Hamburg. Die Hamburger Felix Müller und Moritz Pagendarm haben einen Online-Marktplatz entwickelt, der Überführungsaufträge vermittelt.

Wenn jemand mit einem Mietwagen eines großen Anbieters von Hamburg nach Osnabrück oder nach Magdeburg fährt, dann wird dieses Auto einfach dort an den nächsten Kunden vermietet. Stellt man den Wagen aber im Ausland ab oder handelt es sich um ein besonders ausgefallenes Modell, dann geht das nicht – das Fahrzeug muss also zurückgefahren werden. Die beiden Hamburger Felix Müller und Moritz Pagendarm haben einen Online-Marktplatz entwickelt, der solche Überführungsaufträge vermittelt. „Damit können nicht nur Mitarbeiter von professionellen Fahrdienstleistern, sondern auch Studenten und Rentner, die mit ihrem Senioren-Bahnticket zum Startort reisen, an die Aufträge kommen“, sagt Müller.

Zwar sind die meisten Fahrten, die über die App mit dem Namen „Onlogist“ vergeben werden, nicht länger als etwa 150 Kilometer. Manche Touren führen allerdings über deutlich weitere Strecken. So gibt es für eine Überführungsfahrt von Hamburg nach München etwa 430 Euro, wobei Onlogist vom Auftragnehmer eine Vermittlungsprovision zwischen fünf und 15 Prozent des Preises erhält.

„Bei manchen Ortsnamen muss ich den alten Erdkunde-Atlas aufschlagen“

Schon eher ungewöhnlich ist ein Fahrauftrag von Lissabon nach Stuttgart (rund 1000 Euro). „Es mussten aber auch schon Autos aus Helsinki oder aus Litauen abgeholt werden“, sagt Müller: „Bei manchen Ortsnamen muss ich den alten Erdkunde-Atlas aufschlagen.“

Nach einem Studium der Betriebswirtschaftslehre in Maastricht und Buenos Aires war Müller nach Hamburg zurückgekehrt und hatte hier bei Unilever gearbeitet, bevor er vom Jahr 2009 an zusammen mit Pagendarm ein Bonusprogramm-Start-up aufbaute. „Wir haben uns damals gewundert, warum Einwegmieten bei Autovermietern so teuer sind“, sagt Müller: „Uns ist dann schnell klar geworden, dass Fahrzeugüberführungen ein großer Markt sind.“

Seit dem Start im Jahr 2015 ist Onlogist kräftig gewachsen. Anfangs wurde darüber eine fünfstellige Zahl von Aufträgen jährlich abgewickelt, heute sind es schon mehr als 400.000; damit ist das Unternehmen mit inzwischen 14 Beschäftigten nach eigenen Angaben der größte Marktplatz für Fahrzeugüberführungen in Europa. Ausgeführt werden die Aufträge von gut 500 Fahrdienstunternehmen – einige davon mit 20 bis 50 Beschäftigten – sowie 9000 selbstständigen Dienstleistern. „Man benötigt dazu einen Gewerbeschein, aber die Versicherung der Fahrt übernehmen wir“, sagt Müller. „Damit haben Einzelfahrer die gleiche Chance wie Unternehmen, an den Auftrag zu gelangen.“

Von der Vermittlung über die Abrechnung bis hin zur Regulierung eventueller Schäden ist alles digitalisiert

Nach Müllers Angaben werden über das Onlogist-System, das auch auf dem Smartphone nutzbar ist, 80 Prozent aller neu eingestellten Transportaufträge innerhalb von weniger als zehn Minuten vergeben. Die App schlägt auf Basis von gespeicherten Erfahrungswerten einen Preis vor, von dem die Auftraggeber wie auch die Dienstleister jedoch in einer Art Auktion abweichen können. Die Tankkosten übernimmt der Auftraggeber. Von der Vermittlung über die Abrechnung bis hin zur Regulierung eventueller Schäden ist alles digitalisiert.

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Zunächst waren große Autovermieter wie Europcar, Sixt oder Hertz die weitaus bedeutendsten Auftraggeber, gefolgt von anderen Betreibern großer Fahrzeugflotten, etwa die Telekom. Doch schon seit einiger Zeit gewinnen daneben andere Nutzergruppen an Bedeutung – nicht erst seit dem Beginn der Corona-Pandemie, die bei den Vermietkonzernen zu Einbußen und der Einflottung weniger Autos führte (siehe Beistück). Da sind zum Beispiel große Werkstattketten wie A.T.U oder Carglass: „Für sie wird es immer wichtiger, einen Abhol- und Bringservice anbieten zu können, was in Corona-Zeiten noch dringender geworden ist“, so Müller. Erst in den vergangenen Monaten kamen Branchengrößen wie die Reifenservicekette Vergölst mit mehr als 450 Betrieben bundesweit, darunter sechs im Hamburger Raum, hinzu.

Für künftiges Wachstum setzen die Onlogist-Gründer, die nebenbei weiterhin eine Digitalagentur betreiben, jedoch vor allem auf die Anbieter von „neuen Mobilitätslösungen“. Gemeint sind Start-ups wie Cluno, Finn Auto oder Leasys, die ihren Kunden für mehrere Monate ein Auto per Abonnement zur Verfügung stellen. Das ist günstiger als die klassische Autovermietung, aber flexibler als Leasing mit Laufzeiten von mehreren Jahren. Nach Einschätzung von Branchenexperten werde dieser Trend in diesem Jahrzehnt den Privatkundenmarkt für Neuwagen nachhaltig verändern, sagt Müller. Bis 2030 könnten Abo-Modelle demnach einen Marktanteil von bis zu 40 Prozent erreichen – was für Onlogist mit einem großen Wachstumspotenzial verbunden wäre.

"Im ersten Quartal 2021 werden wir in Österreich und der Schweiz starten“

Zunächst aber wollen die Hamburger mit ihrem Fahrdienst-Marktplatz auch in anderen europäischen Ländern aktiv werden. „Im ersten Quartal 2021 werden wir in Österreich und der Schweiz starten“, so Müller. Dafür benötige man allerdings einen kapitalkräftigen Partner, der dort gleich Geschäft mitbringt. Bisher erhielt Onlogist nur ganz zu Beginn eine Finanzierung durch die Hamburgische Investitions- und Förderbank (IFB). Dann trug sich die Firma, die schon bald schwarze Zahlen schrieb, aus eigenen Mitteln.

Einen direkt vergleichbaren Wettbewerber gibt es nach den Worten von Müller bis heute nicht. Zwar haben Mietwagenfirmen eine eigene Auftragsvergabe für Fahrzeugrückholungen, „aber wir sind der einzige neutrale Vermittler“.

Das Geschäftsmodell des Berliner Start-ups Movacar sieht er nicht als Konkurrenz, sondern eher als Ergänzung: Movacar vermittelt ebenfalls Überführungsfahrten im Auftrag von Mietwagenfirmen, aber im Unterschied zu Onlogist erhält man dort keine Bezahlung, sondern zahlt für den Mietwagen eine Pro-forma-Mietgebühr von einem Euro. Die Idee: Wenn jemand ohnehin zum Beispiel von Hamburg nach Dresden reisen möchte, kann er dies doch auch nahezu kostenlos tun, indem er ein Auto dorthin überführt. „Viele solcher Fahrten enden aber in Gewerbegebieten am Stadtrand, was sich für Normalreisende als Zielpunkt nicht anbietet“, sagt Müller – „und außerdem ist es unseren Kunden meist wichtig, dass der Auftrag schnell vergeben und zuverlässig ausgeführt wird.“