in Südostasien produzierten Schränke in Hamburg mit einer Gewinnspanne von 80 Prozent verkauft werden. Er darf dieses Wissen nie teilen. "Streng genommen darf er es nicht einmal seiner Partnerin oder im Freundeskreis erzählen", sagt Riedemann. "Die könnten mit diesem Wissen beim nächsten Möbelkauf hart verhandeln." Zudem könnte die Geschichte eines Tages einem Konkurrenten zu Ohren kommen, und das wäre geschäftsschädigend. Auch über das eigene Gehalt sollte man nicht sprechen - wenn es darüber eine Verschwiegenheitsklausel gibt. Mitarbeiter dürfen im Kollegenkreis keine Summen nennen; denn Unterschiede in der Bezahlung gefährden den Betriebsfrieden. Wer über anderer Leute Geld plaudert, setzt also sich selbst ins Unrecht und den offenherzigen Kollegen gleich mit. Ausnahme: Wenn eine Branche nach Tarif bezahlt, gelten die Gehälter als bekannt. "Was sowieso alle wissen, ist per Definition kein Geheimnis", sagt Riedemann.

Aus arbeitsrechtlicher Sicht ist es gleichermaßen ein Vertragsbruch, ob man sich verplappert oder bösartig Gerüchte streut. Die Konsequenzen variieren je nach Schwere des Vertragsbruchs: eine Abmahnung oder gleich die fristlose Kündigung. Der Vertragsbruch kann so gravierend sein, dass der Arbeitgeber zusätzlich Strafanzeige erhebt.

Auch nach Vertragsende muss man schweigen

"Besonders bei Urheberrechtsverletzungen hört der Spaß auf", weiß Sonja Riedemann. "Wer die Daten seines Firmencomputers auf einen Stick zieht, begeht ein besonders schweres Delikt. Das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb macht daraus einen Straftatbestand." Selbst wenn man die Daten "nur privat" haben wollte, wie schon so mancher in Unfrieden ausgeschiedene Arbeitnehmer behauptete, dem man auf die Schliche kam. Denn Betriebsgeheimnisse gelten auch "nachvertraglich", das heißt über die Beschäftigung hinaus.

Wie aber steht es nun mit Dingen, die wirkliche Missstände im Unternehmen betreffen? Darf der Schimmel in der Restaurantküche ein Betriebsgeheimnis bleiben? "Arbeitnehmer müssen vorsichtig sein", sagt der Kieler Rechtsanwalt Stephan Felsmann. In den USA werden Hinweisgeber, die "Whistle Blower", vom Gesetz geschützt. In Deutschland ist die Situation verzwickter. Die Loyalitätspflicht gegenüber dem Arbeitgeber gebietet es, dass Fehler zunächst intern beim Vorgesetzten angesprochen werden müssen.

"Einen korrekten Weg zu empfehlen ist extrem schwierig. Es gibt vom Bundesarbeitsgericht zwei einander widersprechende Entscheidungen", sagt Arbeitsrechtler Felsmann. Er rät zu größtmöglicher Umsicht: Wenn sich Missstände nicht intern beheben lassen, sollte man die Angelegenheit genau dokumentieren, also zum Beispiel Fotos machen und sich Zeugen suchen. Der nächste Weg führt zum Betriebsrat. Dieser kann den Arbeitgeber nochmals auffordern, die Missstände zu beseitigen. Wenn ein Erfolg dann ausbleibt, kann man eine Anzeige bei der Gewerbeaufsicht machen - auch anonym. "Denn der Arbeitnehmer", warnt Felsmann, "trägt am Ende das größte Risiko. Er ist es, der in jedem Fall seinen Job riskiert."