Und erreicht auch nichts: Wer nur für Geld arbeitet, verliert schnell jede Begeisterung, sagt Neurobiologe Gerald Hüther

Abendblatt:

Viele Menschen versuchen heute, nicht nur ihren Körper, sondern auch ihre geistige Fitness zu trainieren, machen "Gehirnjogging", Kreuzworträtsel oder lernen Gedichte. Was bringt das?

Gerald Hüther:

Das sind alles Versuche, kognitive Fähigkeiten zu verbessern. Wer damit gute Erfahrungen macht und ein gutes Gefühl hat, wird wahrscheinlich davon profitieren. Das gilt für alle Versuche, die körperliche Fitness zu verbessern oder sich gesünder zu ernähren. Manche kommen in dieses gute Gefühl, und bei denen klappt es auch.

Das heißt, wenn etwas keinen Spaß macht, lernt man auch nichts dabei?

Genau. Die meisten müssen sich zu solchen Gedächtnisübungen zwingen. Das ist dann kein gutes Gefühl und entsprechend hoch ist die Abbruchrate. Man kann sein Hirn nicht über längere Zeit zu etwas zwingen, was man nicht mag. Das Gehirn ist eben kein Muskel, der sich trainieren und erst recht keine Maschine, die sich "tunen" lässt.

Wie wirken sich negative Gefühle wie Stress und Angst vor Jobverlust aufs Gehirn aus?

Ungünstig. Das weiß ja jeder, der unter solchen Bedingungen von Angst und Stress einmal versucht hat, ein Examen abzulegen, ein schwieriges Problem zu lösen, einen Streit zu schlichten oder eine umsichtige Entscheidung zu treffen. Das liegt daran, dass es in den komplexeren Bereichen unseres Großhirns bei Angst und Stress zu massiven Übererregungen kommt. Angesichts des dort herrschenden Durcheinanders kann kein komplexes, das Denken und Handeln leitendes neuronales Erregungsmuster mehr aufgebaut werden. Und wenn "oben" alles kocht, übernehmen automatisch die tieferen, älteren und robusteren Ebenen das Kommando.

Und die Folge ist?

Im schlimmsten Fall werden die archaischen Notfallprogramme aktiv, und man versucht es mit Angriff. Wenn das nicht geht, mit Flucht, und wenn beides nicht funktioniert, verfällt man in ohnmächtige Erstarrung. All diese Reaktionsweisen sind keine günstigen Strategien, um seinen Job zu behalten.

Wenn man Stress und Überlastung nicht "abstellen" kann - kann man wenigstens lernen, damit besser umzugehen?

Es ist ja selten die tatsächliche Belastung, die solche Angst- und Stressreaktionen in Gang setzt, sondern die subjektive Bewertung. Gefahr oder Herausforderung - das eine oder das andere löst jeweils eine völlig andere Reaktion im Hirn aus. Und an diesen subjektiven Bewertungen kann man arbeiten, die lassen sich verändern. Zum Beispiel kann man über vieles, was uns ärgert, auch lachen. Weniger günstig ist die leider sehr häufig eingesetzte Strategie, sich zu besaufen oder sein Gehirn mit Drogen zu benebeln.

Wie leicht lernt man als Erwachsener eigentlich noch?

Am leichtesten lernt man immer dann etwas, wenn es einem unter die Haut geht und die emotionalen Zentren im Gehirn aktiviert werden. Dann werden neuroplastische Botenstoffe ausgeschüttet. Sie wirken wie Dünger für all jene neuronalen Verschaltungsmuster, die man in diesem Zustand der Begeisterung aktiviert. Kleine Kinder erleben das 50- bis 100-mal pro Tag. In der Schule nimmt die Begeisterung meist rapide ab, und wenn man älter wird, gelingt es immer seltener, sich richtig für etwas zu begeistern. Dann fehlt gewissermaßen der Dünger im Hirn. Man müsste sich also seine ursprüngliche Begeisterungsfähigkeit erhalten. Dann wäre auch das Lernen kein Problem.

Aber wie entfacht man denn neue Begeisterung für seinen alten Job?

Begeistern kann man sich ja nur für etwas, was einem wichtig ist. Wer seinen Job nur macht, um Geld zu verdienen, hat ein Problem. Wenn das Gehalt nicht steigt, verschwindet die Begeisterung. Es wäre also günstiger, sich bei der Arbeit über all das zu begeistern, was nicht von der nächsten Lohnerhöhung abhängt. Über die anderen Mitarbeiter beispielsweise, weil man sie mag. Oder darüber, dass man zu etwas beitragen kann, was einem wichtig ist. Oder dass man dazugehört und gebraucht wird, dass man täglich etwas Neues hinzulernen und es auch anwenden kann. Dann könnte man seine Potenziale entfalten. Aber in Betrieben, die ihre Mitarbeiter nur als Ressourcen benutzen, sie wie Zitronen auspressen und sie entlassen, wenn sie keinen Saft mehr geben, ist es sehr schwer, sich für seinen Job zu begeistern. Dann kann man sich nur damit trösten, dass solche Firmen langfristig so nicht überleben können.