Brüssel. Kurz vor der Abstimmung haben Greta Thunberg und Co. noch einmal Druck auf die Europaabgeordneten ausgeübt. Dennoch hat eine Mehrheit nun für einen Kompromiss zur Agrarreform gestimmt. Die Reaktionen auf die Entscheidung könnten nicht gegensätzlicher sein.

Ungeachtet der Kritik von Umweltaktivisten und Naturschutzverbänden hat das Europaparlament seine Position zur geplanten milliardenschweren EU-Agrarreform verabschiedet.

Eine Mehrheit der Abgeordneten stimmte am Freitag einem Kompromiss zu, der Ergebnis mehrerer Abstimmungsrunden diese Woche war. Bereits am Mittwoch hatten sich die EU-Staaten auf eine Linie verständigt. Somit können beide Seiten in Kürze Verhandlungen miteinander über die Reform aufnehmen.

Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner begrüßte den Ausgang der Abstimmung. "Wir verfolgen das gleiche Ziel: Ernährungssicherung wollen wir zusammenbringen mit mehr Umwelt-, Arten- und Klimaschutz in der Landwirtschaft", sagte Klöckner. Das sei auch der Kern des Ratsbeschlusses der EU-Staaten.

Die Entscheidung des Parlaments sieht vor, dass künftig 30 Prozent der Direktzahlungen für Öko-Regelungen reserviert werden. Allerdings falle das Parlament bei der Konditionalität und der Qualität der sogenannten Eco-Schemes noch hinter die Position der EU-Staaten zurück, befand der Naturschutzbund Deutschland. Die EU-Staaten hatten sich auf 20 Prozent Öko-Regelungen geeinigt. Dies sind Umweltmaßnahmen, die über die Pflicht-Anforderungen für Bauern hinausgehen. Erfüllt ein Landwirt sie, bekommt er zusätzliches Geld.

Weiter sieht die Parlamentseinigung vor, dass die EU-Staaten selbst keine höheren Standards etwa beim Tier- und Umweltschutz setzen dürfen. So sollen gleiche Wettbewerbsbedingungen garantiert werden. Die jährlichen Direktzahlungen an Landwirte, die 60 000 Euro überschreiten, will das Parlament schrittweise kürzen und fordert zudem eine Obergrenze von 100 000 Euro für diese.

Im Vorschlag des Parlaments ist außerdem vorgesehen, dass vier Prozent der Direktzahlungen für die Unterstützung von Junglandwirten verwendet werden. Wer den EU-Anforderungen wiederholt nicht nachkommt, soll dem Entwurf zufolge härter bestraft werden: Bis zu zehn Prozent der Ansprüche sollen gekürzt werden dürfen. Bisher sind es fünf Prozent.

Die EU-Mitgliedsstaaten sollen nach dem Willen des Parlaments zur Förderung der Artenvielfalt die Landwirte auffordern, zehn Prozent ihrer Fläche für Landschaftsgestaltung zu nutzen - zum Beispiel bepflanzt mit Hecken oder nicht landwirtschaftlich genutzten Bäumen oder Teichen.

Der Vorsitzende des Umweltausschusses des EU-Parlaments, Pascal Canfin, nannte das Reformpaket einen guten Kompromiss. "Das Europäische Parlament hat den Text erheblich verbessert." Norbert Lins von der CDU sagte: "Die Position des Europaparlaments für eine Agrarreform ist zeitgemäß und innovativ."

WWF-Naturschutzvorstand Christoph Heinrich zeigte sich enttäuscht: "Damit droht dem "Green Deal" der Kommission die Bankrotterklärung." Greenpeace-Landwirtschaftsexperte Lasse van Aken sagte: "Europas größte Chance, die Landwirtschaft fit für die Zukunft zu machen, hat des Europäische Parlament heute fahrlässig verspielt."

Unter #VoteThisCAPdown (auf Deutsch etwa: "Lehnt diese GAP ab") hatten auch Umweltaktivisten wie Greta Thunberg und Luisa Neubauer dazu aufgerufen, gegen die Position zu stimmen. Sie kritisieren vor allem, dies sei kein Wandel hin zu einer nachhaltigen Landwirtschaft und fördere das Artensterben.

Die Agrar-Subventionen sind der größte Posten im EU-Budget und für einen großen Teil der EU-Treibhausgasemissionen verantwortlich. Für die kommenden sieben Jahre haben die EU-Staaten rund 387 Milliarden Euro vorgesehen. Die EU-Kommission hatte 2018 eine Reform für die Jahre 2021 bis 2027 vorgeschlagen. Weil bis 2021 und 2022 bereits eine Übergangsphase gilt, wird sich erst ab 2023 etwas ändern.

Ebenfalls in dieser Woche hatten sich die EU-Staaten auf eine Linie für das Reformvorhaben verständigt. Naturschützer kritisierten allerdings auch diesen Beschluss als völlig unzureichend.

Eine Neuerung auch hier die Öko-Regelungen. Neu soll auch sein, dass die EU-Staaten künftig sogenannte Strategiepläne erstellen müssen, die von der EU-Kommission geprüft werden. Die konkrete Agrarpolitik wird somit künftig wohl in den Hauptstädten gestaltet. Die Höhe der Agrar-Subventionen hängt weiter von der bewirtschafteten Fläche eines Betriebs ab.

Für die Öko-Regelungen wollen die EU-Staaten zudem eine zweijährige "Lernphase", in der das Geld letztlich doch wieder als Pauschalzahlungen an Landwirte gehen könnte. Konkrete Vorgaben für die Öko-Regelungen gibt es noch nicht. Der Grünen-Abgeordnete Martin Häusling hofft, dass die EU-Kommission unter Ursula von der Leyen doch noch einen besseren Vorschlag einbringt.

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