Hamburg. Das Koch + Design Haus gibt auf. Kein Einzelfall. Die Pandemie dürfte den Einzelhandel in der Stadt langfristig verändern.

Ein funktionierendes Braten-Thermometer, die Backform für Mini-Gugelhupfs, ein scharfes Messer aus japanischer Fertigung oder auch ein Fleischwolf – wer rund um Hofweg und Mühlenkamp nach Kochutensilien sucht, hat eine Adresse. Eher unspektakulär, im Souterrain eines Gründerzeithauses, betreibt Barbara Engelhard seit 18 Jahren gemeinsam mit Mitarbeiterin Karin Jörg ihr kleines Fachgeschäft Koch + Design Haus. Damit ist bald Schluss.

Seit einiger Zeit hängen in den Schaufenstern große Schilder. „Räumungsverkauf“ steht darauf. Auf alles gibt es 20 Prozent Rabatt. „Ich habe immer mal wieder über die Geschäftsaufgabe nachgedacht“, sagt die 65 Jahre alte Einzelhändlerin. Allerdings eher theoretisch. „Dann kam Corona, und das hat die Entscheidung beschleunigt.“ Nachdem sich in dieser Situation kein Nachfolger fand, steht fest: Spätestens am 28. Februar schließt das einzige Fachgeschäft für Küche und Haushalt in der Gegend.

Handelsverband befürchtet eine dramatische Pleitewelle

Dass Läden aus dem Stadtbild verschwinden, wird in den nächsten Monaten wohl häufiger passieren. Der Handelsverband, Deutschlands mächtiger Interessenvertreter des Einzelhandels, befürchtet eine dramatische Pleitewelle. Zweimal mussten die Geschäfte seit Beginn der Corona-Pandemie schon dichtmachen. Der aktuelle Lockdown dauert inzwischen bereits sechs Wochen – und es ist kein Ende in Sicht. Auch vorher schon waren viele Menschen im Internet auf Shoppingtour, aber Corona gibt dem Strukturwandel der Branche ordentlich Schub. Der Onlinehandel hat im vergangenen Jahr noch mal deutlich auf knapp 15 Prozent zugelegt.

Betroffen von der Krise des Einzelhandels sind nicht mehr nur die kleinen inhabergeführten Läden, auch die Warenhauskette Galeria Karstadt Kaufhof war im Sommer nur mit der Schließung von mehr als 40 Kauf- und Sporthäusern aus der Krise gekommen. Auch Modefilialist Adler oder Sporthändler Stadium Deutschland haben Insolvenz angemeldet und werden Läden schließen. Zuletzt traf es den Süßwaren-Hersteller Arko in Schleswig-Holstein, der sich mit einer Insolvenz in Eigenregie sanieren will.

Insolvenzrisiko steigt von Woche zu Woche

„Das Insolvenzrisiko steigt von Woche zu Woche, wenn die Wirtschaftshilfen nicht so angepasst werden, wie der Handel es braucht“, sagt Brigitte Nolte, Hamburger Geschäftsführerin des Handelsverbands Nord. Sie befürchtet, dass allein in der Hamburger Innenstadt ein Drittel der 1000 Unternehmen in eine existenzielle Notlage geraten könnten. Aus Sicht von Beobachtern könnte die Lage spätestens im Frühsommer, wenn die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht auslaufen könnte, richtig dramatisch werden.

Im Koch + Design Haus läuft seit Anfang Januar der Ausverkauf. Als der harte Lockdown Mitte Dezember kam, hatte Inhaberin Barbara Engelhard den Entschluss gefasst, den Laden komplett dichtzumachen. Das war nicht einfach. Denn der kleine Laden ist auch ihr Leben. Etwas anderes habe sie nie machen wollen, sagt die gelernte Einzelhandelskauffrau, die zuvor schon 18 Jahre einen Küchenladen in Nordrhein-Westfalen betrieben hatte. „Ich backe sehr gern“, sagt sie.

Leere Geschäfte in Hamburger Einkaufsstraßen

Gemeinsam mit Mitarbeiterin Karin Jörg, einer leidenschaftlichen Köchin, konnte sie quasi bei jeder Fragestellung die optimale Beratung bieten. Dieses Jahr war es allerdings ein ständiges Auf und Ab. Und obwohl die Umsätze im Sommer sogar überdurchschnittlich waren, sei das Ergebnis über das Jahr gerechnet rückläufig. Auch das Weihnachtsgeschäft war – abgesehen von den beiden Tagen vor der Corona-Schließung – wegen Kontaktbeschränkungen und Abstandsregelungen weniger gut als erwartet.

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

„Ich habe mir dann die Frage gestellt, ob ich in meinem Alter noch mal in finanzielle Probleme rutschen will und einen Kredit beantragen soll, den ich ja irgendwann zurückzahlen muss.“ Die Antwort war: Nein. Immer wieder sieht man in Hamburger Einkaufsstraßen inzwischen leere Geschäfte. Im Eppendorfer Baum gibt es ein halbes Dutzend Leerstände.

Rabatte von 70 Prozent

In der Hoheluftchaussee hat Heiligabend der Laden Blumen und Geschenke geschlossen – auch wegen Corona. „Leider bedeutet für uns der Wegfall der Dekorationen für Gastronomie, Hotellerie, Messe und private Events jetzt das Aus“, steht auf einem Zettel, den Eigentümerin Anja Stöwer ins Fenster gehängt hat. Daneben klebt ein Schild „Zu vermieten“. Auch in der Innenstadt können Ladenlokale schon seit Längerem nicht mehr nahtlos wieder vermietet werden, wie lange Leerstände in begehrten Lagen etwa an der Mönckebergstraße oder im Passagenviertel zeigen.

Aktuell hat im Kaufmannshaus an der Bleichenbrücke das Modeunternehmen Guess eine große Fläche geräumt, nebenan bei Escada hängen Rabattschilder. Auch der Luxushersteller hat Insolvenz angemeldet und schließt die Filialen in Deutschland. Ebenfalls mit Rabatten von 70 Prozent wirbt der Laden My New Brandstore am Jungfernstieg, der zum Hamburger Unternehmen Esta Moda gehört.

Viele Kunden kauften im ersten Lockdown Gutscheine

Küchenladen-Besitzerin Barbara Engelhard auf der Uhlenhorst muss ihren Räumungsverkauf jetzt im Corona-Lockdown organisieren. „Das ist ein einziges Abenteuer“, sagt sie. Aber es läuft irgendwie. An diesem Tag schließt Mitarbeiterin Karin Jörg um Punkt 11.00 Uhr den Laden auf, stellt einen Tisch von innen in die Tür und hängt eine Kette mit einem Schild auf, das auf das Click&Collect-Angebot hinweist.

An diesem Morgen wartet draußen schon Wally Brandler. Sie will einen Spezialhandschuh für die Benutzung mit einer Reibe abholen, den sie auf dem Instagram-Kanal vom Koch + Design Haus entdeckt und bestellt hat. Beraten dürfen Engelhard und Jörg nicht. „Es ist so schade, dass der Laden zumacht“, sagt die junge Frau. Um das Geschäft leer zu bekommen, postet Karin Jörg jeden Tag fünf bis zehn Artikel auf sozialen Medien wie Facebook und Instagram. Chefin Barbara Engelhard ist für die Bestellung am Telefon und per E-Mail zuständig. „Teilweise standen die Kunden vor dem Schaufenster und können genau beschreiben, was sie kaufen möchten“, sagt die Einzelhändlerin.

Lesen Sie auch:

Auf dem Fußboden vor dem Kassentresen stehen diverse Bestellungen aufgereiht. Ein großer Bräter, ein Maßbecher, ein Kaffeefilter aus Porzellan und ein Pizzaschneider warten auf Abholung. „Als Erstes waren die großen gusseisernen Töpfe, die großen Pfannen und teuren Messer weg“, sagt Koch+Design-Haus-Mitarbeiterin Jörg. „Manche wollen den Rabatt gar nicht. Sie sagen, wir wollen, dass ihr bleibt.“ Im ersten Lockdown gab es Kunden, die Gutscheine über 500 Euro gekauft haben, um Engelhard zu unterstützen.

Karin Jörg war damals mit ihrer Vespa durch Winterhude und Eppendorf gefahren, um Bestellungen auszufahren. Der Optimismus von damals ist jetzt verschwunden. „Mir tut es leid für die Stammkunden“, sagt Barbara Engelhard, wenn sie über die Geschäftsschließung spricht. Auch für die Straße, die wieder ein inhabergeführtes Fachgeschäft verliert. „Ich habe das Gefühl, ich verlasse eine Familie“, so die Geschäftsfrau. Das ist die eine Seite. Aber Engelhard sagt auch: „Je länger die Pandemie dauert, desto froher bin ich, dass ich ab Ende Februar mit der geschäftlichen Lage nichts mehr zu tun habe.“

Hamburgs Corona-Regeln:

Die aktuellen Corona-Regeln für Hamburg im Überblick

  • Alle Regeln, die im Rahmen der Eindämmungsverordnung bis zum 10. Januar gelten sollten, werden grundsätzlich bis zum 14. Februar verlängert – ein Großteil des Einzelhandels bleibt geschlossen, bestellte Waren dürfen aber abgeholt werden. "Körpernahe Dienstleistungen" wie Friseure, Nagel-, Massage- und Tattoo-Studios dürfen nicht angeboten werden. Auch Kultur- und Freizeiteinrichtungen bleiben geschlossen, Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit bleibt verboten.
  • Kontaktregeln Angehörige eines Haushalts dürfen sich nur noch mit einer weiteren Person treffen. Ausnahmen für Kinder gibt es nicht.
  • Die Maskenpflicht wird angepasst: Stoffmasken reichen in den meisten Fällen nicht mehr aus. Stattdessen müssen medizinische Masken (mindestens OP-Masken, auch FFP2- oder KN95-Masken sind möglich) getragen werden. Bis zum 1. Februar gilt eine Übergangsphase, danach werden Verstöße mit Bußgeldern geahndet.
  • Kitas und Schulen: Die Präsenzpflicht an den Schulen bleibt aufgehoben, stattdessen soll so weit wie möglich Distanzunterricht gegeben werden. Kinder sollen – wann immer möglich – zu Hause betreut werden. Die Kitas wechseln in die "erweiterte Notbetreuung". Die privat organisierte Kinderbetreuung in Kleingruppen bleibt gestattet.
  • Arbeitgeber sind angehalten, so weit wie möglich ein Arbeiten von zu Hause aus zu ermöglichen. Zusätzlich soll eine neue Bundesverordnung Arbeitgeber dazu verpflichten, Homeoffice anzubieten, so weit das möglich ist. Betriebskantinen dürfen nur öffnen, wenn sie für den Arbeitsablauf zwingend erforderlich sind.
  • Sollte die Sieben-Tage-Inzidenz auf einen Wert über 200 steigen, müsste eine Ausgangsbeschränkung erlassen werden, die den Bewegungsradius auf 15 Kilometer rund um den Wohnort einschränkt. Wie genau diese Regel in Hamburg angewandt würde, ist noch nicht bekannt – der Senat will darüber entscheiden, sollte sich die Inzidenz dem Grenzwert annähern.
  • Senioren- und Pflegeeinrichtungen sollen mehrmals pro Woche Personal und Besucher testen. Das war in Hamburg schon verpflichtend und gilt nun bundesweit.
  • Zwei-Test-Strategie bei Reiserückkehrern aus Risikogebieten: Ein Corona-Test direkt nach der Einreise ist verpflichtend, die zehntägige Quarantäne kann frühestens fünf Tage nach der Einreise durch einen weiteren Test verkürzt werden. Die Kosten für die Tests werden nicht übernommen.