Sicherheitsgewerbe in Hamburg

Sicherheitsdienste suchen in der Pandemie nach Obdachlosen

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Julia Dehati arbeitet  seit  17 Jahren beim Sicherheitsdienst Securitas in Hamburg. Die Corona-Pandemie hat ihre Arbeit verändert.

Julia Dehati arbeitet seit 17 Jahren beim Sicherheitsdienst Securitas in Hamburg. Die Corona-Pandemie hat ihre Arbeit verändert.

Foto: Michael Rauhe / Michael Rauhe / FUNKE Foto Services

Während Corona hat sich die Arbeit von Securitas und Co. stark verändert. Marktführer in Hamburg hat deutliche Umsatzeinbußen.

Hamburg. Auf dem Kellerboden liegt ein Umzugskarton, daneben ein fleckiges Laken und ein Muskelshirt. Dort wohnt jemand. Auch zwei umgedrehte Kisten stehen im Raum, sie sehen aus wie Hocker. Ein Karton lehnt hochkant an der Wand, schafft Sichtschutz zum Gang. „Der hat sich ein richtiges Nest gebaut“, sagt Julia Dehati. Die 33-Jährige steht in einem Keller an der Wohlwillstraße auf St. Pauli. Sie kontrolliert, ob Obdachlose dort illegal ihr Lager aufschlagen.

Auf Dehatis dunkelblauen Schulterklappen schimmert ein silberner Balken. Er zeigt ihren Dienstgrad an: Sie ist Einsatzleiterin beim Sicherheitsdienst Securitas in Hamburg. Ihre mobile Einheit fährt von Haus zu Haus, mittlerweile sogar häufiger als noch vor der Corona-Pandemie. Das liege daran, weil Tagesstätten für Obdachlose oft geschlossen seien, sagt sie. Eine Folge von Corona. Stattdessen würden sie sich im Treppenhaus, auf dem Dachboden oder im Keller von Wohnhäusern aufhalten und auch über Nacht bleiben. Hausverwaltungen beauftragen deshalb Sicherheitskräfte wie Dehati. Sie sollen die unerwünschten Gäste hinausbegleiten.

Sicherheitsdienst in Hamburg viel mit Obdachlosen zu tun

„Mir tut’s tatsächlich leid mit den Obdachlosen, weil sie nicht wissen, wo sie hin sollen“, sagt Dehati. Sie folgt bei ihrem Streifzug im Keller jedem Abzweig, schaut um die Ecken und in die Nischen. Dann entdeckt sie ein zweites Versteck. In einem Raum ist eine Plastiktüte ausgebreitet. Ein T-Shirt liegt auf dem Boden. „Das sieht so aus, als hätte hier mal jemand geschlafen.“ Sie zeigt auf die durchgeknipsten Drahtmaschen an der Tür gegenüber. „Die Obdachlosen nehmen sich die Sachen und bauen damit ihr Nest“, sagt sie.

Neben den zusätzlichen Hauskontrollen hat sich für Julia Dehati nicht viel verändert. Sie kümmert sich um den Objektschutz, also um Wohnhäuser, Büroflächen oder Arztpraxen. Die Objekte müssen auch in der Corona-Zeit geschützt werden, ihre Alarmanlagen laufen weiter und senden Warnsignale an die Einsatztruppe. Für das Unternehmen Securitas hat sich hingegen deutlich mehr verändert. Manche Beschäftigte helfen nun im Impfzentrum, andere in den Bezirksämtern. Sie bringen Hilfsmittel zu den Auftraggebern, zum Beispiel zu Fiebermessstationen.

Der Securitas-Umsatz in Hamburg ist stark gesunken

Doch die neuen Aufträge konnten die Einbußen im Corona-Jahr nicht auffangen, sagt Securitas-Geschäftsführer Jens Müller. Die Hansestadt sei härter getroffen als andere Standorte. Kaum Flüge, Kreuzfahrten oder Handel, keine Konzerte und Messen Der Securitas-Umsatz in Hamburg sei im Vergleich zum Vorjahr um fast 20 Prozent eingebrochen, bundesweit um zehn Prozent. Für 2021 erwartet Müller aber wieder bessere Zahlen.

„Wir werden in Hamburg nicht auf dem Umsatzniveau des Jahres 2019 landen können. Ich gehe aber davon aus, dass wir 2021 in Hamburg leicht über dem Stand von 2020 liegen werden.“ Securitas in ganz Deutschland könnte außerdem den Umsatz von 2019 leicht übersteigen, sagt Müller.

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Securitas ist bundesweit Marktführer im Sicherheitsgewerbe. Die Unternehmenszahlen lassen sich allerdings nicht auf die Branche übertragen. Dort ist die Lage aktuell deutlich entspannter. Dem Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Sicherheitswirtschaft (BDSW), Harald Olschok, liegen die vorläufigen Daten des Statistischen Bundesamts vor. Demzufolge sei der Branchenumsatz im Corona-Jahr um 4,6 Prozent gestiegen. Während der Umsatz 2019 noch bei 8,81 Milliarden Euro lag, kletterte er 2020 auf 9,21 Milliarden Euro.

Zugangskontrollen bei den Supermärkten

Olschok erklärt sich den Anstieg durch die zusätzlichen Zugangskontrollen an Supermärkten, Krankenhäusern und Impfzentren. „Da sind Hunderte oder Tausende Beschäftigte in der Branche dazugekommen, die kontrollieren, ob Besucher angemeldet sind und die Abstandsgebote eingehalten werden.“ Der Präsident des BDSW vermutet, dass die Umsatzeinbußen von Securitas vor allem auf den eingeschränkten Luftverkehr zurückzuführen sind.

Im Alltag von Julia Dehati ist vom Einbruch des Securitas-Umsatzes nichts zu spüren. Sie hat den Kellerrundgang abgeschlossen und sitzt wieder in ihrem Dienstwagen, um ins Büro zu fahren. Dort bereitet sie die Touren ihrer Einsatztruppe vor. Als sie sich anschnallt, klingelt ihr Arbeitshandy. Einbruchalarm in einer Arztpraxis in Schenefeld. „Ist das laut“, sagt sie, als sei sie die Lautstärke nicht gewöhnt. Dann stoppt der Ton. Ihr Kollege hat den Einsatz angenommen.

Sicherheitsdienst ist nach wie vor männerdominiert

Seit 17 Jahren arbeitet Dehati schon für Securitas. Nach der Schule hat sie dort eine Ausbildung zur „Fachkraft für Schutz und Sicherheit“ absolviert und ist geblieben. „Als ich jung war, musste ich mich sehr durchbeißen“, sagt sie. Die Männer hätten bis dahin kaum mit Frauen zusammengearbeitet. „Sie haben über mich geschmunzelt, so nach dem Motto: Wir gucken erstmal, wie du das hinkriegst.“

Über die Jahre habe sich die Skepsis der Kollegen gelegt. Männerdominiert ist ihr Team dennoch. 33 Männer und drei Frauen sind der Einsatzleiterin unterstellt. Sie hofft, dass es bald mehr werden. Noch einen Wunsch hegt sie: Dehati möchte Bereichsleiterin werden. Dann würde sie nur noch im Büro arbeiten und Einsätze für ein größeres Team planen. Doch aktuell ist sie mit ihrem Job sehr zufrieden, sagt sie.

Kompromiss bei den Tarifverhandlungen

Kritik an der Arbeit, dem Arbeitgeber oder der Branche äußert sie nicht. Auch nicht am zähen Tarifstreit in der Hamburger Wach- und Sicherheitsbranche, den die Gewerkschaft Ver.di und der Bundesverband der Sicherheitswirtschaft (BDWS) erst vor kurzem beigelegt haben. Dabei war das Verhältnis lange angespannt. Monatelang verhandelten sie um höhere Löhne. Die beiden Parteien einigten sich kurz vor Ostern.

Nun bekommen die 10.000 Beschäftigten im Hamburger Sicherheitsgewerbe in zwei Schritten 5,1 Prozent mehr Lohn: Zunächst steigt er um 1,95 Prozent, ab Mai noch einmal um 3,15 Prozent. „Mit diesem Abschluss haben wir in schwierigen Zeiten endlich einen für beide Seiten gleichermaßen erträglichen Kompromiss gefunden“, sagt Securitas-Geschäftsführer Müller, der sich auch als Vize-Präsident des BDSW und Vorsitzender der Landesgruppe engagiert.

Während der Gespräche beharrte er auf dem Standpunkt, dass der Erhalt der Arbeitsplätze wichtiger als ein überhöhter Lohn sei. Ihm zufolge hätten sich zu hohe Löhne in den Preisen niederschlagen, zu weniger Aufträgen und schließlich zu Kündigungen führen können. Dagegen argumentierte Ver.di-Verhandlungsführerin Tanja Chawla, die Lohnerhöhung sei überfällig gewesen, weil die Branche Corona-bedingte Umsatzeinbußen gut kompensiert habe. Am Ende stand wie immer bei Tarifgesprächen ein Kompromiss – für eine Branche, die turbulente Zeiten durchmacht.

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