Madrid. Die Mietpreise in Spaniens Großstädten explodieren – das trifft vor allem junge Leute. „Geierfonds“ heizen die Krise zusätzlich an.

Sie empfinde Frustration und Ohnmacht, sagt Ana Ranz. „Ich würde gerne aus dem Elternhaus ausziehen und eine Wohnung mieten – aber ich kann es mir finanziell nicht erlauben“, erklärt die 28-Jährige. Die Wohnungsnot in Spanien trifft junge Menschen wie Ranz, die bei ihrer Mutter in einem Madrider Vorort wohnt, besonders hart. Sie fühlen sich von der Gesellschaft abgehängt und im Stich gelassen. Laut EU-Statistikamt Eurostat verlassen die jungen Spanier im Schnitt erst mit 30 das Elternhaus. Zum Vergleich: In Deutschland tun sie das mit 24, in Österreich mit 25, in Schweden sogar schon mit 21.

„Die Mieten steigen immer höher, während unsere Kaufkraft sinkt“, klagt Andrea Henry, Vorsitzende des Dachverbandes der Jugendorganisationen (CJE) in Spanien. Jahr für Jahr verringere sich die Zahl der jungen Leute, die finanziell auf eigenen Beinen stehen können. Rund 1100 Euro betrage in dem südeuropäischen Land der mittlere Mietpreis für eine Wohnung mitsamt Nebenkosten, heißt es im jüngsten CJE-Bericht. Das entspreche dem Monatseinkommen vieler junger Arbeitnehmer. Diese können derzeit mit kaum mehr als dem gesetzlichen Mindestlohn von 1134 Euro rechnen.

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„Ich verdiene derzeit zwischen 700 und 900 Euro – je nach Monat“, sagt Ana Ranz. Den Traum von einer Wohnung kann sie sich damit nicht erfüllen. Die junge Frau ist gerade dabei, ihre Ausbildung als Psychologin zu beenden. Zugleich arbeitet sie als Aushilfe im Gastgewerbe. Selbst mit einem Vollzeitjob würde es angesichts des geringen Lohnniveaus und der großen Preissprünge auf dem nicht für die Unabhängigkeit reichen, hat Ranz ausgerechnet. „Du musst ja nicht nur die Wohnung bezahlen, sondern auch noch etwas zu essen kaufen.“

Mietpreise extrem hoch: Junge Spanier leben oft unfreiwillig bei den Eltern

Eigentlich sollte es mit dem „Gesetz für ein Recht auf eine Wohnung“, das die Mitte-Links-Regierung von Premier Pedro Sánchez vor einem Jahr beschlossen hat, besser werden. Doch das Gesetz, das den jährlichen Mietanstieg bei Altverträgen auf derzeit drei Prozent beschränkt und Zwangsräumungen zahlungsunfähiger Bewohner erschwert, löste die Krise nicht. Nach den Daten der spanischen Immobilienplattform Idealista stieg die durchschnittliche Miete in 2023 um annähernd zehn Prozent – vor allem wegen der Preisexplosion bei Neuverträgen, die nicht gedeckelt wurden.

In Spanien gibt es zu wenige Sozialwohnungen, die Mietpreise sind sehr hoch.
In Spanien gibt es zu wenige Sozialwohnungen, die Mietpreise sind sehr hoch. © picture alliance / SZ Photo | Rainer Unkel

In den bei ausländischen Bewohnern beliebten Mittelmeerstädten Palma de Mallorca und Valencia kletterten die Mieten sogar um über 20 Prozent. „Eine Mietwohnung für weniger als 1000 Euro zu finden, gleicht einem Lotteriegewinn“, berichtet eine Immobilienmaklerin auf Mallorca. Wenn man eine Wohnung für einen Preis unter dieser Grenze anbiete, laufe das Telefon heiß. „Zehn Minuten nach Veröffentlichung der Onlineanzeige muss man die Offerte wegen der Flut von Interessenten schon wieder vom Markt nehmen.“

Immobilien in Spanien: Lage auf dem Wohnungsmarkt verschärft sich weiter

Statt sich zu entspannen, verschärft sich die Lage auf dem Wohnungsmarkt. Auch, weil immer mehr Eigentümer ihre Immobilien aus dem regulären Mietmarkt nehmen, um Vermarktungsmodelle zu nutzen, die nicht der gesetzlichen Regulierung unterliegen – etwa die Kurzzeitvermietung an Touristen oder Saisonarbeiter. Laut der nationalen Immobilienagentur Tecnocasa hat sich in den letzten drei Jahren das Angebot von Mietwohnungen in Spanien mehr als halbiert. In den Großstädten Madrid und Barcelona sei die Zahl der offerierten Objekte sogar um zwei Drittel gefallen. „Das vergrößert die Schwierigkeiten vieler Menschen, eine Mietwohnung zu finden“, erklärt Lázaro Cubero, Chefanalyst von Tecnocasa.

Die staatliche Wohnungspolitik sei gescheitert, urteilt Francisco Iñareta, Sprecher des Immobilien-Onlineportals Idealista. Das spiegelt sich auch im öffentlichen Wohnungsbau, der vernachlässigt wurde. Die in früheren Jahrzehnten mit Steuergeldern errichteten Sozialwohnungen wurden vielerorts privatisiert. So hat zum Beispiel die Stadt Madrid 3000 Sozialwohnungen an Investmentfonds verkauft, um Kasse zu machen. Deswegen gibt es heute kaum bezahlbaren Wohnraum für Geringverdiener. Nach Schätzung der Regierung sind nur 2,5 Prozent aller Wohnungen Sozialbauten – der EU-Schnitt beträgt 9,3 Prozent.

Spanien: Politik verspricht Besserung – und versagt doch

Was Sozialwohnungen betrifft, gehört Spanien zu den europäischen Schlusslichtern. An der EU-Spitze liegen die Niederlande, Österreich und Dänemark, wo der öffentliche Wohnungsbau mehr als 20 Prozent ausmacht. Nach seiner Wiederwahl vor wenigen Monaten erklärte der sozialdemokratische Regierungschef Sánchez die Beschaffung von bezahlbarem Wohnraum zur Priorität. Er kündigte an, den Mietzuschuss für Niedriglohnempfänger unter 35 zu verbessern – momentan gibt es maximal und befristet auf zwei Jahre 250 Euro Wohngeld. Sánchez sagte zudem die Bereitstellung von nahezu 200.000 neuen Sozialwohnungen zu – bis diese verfügbar sind, können aber Jahre vergehen.

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„Die Regierung tut zwar etwas“, sagt Ana Ranz. „Aber das ist nicht genug.“ Die Politiker sollten stärker gegen Spekulation vorgehen. Und sie müssten vor allem das in Spaniens Verfassung verankerte Grundrecht auf ein würdiges Dach über dem Kopf garantieren. Gerade kann man in Madrid sehen, wie dieses Grundrecht ausgehebelt wird. Ein Investmentfonds hat drei ältere Häuserblöcke gekauft und allen Bewohnern gekündigt. „Wir gehen nicht“, steht kämpferisch auf Plakaten, die an Fenstern und Balkonen wehen.

Doch die Mieter werden gehen müssen, weil das Gesetz diese Methoden erlaubt. Das Vorgehen dieser „Geierfonds“ kennt man schon beim örtlichen Mieterverein. Alte Wohngebäude würden aufgekauft und nach Umwandlung in Luxuswohnungen meistbietend weiterverkauft. Es handele sich um eine Geschäftemacherei, die vom Staat auch noch belohnt werde. Auf welche Weise? „Die Gewinne dieser Fonds sind steuerfrei.“

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