Hamburg. Einer wird Lokführer, eine andere findet keinen neuen Job – und eine dritte ist sauer auf ihren früheren Arbeitgeber.

Am letzten Tag war Eugen Kellermann einer von denen, die die Türen des Kaufhofs in der Mönckebergstraße für immer zugemacht haben. „Es war ein bewegender Moment“, sagt er. Draußen standen Kunden und klatschten, drinnen sangen die Mitarbeiter „In Hamburg sagt man Tschüs.“ Und Kellermann, der von sich selbst sagt, dass er Gefühle nicht in der Öffentlichkeit zeigt, standen die Tränen in den Augen. „Es war etwas zu Ende, dass 16 Jahre lang ein großer Teil meines Lebens war.“

Das war Mitte Oktober. Jetzt steht der 40-Jährige auf dem Bahnhof Altona vor einem ICE, der in wenigen Minuten abfährt. Er hat, wenn man so will, die Fahrkarte für seine Zukunft in der Tasche. Anfang Februar beginnt der gelernte Kaufmann eine Ausbildung als Lokführer. Wenn alles klappt, steht er im nächsten Jahr in blau-roter Uniform selbst im Führerstand und steuert ICE-Züge durch Deutschland.

Kaufhof/Karstadt: Viele Ehemalige sind ratlos

Gut drei Monate nach der Schließung des Traditionskaufhauses in der Mönckebergstraße ist Kellermann einer der wenigen von 170 ehemaligen Mitarbeitern, die wissen, wie es weitergeht. Ende der Woche, am 31. Januar, ist auch die frühere Karstadt-Filiale in Bergedorf Geschichte. 60 Männer und Frauen waren dort zuletzt beschäftigt und haben ebenfalls eine Kündigung erhalten.

Nach Angaben von Arbeitnehmervertretern hat etwa die Hälfte der insgesamt 230 betroffenen Galeria-Mitarbeitern das Angebot angenommen, in eine sechsmonatige Transfergesellschaft mit Gehaltsaufstockung und Qualifizierungsangeboten zu wechseln. Eine Abendblatt-Anfrage, wie viele der langjährigen Beschäftigten inzwischen einen neuen Job haben, beantwortete der Handelskonzern nicht. Die Zahl derjenigen Beschäftigten, die in einem der fünf verbliebenen Galeria-Häuser untergekommen sind, liegt nach Abendblatt-Recherchen unter zehn. Und die Aussichten einen neuen Arbeitgeber zu finden, sinken mit jedem Tag, den der Corona-Lockdown andauert.

Ein Dutzend Bewerbungen hat Josefa Runge schon geschrieben

Josefa Runge hat schon mehr als ein Dutzend Bewerbungen geschrieben. „Ich finde nichts“, sagt die Hamburgerin, die ihre beiden Kinder allein großzieht. Die 33-Jährige, die ihre Ausbildung bei Kaufhof in Neubrandenburg gemacht hatte, war seit 2007 in der Filiale an der Mö. Bis zur Geburt ihrer Tochter vor acht Jahren verkaufte sie Klein-Elektrogeräte, danach wechselte sie in die Lebensmittel-Abteilung des Kaufhofs an der Mö. Jetzt ist sie in der Transfergesellschaft.

Lesen Sie auch:

Als klar wurde, dass die Schließung nicht mehr abzuwenden ist, hatte sich die Einzelhandelskauffrau bei mehreren Kitas um eine berufsbegleitende Ausbildung als Erzieherin bemüht. „Aber das hat alles nicht geklappt“, sagt Josefa Runge, die alle Josi nennen. Auch Bewerbungsgespräche bei Rewe und bei einem Toom-Baumarkt waren schnell zu Ende. „Ich bin wegen der Kinder zeitlich nicht so flexibel.“ Vor allem sonnabends könne sie ihre Kinder nur begrenzt unterbringen. „Wenn ich das gesagt habe, hieß es gleich, dann brauchen wir gar nicht weiterzureden“, sagt sie.

Es droht die Arbeitslosigkeit – und das Geld wird knapp

Inzwischen hat Josefa Runge die Hoffnungen auf einen schnellen Anschlussjob begraben. Der Abstieg von der langjährigen Kaufhof-Beschäftigten mit gutem Gehalt macht ihr zu schaffen. Und dann ist da noch die Enttäuschung, das Gefühl von Ohnmacht und ja, auch Wut, darüber, wie das Ende gelaufen ist. Inzwischen drängt zudem die Zeit.

Josefa
Josefa "Josi" Runge mit ihren Kindern Liv und Don. Die 33-Jährige ist alleinerziehend – und hat seit dem Aus für Kaufhof an der Mö noch keinen neuen Job gefunden. © HA | Marcelo Hernandez

Nach dem Auslaufen der Transfergesellschaft Ende April droht die Arbeitslosigkeit – mit wachsenden finanziellen Sorgen. Im Moment stockt Galeria das Arbeitslosengeld noch um 13 Prozent auf, sodass die kleine Familie mit Kinderzuschlägen und Unterhaltszahlungen etwa 2000 Euro netto im Monat zur Verfügung hat. „Davon sind mehr als 700 Euro Miete“, sagt Josi Runge. Insgesamt summieren sich die Fixkosten auf monatlich 1400 Euro. Wenn ab Mai der Galeria-Zuschuss ausläuft, werde das Geld kaum reichen. „Dann muss ich zum Jobcenter“, sagt sie und man hört, wie schwer die Existenzängste sie belasten.

Corona lässt Arbeitslosigkeit im Einzelhandel um fast ein Viertel steigen

Seit dem Beginn der Corona-Pandemie ist die Arbeitslosigkeit im Hamburger Einzelhandel um 23 Prozent gestiegen. Inzwischen kommt gut jeder zehnte der etwa 80.000 Arbeitslosen in der Hansestadt aus einem Verkaufsberuf. Nach Angaben der Agentur für Arbeit suchten Ende Dezember 1600 Frauen und Männer einen Job in dem Bereich. Demgegenüber stehen 700 offene Stellen.

Auch diese Zahl hat um ein Drittel abgenommen. „Ein Jahr zuvor gab es noch mehr als 1000 freie Stellen“, sagt der Sprecher der Arbeitsagentur, Knut Böhrnsen. Eine Besserung ist angesichts der aktuellen Geschäftsschließungen bis mindestens Mitte Februar nicht in Sicht. Stattdessen melden immer mehr Händler Kurzarbeit an.

Schwerbehindert und dennoch gekündigt

Auch Maria Piske hat bislang keine neue Arbeit gefunden. Für die 60-Jährige, die nach einer Erkrankung schwerbehindert ist, ist die Situation besonders schwierig. „Mir ist zwar angeboten worden, nach Magdeburg zu gehen“, sagt sie. Aber das sei für sie angesichts ihrer familiären Situation nicht infrage gekommen. Einen Job in einem der Hamburger Häuser bekam die Frau mit Schwerbehindertenstatus nicht. Stattdessen wurde ihr zum Jahresende gekündigt.

Die Folge: Die gebürtige Französin, die fast vier Jahrzehnte lang für Kaufhof gearbeitet hat, konnte nicht in die Transfergesellschaft wechseln und bekommt jetzt Arbeitslosengeld. „Im Vergleich zu früher habe ich 650 Euro weniger“, sagt sie. Besonders schmerzhaft für die langjährige Galeria-Beschäftigte: Wegen des laufenden Insolvenzverfahrens stand ihr nur eine Abfindung von 1,5 Monatsgehältern zu. In Piskes Fall waren das 4000 Euro – brutto. „Dass ich vier Jahre vor der Rente im Unternehmen so abserviert wurde, ist sehr bitter“, sagt sie. Jetzt sucht sie einen Bürojob. Im Verkauf sieht sie keine Perspektive für sich.

Vom Verkäufer zum Lokführer – ein sicherer Job

Auch der zukünftige Lokführer Eugen Kellermann geht das Wagnis eines kompletten Neuanfangs ein. „Ich hatte beschlossen, wenn ich meinen Job bei Galeria verliere, dann versuche ich etwas zu finden, dass ich mit Leidenschaft machen kann“, sagt er. Mitte November hatte sich der Hamburger bei der Deutschen Bahn für einen Quereinstieg beworben. „Das ist mein Traum“, sagt Kellermann, der zuletzt Chef des Kassenteams mit gut 40 Mitarbeitern war. Bei der Bahn steht der angehende Triebfahrzeugführer, wie die Berufsbezeichnung offiziell heißt, vor komplett anderen Herausforderungen.

Schon wenige Wochen nach seiner Bewerbung hatte der Vater von drei kleinen Kindern das Auswahlverfahren mit medizinischen und psychologischen Eignungstests bestanden. „Bei uns zu Hause war die Freude riesig“, sagt er. Manchmal, so wirkt es, kann er es selbst noch gar nicht fassen, dass er es geschafft hat. In den nächsten zehn Monaten drückt Kellermann jetzt wieder die Schulbank. Danach folgt der praktische Teil der Ausbildung. Auch finanziell könnte sich der Umstieg lohnen. Während der Ausbildung zahlt die Bahn 2600 Euro, danach verdient ein Lokführer ein Bruttogehalt zwischen 42.000 und 51.000 Euro. Und fast noch wichtiger: Die Bahn verspricht einen sicheren Arbeitsplatz.

Der Corona-Lockdown bringt die Zukunftsängste zurück

Denn auch die Mitarbeiter, die innerhalb des Warenhauskonzerns einen neuen Arbeitsplatz gefunden haben, müssen wieder zittern. „Ich war so froh, dass ich in die Filiale im Alstertal-Einkaufszentrum wechseln konnte“, sagt Kerstin Liebrecht. Der Übergang war nahtlos. Am 1. November hat die 58-Jährige, die im Kaufhof an der Mönckebergstraße lange in der Abteilung für Accessoires und Strümpfe gearbeitet hatte, dort angefangen. Gerade mal sechs Wochen später saß sie wieder zu Hause. Seit die meisten Geschäfte erneut im Corona-Lockdown sind, hat das Unternehmen die meisten Beschäftigten in den bundesweit verbliebenen 130 Kaufhäusern in Kurzarbeit geschickt.

Damit kehren auch die Zukunftsängste zurück. „Man hat das Tag für Tag, Nacht für Nacht im Kopf“, sagt Liebrecht. Mitte Januar kam die Nachricht, dass sie wieder arbeiten kann. „Das Online-Geschäft geht ja trotz Geschäftsschließungen weiter.“ Statt Waren auszupacken, einzusortieren und aufzuräumen, verschicken sie und ihre Kollegen aus dem Warenwirtschaftsteam jetzt Online-Bestellungen und bereiten georderte Produkte zur Abholung vor. Wie lange? Die Bramfelderin weiß es nicht.

Angesichts von Umsatzausfällen in Millionenhöhe hatte der Gesamtbetriebsrat des Konzerns mit bundesweit 27.500 Beschäftigten gerade erneut Alarm geschlagen. Inzwischen laufen Branchenberichten zufolge Verhandlungen über einen Staatskredit in Millionenhöhe.