Stuttgart. Was wollte der Erblasser wirklich? Diese Frage müssen oft Gerichte ermitteln. Dabei geht es nicht selten darum, die Familienverhältnisse genau zu betrachten.

Verwandte können in einem Testament von der Erbfolge ausgeschlossen werden. Eine positive Anordnung über die Erbfolge ist nicht zwingend erforderlich.

Wer das Erbe antreten darf, muss durch Auslegung ermittelt werden, wie ein Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart zeigt (Az.: 8 W 359/20). Die Arbeitsgemeinschaft Erbrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) berichtet.

Der Fall: Eine Frau verstirbt ledig und kinderlos. Ihre Eltern sind seit langem Tod. Weitere Geschwister neben ihrem Bruder hat sie nicht. Sie hinterlässt ein Testament, in dem sie (ohne einen Erben zu benennen) verfügt, dass "alle Verwandten und angeheirateten Verwandten" von der Erbfolge ausgeschlossen sind, weil sie sie feindselig behandelt hätten.

Der Bruder ist der Ansicht, Erbe zu sein, da auch ihn das von der Erblasserin im Testament beschriebene Schicksal getroffen habe und er zu seiner Schwester bis zuletzt einen guten Kontakt gepflegt habe. Die Finanzbehörden meinten hingegen, das Erbe stehe ihnen zu.

Zu Unrecht, urteilen die Richter. Der Bruder ist gesetzlicher Alleinerbe. Laut Gesetz könne ein Erblasser durch ein Negativtestament Verwandte teilweise oder vollständig von der gesetzlichen Erbfolge ausschließen. Eine positive Anordnung über die Erbfolge muss nicht gleichzeitig getroffen werden.

Eine solche Anordnung hat die Erblasserin hier getroffen. Der Kreis der mit dieser Regelung ausgeschlossenen Verwandten ist durch Auslegung zu ermitteln, wobei mit der Feststellung, die Erblasserin habe alle Verwandte enterben wollen, Zurückhaltung geboten ist.

Es bestehe durchaus ein allgemeiner Erfahrungssatz dahingehend, dass ein Erblasser das Erbrecht eines Verwandten zumeist dem Erbrecht des Fiskus vorziehen wird. Dies berücksichtigt, war eine Enterbung des Bruders von der Erblasserin nicht gewollt, da er vom im Testament genannten Motiv der Erblasserin nicht erfasst ist.

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