Braunschweig/Berlin. Eigentlich sollte es um rasches Geld für die Kläger gehen. Aber nach dem Scheitern ihrer Dieselgespräche überziehen sich Verbraucherschützer und VW mit Vorwürfen. Der einseitige “Direktvergleich“ des Autobauers bleibt höchst umstritten.

Volkswagen will die Dieselkunden aus der Musterklage in eigener Regie entschädigen - doch der überraschende Schritt wirft viele Fragen auf. Verbraucherschützer mahnen, ganz genau hinzuschauen, bevor man ein Angebot annimmt.

Nachdem der Konzern die Gespräche mit dem Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) am Freitag für gescheitert erklärt hatte, sprach vzbv-Chef Klaus Müller sogar von einem weiteren Betrug - dem zweiten nach den Abgas-Manipulationen. Der Autobauer dagegen betonte: Sein einseitiges Angebot sei ganz im Interesse der Kunden. Der aktuelle Stand der Auseinandersetzung:

Das Angebot - Geld für VW-Dieselfahrer, aber für welche?

Aus Sicht von Volkswagen können nur Dieselkunden, die in der Musterfeststellungsklage registriert sind, das Angebot des Konzerns annehmen. Sie sollen - je nach Einzelfall - zwischen 1350 und 6257 Euro erhalten. Im Schnitt entfielen auf jeden Musterkläger bei einer Gesamt-Entschädigungssumme von bis zu 830 Millionen Euro etwa 2000 Euro. Auf einer Info-Seite im Internet wirbt VW bei den Kunden darum, die "unkomplizierte Offerte" anzunehmen.

Die Verbraucherschützer dagegen warnen vor einer vorschnellen Entscheidung. Am Montag forderte der Verband, VW möge nicht nur die Teilnehmer der Musterklage, sondern alle geschädigten Dieselfahrer berücksichtigen: "Statt einige Hunderttausend könnten so Millionen betrogene Verbraucher in den Genuss von Entschädigungszahlungen kommen." Ob dies rechtlich möglich und finanziell machbar wäre, dürfte jedoch zu bezweifeln sein. Auch die genaue Art der Abwicklung der Zahlungen steht noch nicht fest. VW arbeitet "unter Hochdruck" an einer Plattform, die ab Ende März freigeschaltet sein soll.

Die Alternative - weiter prozessieren mit Chancen und Risiken

Die Verbraucherschützer befürchten, VW könne sich mit dem Ansatz individueller Entschädigungen günstiger aus der Affäre ziehen als im Fall eines formalen Vergleichs vor Gericht. Die Kontrollmöglichkeiten seien zudem begrenzt. Dies sei im Kern auch der Grund für das Scheitern der Gespräche gewesen: VW sei bei der Abwicklung der Zahlungen "nicht zu Transparenz und Sicherheitsmaßnahmen" bereit gewesen. Der Konzern kontert: Man sei dem Verband hier sogar entgegen gekommen - der Konflikt habe sich vielmehr um die Höhe der Honorare von Anwälten gedreht, die die Abwicklung organisieren sollten.

Was Verbraucher nun tun sollten, ist schwer zu sagen. VW verweist darauf, dass Kunden bei Annahme des "Direktvergleichs" rasch und einfach eine Einmalzahlung bekämen. "Oder Sie warten das Urteil im langwierigen Musterfeststellungsverfahren ab und gehen anschließend in ein eigenes Folgeverfahren mit ungewissem Ausgang", heißt es auf der Info-Website. Der vzbv wirft VW vor, mit dieser Strategie seinen Aufwand gering halten zu wollen. "Wir sehen uns vor Gericht wieder", sagte Müller dem "Handelsblatt". Die Klage läuft weiter, die Verbraucherschützer warten auf einen neuen Gerichtstermin. Am Ende könnten die Dieselfahrer dadurch möglicherweise doch noch eine höhere Summe herausholen als beim Volkswagen-Angebot.

Warten auf die Grundsatzurteile

Eine zentrale Rolle bei dem plötzlichen Abbruch der Verhandlungen hat offenbar ein nahender Termin gespielt: Am 5. Mai verhandelt der Bundesgerichtshof (BGH) die Klage eines VW-Dieselkäufers, der selbst - unabhängig von der Musterklage - einen Prozess angestrengt hatte. Erwartet wird eine Grundsatzentscheidung, die die Rechtsprechung zahlreicher Land- und Oberlandesgerichte bei ähnlichen Klagen im ganzen Land beeinflussen könnte.

Bisher war VW in Einzelverfahren, die eine hohe Instanz zu erreichen drohten, häufig bereit, sich mit den Kunden relativ großzügig zu vergleichen. Die Deutsche Umwelthilfe betonte, der Europäische Gerichtshof werde zudem bald eine prinzipielle Entscheidung über die Zulässigkeit von Abschaltsystemen in der Abgasreinigung von Dieselautos fällen. Verbraucher müssten sich überlegen, ob sie wirklich alle Ansprüche an VW abgelten wollten.

Wer hat wen unter Druck gesetzt?

VW und Verbraucherschützer schieben sich gegenseitig die Schuld für das Ende der Verhandlungen zu. Dabei steht Aussage gegen Aussage. Aus Konzernkreisen heißt es, der vzbv habe kurzfristig Druck aufgebaut. Müller sagte dem "Handelsblatt" dagegen, das Platzenlassen sei ein "derbes Foul" von VW gewesen. Man habe davon erst aus den Medien erfahren, nachdem VW sich zuvor einigungsbereit gegeben habe. Das Ergebnis sei nun eine "Schlammschlacht gegenüber unseren Anwälten". Volkswagen stellt die Abläufe der vorigen Woche im Hintergrund dagegen ganz anders dar.