Berlin. Corona hat das Einkaufsverhalten vieler Menschen geändert. Sind Shopping-Center noch attraktiv oder kauft die Mehrheit künftig online?

Als „Einkaufsstadt“ bewirbt sich Itzehoe. Doch wer die Rolltreppen des Holstein Centers der rund 30.000 Einwohner zählenden Stadt vor den Toren Hamburgs emporfährt, dem kann schnell die Lust aufs Einkaufen vergehen. Zwischen heruntergelassenen Rollläden, abgeklebten Schaufenstern und leerstehenden Flächen kämpfen die letzten Geschäfte um ihr Überleben. Von den 54 Verkaufsflächen sind nur 13 genutzt, der Betreiber ist insolvent. Das einstige Prunkstück der Einkaufsstadt mit 40.000 Quadratmetern Verkaufsfläche ist zu einem Geisterhaus verkommen.

Knapp 600 Kilometer Luftlinie südlich ist die Stimmungslage eine ganz andere. Mitten in der Corona-Pandemie eröffnete in Fürth mit dem Flair ein neues Shopping-Center: 18.000 Quadratmeter Verkaufsfläche bieten Platz für neue Attraktionen: Neben dem größten freistehenden Blockaquarium Europas und einer Riesenrutsche lockt das Einkaufscenter neue Zielgruppen mit Deutschlands größte Virtual-Reality-Spielhalle, der Hologate World, an.

„Wir sehen uns nicht mehr als klassisches Shopping-Center. Wir verstehen uns als Plattform“, sagt Michael Peter, Vorstandsvorsitzender des Immobilienunternehmens P&P, das das Flair gebaut hat und nun betreibt. Es war die einzige Neueröffnung eines Shopping-Centers im vergangenen Jahr – und ist ein Wagnis.

Corona-Pandemie: Einzelhandel hat starke Umsatzverluste

Der stationäre Einzelhandel hat durch die Corona-Pandemie und die Lockdowns schwer gelitten. Viele Kundinnen und Kunden haben in den Lockdown-Zeiten den Online-Handel für sich entdeckt. Andere wiederum haben gezielt versucht, den kleinen Einzelhändler um die Ecke zu unterstützen. Für die großen Einkaufshäuser mit vielen Flächen sind das denkbar schlechte Vorzeichen.

Zu was das führen könnte, zeigt die Entwicklung in den USA. Gigantische Einkaufszentren stehen dort mittlerweile leer. Die Entwicklung hat sich in der Pandemie nochmal beschleunigt. „Das macht schon ein Stück weit demütig“, sagt Lars Jähnichen, Geschäftsführer des Handelsimmobilienspezialisten IPH, das mehr als 25 Center in Deutschland managet, darunter das Gerber in Stuttgart, den Hamburger Hof am Jungfernstieg in Hamburg oder die Goethe Galerie in Jena.

Und doch sei die Handelskultur in den USA nicht vergleichbar mit der in Deutschland, führt Jähnichen aus. Die dortigen Shopping-Center lägen oft außerhalb, man könne sie nur mit dem Auto erreichen – ganz anders als die vielen innerstädtischen Einkaufszentren in Deutschland. „Wir glauben an die Zukunft des Formats“, sagt Jähnichen. Auch, weil sich trotz der Pandemie, verbunden mit Mietstundungen und -ausfällen, die Leerstandsquote kaum erhöht habe.

Hintergrund: Galeria putzt sich heraus: Zu Besuch im Kaufhaus der Zukunft

Shopping-Center suchen nach Corona-Pandemie neue Wege

Das liege auch daran, dass Shopping-Center bereits deutlich vor Ausbruch der Pandemie gezwungen seien, neue Wege zu gehen. „Eine sehr gute Alternative für Shopping-Center ist die Transformation in Quartierscenter“, sagt Jähnichen und verweist auf das Gerber in Stuttgart. Dort habe man zu viel Verkaufsfläche gehabt, um diese ausschließlich mit Geschäften zu füllen. Stattdessen entstehen jetzt auf der obersten Ebene unter anderem ein Hotel und ein Co-Working-Bereich. „Wir drehen ein Manko in ein Pro: Wir schaffen etwas, was es vorher nicht gab“, sagt Jähnichen.

Werden Shopping-Center in Zukunft also ein Mix aus Wohngebäude, Hotellerie, Büroflächen und Einkaufsmöglichkeiten? Beim Marktführer ECE ist man skeptisch. „Der Branchenmix in den Centern selbst wird sich im Allgemeinen um ein paar Prozent in Richtung Entertainment, Gastronomie und Medical Services anpassen, es wird aber im Schnitt keine sehr signifikanten Veränderungen geben“, sagt Joanna Fisher, Chefin von ECE Marketplaces und damit verantwortlich für das gesamte Shopping-Center-Geschäft des Hamburger Unternehmens, das europaweit 200 Shopping-Center mit einer Verkaufsfläche von sieben Millionen Quadratmetern managet.

Interessant auch: Autos, Strom, Erdbeeren: Wie der Krieg die Wirtschaft trifft

Ihre Zuversicht zieht die 48-Jährige daraus, dass auch die ECE-Shopping-Center recht glimpflich durch die Pandemie gekommen seien. Die Vermietungsquote bei der ECE sei von 98 auf jetzt 96 Prozent nur leicht gesunken, im vergangenen Jahr konnten mit rund 2.500 Mietverträgen und einer dazugehörigen Fläche von insgesamt rund 750.000 Quadratmetern sogar mehr Verträge abgeschlossen werden als zu Vor-Pandemie-Zeiten. „Das ist ein Bekenntnis zum stationären Handel“, meint Fisher.

Corona: Lockdown hat Handel viel Geld gekostet

Allerdings hat das Bekenntnis ECE ordentlich Geld gekostet. In den Lockdowns wurden Lösungen gefunden, um die Geschäfte vor der drohenden Insolvenz zu retten – es gab Mietstundungen und teilweise -verzichte, auch Werbegelder wurden erlassen. „Insgesamt sind mehr als 150 Millionen Euro in die Unterstützung der Mieterschaft geflossen“, sagt Fisher.

Während der Pandemie sei die Frequenz der Kunden um ein Drittel eingebrochen, im vergangenen Jahr sei von den Mietern ein Viertel weniger Umsatz erwirtschaftet als vor der Pandemie. In den Innenstadtlagen seien bisweilen nicht einmal mehr halb so viele Passanten wie üblich unterwegs gewesen, die Umsätze der Mieter in einzelnen Lockdown-Monaten sogar um bis zu 60 Prozent eingebrochen. Über das gesamte Jahr gesehen ist der Branchenprimus mit einem Umsatzminus von 25 Prozent also noch mit einem dunkelblauen Auge davongekommen.

An Expansion ist nicht zu denken. In Singen eröffnete im Jahr 2020 das vorerst letzte neugebaute ECE-Shopping-Center. „Wir sehen den Markt in Deutschland bereits seit Jahren als gesättigt an“, sagt Fisher. Die in den letzten Jahren stark gestiegenen Baupreise und gleichzeitig gesunkenen Mieten im Einzelhandel würden neue Center zudem nicht mehr wirtschaftlich umsetzbar machen. Ein attraktives Investment könnten Shopping-Center aber dennoch sein, meint die ECE-Managerin. Etwa, indem man sie aufkaufe, modernisiere und dann betreibe oder später weiterverkaufe.

Nach Corona: Shopping-Center müssen sich verändern

Diese Geschäftsmodell haben auch die Zwillingsbrüder Moritz und Phillip Kraneis für sich entdeckt. Sie investieren mit den von ihnen gegründeten Unternehmen Deutsche Immobilien Opportunitäten AG (DIO) und Deutsche Wohn- und Geschäftshaus GmbH in den Ankauf bestehender Shopping-Center sowie sanierungsbedürftiger Kaufhäuser. Phillip Kraneis ist davon überzeugt, dass sich Shopping-Center in Zukunft verändern müssen – und das auch schon tun. „Früher war es undenkbar, dass es ein Fitnessstudio in einem Shopping-Center gibt“, sagt er.

„Heute hat fast jedes Shopping-Center ein Fitnessstudio, weil gemerkt wurde, dass so viel Fläche belegt werden kann und es ein Anziehungsort für die Menschen ist.“ Er setzt deshalb auf neue Nutzungskonzepte und Raumverteilungen. „Die Zeiten, in denen große Textilketten mehr als die Hälfte eines Shopping-Centers füllen konnten, sind vorbei“, glaubt er.

Hintergrund: Darum überkleben Lidl und Aldi Preisangaben in Prospekten

Entscheidend sei, wie man Kundschaft anlocke, sagt Kraneis. Manchen Shopping-Centern wie dem Centro in Oberhausen, dem mit 120.000 Quadratmetern Einkaufsfläche und 250 Geschäften größten Shopping-Center Europas, gelinge das über ihre schiere Größe. In kleineren Städten sei es eine Chance, wenn man eine gute Nahversorgung im Center integriere. Dann könnten Shopping-Center auch durchaus interessante Investments sein: „Eine Rendite von mehr als sechs ist realistisch“, sagt Kraneis. Allerdings schränkt er auch ein: „Die ein oder andere Shoppingmall hat ihre Daseinsberechtigung während der Pandemie verloren.“

Eine neue Daseinsberechtigung bekommen hat dagegen das Flair in Fürth, so sieht es zumindest Michael Peter. Nur eine Verkaufsfläche zur Verfügung zu stellen, reiche längst nicht mehr aus, sagt der Unternehmer. Bei der Gestaltung und Anordnung der Möbel habe die P&P Group daher mit einem Psychologen zusammengearbeitet, auch wurde ein spezieller Duft entwickelt. „Man muss sich abheben, wenn man bestehen will“, sagt Peter. „Die Menschen wollen nicht mehr nur in ein Einkaufszentrum, sie wollen in ein Erlebniszentrum.“

Dieser Artikel erschien zuerst auf www.morgenpost.de.