Berlin. Verbraucher merken es beim Kauf von Sprit oder Heizöl, Unternehmen bei der Beschaffung von Strom und Gas: Die stark gestiegenen Energiepreise sind im Alltag deutlich spürbar. Entlastungen kommen, heißt es aus der Politik - nur welche?

Die wegen des Ukraine-Kriegs stark gestiegenen Energiepreise drohen Unternehmen und Privathaushalte schwer zu belasten.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) warnte vor einer Kostenexplosion für Firmen und forderte die Bundesregierung zu kurzfristigen Stabilisierungsmaßnahmen auf. Politiker der Ampel-Koalition stellten zusätzliche Entlastungsmaßnahmen für Wirtschaft und Verbraucher in Aussicht.

Eine befristete Senkung der Mehrwertsteuer, die zum Beispiel von der Union gefordert wird, soll es nach Aussage von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) aber nicht geben. "Wenn die Union eine so genannte Spritpreisbremse fordert, dann muss sie sagen, was sie im Haushalt kürzen will", sagte Lindner dem Berliner "Tagesspiegel" (Sonntag). "Oder sie muss bekennen, dass sie dafür neue Schulden aufzunehmen bereit ist."

Die Regierung arbeite jedoch an Maßnahmen, sagte Lindner der Deutschen Presse-Agentur. Er gehe davon aus, dass "in Kürze" weitere Beschlüsse gefasst werden. Die hohen Preise seien eine Belastung für Menschen und Betriebe, der Staat dürfe die Menschen damit nicht alleine lassen. "Als liberaler Finanzminister habe ich mich schon vor der Krise für strukturelle steuerliche Entlastungen ausgesprochen. Jetzt brauchen wir allerdings schnelle und flexible Lösungen, die wirklich bei den Menschen ankommen", so der Minister.

SPD-Fraktionsvize will Entlastungspaket nachbessern

SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch stellte dazu auch Nachbesserungen beim Entlastungspaket der Ampel in Aussicht. Das Maßnahmenbündel - unter anderem mit einer befristeten Anhebung der Pendlerpauschale und einer vorgezogenen Abschaffung der EEG-Umlage über die Stromrechnung - hatten die Spitzen von SPD, Grünen und FDP Ende Februar beschlossen. Seitdem sind die Energiepreise aber noch weiter gestiegen.

"Die einzelnen Maßnahmen werden jetzt zügig umgesetzt und falls nötig sogar noch einmal verschärft", sagte Miersch der "Rheinischen Post" (Montag). Besonders der Heizkostenzuschuss für einkommensschwache Haushalte sollte seiner Meinung nach spürbar erhöht werden.

Baden-Württembergs Finanzminister Danyal Bayaz fordert vom Bund wegen steigender Preise für Energie und Lebensmittel mehr finanzielle Hilfe für Ärmere und Familien. "Wir stehen vor schwierigen Zeiten", sagte der Grünen-Politiker der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart. Aus seiner Sicht wäre ein "sozial gestaffeltes Energiegeld" die richtige Maßnahme. "Das wäre eine Direktzahlung an Bürgerinnen und Bürger."

Auch der Industrie gehen die beschlossenen Entlastungen nicht weit genug. Die vorgezogene Abschaffung der EEG-Umlage über die Stromrechnung sei ein wichtiges Signal, sagte der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks. "Sie kann aber nur einen Bruchteil der höheren Beschaffungskosten ausgleichen. Nötig sind jetzt kurzfristige Stabilisierungsmaßnahmen, etwa eine Absenkung der staatlichen Umlagen und der Stromsteuer zusammen mit zinsgünstigen KfW-Krediten oder sogar direkten Notfallzahlungen."

Kredit-Hilfsprogramm für Unternehmen in Arbeit

Die Bundesregierung arbeitet für Unternehmen aktuell an einem Kredit-Hilfsprogramm. Das soll diejenigen Unternehmen unterstützen, die von den EU-Sanktionen gegen Russland hart getroffen sind. Wie die "Bild"-Zeitung (Samstag) meldete, sind auch Überbrückungshilfen für Unternehmen im Gespräch, die stark gestiegene Rohstoffpreise nicht mehr tragen können. Außerdem werde eine Verlängerung der Kurzarbeiter-Regelung über den 30. Juni hinaus geprüft sowie eine nochmalige Anhebung der Pendlerpauschale.

Grund für die Notlage der Industrie ist, dass aktuell jede zweite Firma ihre Strom- und Gasversorgung für das laufende Jahr noch vertraglich absichern muss, wie der DIHK unter Verweis auf eine aktuelle Firmenbefragung erklärte. "Damit steht jedes zweite Unternehmen vor einer Kostenexplosion, die kaum aufzufangen ist", so Dercks. Bei Ausbruch des Krieges habe die Hälfte der Unternehmen ihre Strom- und Gasbeschaffung für das laufende Jahr noch nicht abgeschlossen gehabt, hieß es unter Verweis auf 2000 Rückmeldungen von Unternehmen aus allen Branchen.

Die hohe Zahl erkläre sich daraus, dass viele Unternehmen auf Grund der bereits extrem hohen Preise der vergangenen Monate abgewartet oder nur für kurze Zeiträume Lieferverträge abgeschlossen haben. In der Vergangenheit hätten viele Betriebe einmal im Jahr für die kommenden zwölf Monate beschafft. "Das hat sich durch die aktuelle Preisspirale deutlich verändert", so Dercks. Ein mittleres Unternehmen aus der Glasindustrie habe 2015 im Schnitt noch 100.000 Euro pro Monat für seine Energieversorgung bezahlt. Aktuell sei dafür der fünf- bis sechsfache Betrag fällig, manchmal sogar noch mehr.

Habeck warnt vor EU-Embargo für russische Energie

Noch deutlich schwerere Folgen drohen für die Wirtschaft im Fall eines generellen EU-Embargos russischer Energielieferungen. Mehrere Wirtschaftsverbände hatten zuletzt davor gewarnt, ebenso wie Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne). Dieser sagte der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung": "Wir reden bei einem sofortigen Importstopp über Versorgungsengpässe im nächsten Winter, über Wirtschaftseinbrüche und hohe Inflation, über Hunderttausende Menschen, die ihre Arbeit verlieren, und über Menschen, für die der Weg zur Arbeit kaum bezahlbar wird, Heizen und Strom ebenso."

Der Minister sieht aber Fortschritte in den Bemühungen, die Abhängigkeit Deutschlands von russischem Öl, Kohle und Gas zu verringern. "Jeden Tag, ja faktisch jede Stunde verabschieden wir uns ein Stück weit von russischen Importen", sagte der Grünen-Politiker der Zeitung. "Wenn es gelingt, sind wir im Herbst unabhängig von russischer Kohle und Ende des Jahres nahezu unabhängig von Öl aus Russland. Bei Gas ist es komplizierter, weil wir keine eigenen LNG-Importkapazitäten haben. Die schaffen wir jetzt unter Hochdruck."

Deutschland ist bisher abhängig von Energieimporten aus Russland. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums liegt der Anteil russischer Importe an den fossilen Gasimporten nach Deutschland bei rund 55 Prozent, bei Kohle bei rund 50 Prozent und bei Rohöleinfuhren bei rund 35 Prozent.

© dpa-infocom, dpa:220313-99-497905/10