Hamburg. Handelskammer bringt in Zukunftplan das Opfer des Stadtteils zugunsten der Hafenerweiterung ins Spiel. Wie reagiert der Senat?

Er war während seiner Entstehung stark umstritten und hat politische Sprengkraft: Die Handelskammer Hamburg hat einen Zukunftsplan für den Hamburger Hafen erstellt, der es in sich hat. Das Plenum hat das Papier in seiner Dezember-Sitzung verabschiedet und damit zur offiziellen Position der Kammer erklärt. Am Dienstag wird es der Öffentlichkeit vorgestellt – und im Rathaus für Gesprächsstoff sorgen.

Denn neben einer Vielzahl von Vorschlägen, wie Hamburg seinen Hafen im internationalen Wettbewerb wieder flottmachen kann und sollte, widmet sich der 31 Seiten starke Plan einem Thema, an dem viele Jahre lang niemand rühren wollte: der Zukunft des Stadtteils Moorburg. Seit 1982 gehört er dem Hafenentwicklungsgesetz zufolge zum Hafenerweiterungsgebiet – als Flächenreserve, wenn der Hafen stark wächst. Die Handelskammer stößt nun eine Diskussion darüber an, genau diese Reserve zu nutzen.

Moorburg für die Hafennutzung? Senat scheute sich bislang

Das ist ein Bruch der stillschweigenden Übereinkunft in der Stadt, an dem Thema nicht zu rütteln. Denn nach heftigen Auseinandersetzungen mit Anwohnern und Umweltschützern in den 1990er-Jahren war dieses Thema viele Jahre lang tabu. Obgleich der Hamburger Senat über die Jahrzehnte die meisten Grundstücke in Moorburg erworben hat und zugleich Flächen im Hafen knapp werden, scheute er sich bisher, den Stadtteil für die Hafennutzung heranzuziehen.

Der Grund: In Moorburg leben noch mehrere Hundert Menschen, 721 waren es Ende 2019 in Moorburg und Altenwerder zusammen, so das Statistik­amt. Und die müssten weichen, sollte der Hafen nach Moorburg wachsen. Das schmucke Dorf mit den alten Fachwerkhäusern entlang des Elbdeichs würde plattgemacht.

Rot-Grün hat verabredet, das Thema nicht anzufassen

SPD und Grüne wollen ihre gemeinsame Regierung an der Frage, was mit Moorburg geschieht, nicht scheitern lassen. In ihrem Koalitionsvertrag haben sie deshalb verabredet, dass das Gebiet in dieser Legislaturperiode bis 2024 nicht für die Hafennutzung in Anspruch genommen wird. Das Thema wird nicht angerührt.

Doch nun drängt die Wirtschaftsvertretung: „Angesichts der vorgegebenen rechtlichen Grundlagen durch das Hafen­entwicklungsgesetz besteht in diesem Gebiet vor allem eine große Herausforderung: den politischen Willen zu entwickeln, dieses Gebiet einer Hafennutzung zuzuführen“, heißt es im Zukunftsplan der Handelskammer. Die Politik soll sich also durchringen, das Thema anzupacken. Die Kammer fordert, dass Moorburg im Hafenentwicklungsplan 2040 zur Hafennutzung freigegeben wird. Unter einer Bedingung: Das, was dort entsteht, müsse eine „erhebliche wirtschaftliche Impulswirkung“ entfalten.

Moorburg als "Energie- und Klimahafen"?

Die Wirtschaftsvertretung vom Adolphsplatz präsentiert auch einen Nutzungsvorschlag. „Ursprünglich für den wachsenden Containerumschlag vorgesehen, hat Hamburg jetzt die Chance, dieses Gebiet als Standort für die Erzeugung klimafreundlicher Energie und alternativer Energieträger wie Wasserstoff zu positionieren.“

Das Aus für das Kohlekraftwerk Moorburg und die Überlegungen des Senats zum Bau einer Großanlage zur Wasserstoffelektrolyse könnten als Ausgangpunkt dienen, um Moorburg zu einem „Energie- und Klimahafen mit vor- und nachgelagerten Wertschöpfungsstufen“ zu entwickeln, so der Plan. „Moorburg würde damit einen bedeutenden Beitrag für Hamburg als eine Metropole leisten, die eine klimaneutrale, langfristig nachhaltige Stadt­entwicklung nicht nur predigt, sondern als leuchtendes Vorbild für andere Metropolen auch umsetzt“, heißt es in dem Papier.

Örtliche Bürgerinitiative vom Vorstoß alarmiert

Moorburg als Klimahafen? Vor Ort trifft die Idee auf erbitterten Widerstand. Die Bürgerinitiative „Runder Tisch Moorburg“, deren Kampf zum Erhalt des Dorfes gegen die Hafenerweiterung in den 90er-Jahren auch überregional für Aufsehen sorgte, sammelt schon wieder ihre Kräfte. „Ein Dorf auf Vorrat, für was auch immer, weiter zu zerstören, ist schlicht unanständig und zeugt nicht von Weitsicht im Hinblick auf eine nachhaltige Stadtteilentwicklung“, teilt die Initiative auf Anfrage mit.

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So wünschenswert die Entwicklung alternativer Wege zur klimafreundlichen Energieerzeugung auch sei – was habe das mit der Hafenentwicklung zu tun?, so der runde Tisch. Eine Vorratsplanung im Hafenentwicklungsgesetz vorzusehen sei verfassungswidrig. Zudem stehe mittelfristig durchaus genügend Platz für neue Industriestandorte im Bereich Energie zur Verfügung, weil die Öl verarbeitenden Raffinerien im Hamburger Süden keine Zukunftsperspektive hätten. Moorburg werde nicht benötigt, sagt Manfred Brandt, Ur-Moorburger und früherer Vorkämpfer des runden Tisches.

BUND: Handelskammer wolle ein ganzes Dorf opfern

Auch der BUND Hamburg reagiert mit scharfer Kritik. „Unter dem Deckmantel das Klimaschutzes versucht die Handelskammer eine unverantwortliche Verdrängungspolitik hoffähig zu machen und ein ganzes Dorf zu opfern“, sagt Landesvorsitzende Christiane Blömeke. Ein Zugriff auf Flächen in Moorburg sei aus Sicht der Umweltschützer nicht zu rechtfertigen. Die "ohnehin überfällige Transformation des Hafens" und die Dekarbonisierung der Wirtschaft würden ausreichend Flächen freisetzen. So stünden der Kohleumschlag im Hansahafen, die Autoverladung und die gesamte Mineralölindustrie auf der Hohen Schaar perspektivisch vor einem Um- und Abbau.

„Wirtschaftssenator Westhagemann ist gut beraten, endlich den neuen Hafenentwicklungsplan aufzustellen und den Tagträumen der Handelskammer ein Ende zu setzen", sagt Blömeke und fordert: "Der Stadtteil Moorburg muss eine dauerhafte Perspektive als Wohnort erhalten und aus dem Hafenerweiterungsgebiet entlassen werden."

Handelskammer rechtfertigt die Moorburg-Vision

Die Spitze der Handelskammer ist sich der Brisanz durchaus bewusst, rückt aber von ihrer Haltung nicht ab: „Die Nutzung von Moorburg – sowohl der Flächen des Kraftwerks als auch des alten Dorfgebiets – ist im Hafenentwicklungsplan als Hafengebiet vorgesehen“, sagte Kammer-Präses Norbert Aust dem Abendblatt. Die Inanspruchnahme des Dorfs bedinge aber eines besonders sensiblen Umgangs und eines guten Grunds im Gesamtinteresse Hamburgs.

„Die Klimawende wäre ein solcher Grund. Denn sie kann nur gelingen, wenn die wirtschaftlich notwendigen Maßnahmen ergriffen werden. Für die Klimawende ist es zwingend notwendig, Flächen für den Umschlag sowie die Erzeugung umweltfreundlicher Energie und Energieträger zur Verfügung zu stellen. Nur so können auch nachhaltige Industrien entwickelt und angesiedelt werden“, sagte Aust.

Die Diskussion beginnt. Der Senat wird sich mit der Zukunft Moorburgs befassen müssen, spätestens wenn es um den Standort einer Wasserstoffelek­trolyseanlage geht. Im Rathaus wird mit Spannung auf die Veröffentlichung des Hafenplans der Kammer am Dienstag gewartet.