Berlin. TU-Präsident Christian Thomsen über die Tesla-Ansiedlung, Folgen für die Wissenschaft in Berlin und das Image von Elon Musk.

Die Ansiedlung von Tesla hat die Hauptstadt-Region elektrisiert. Neben einem Werk im brandenburgischen Grünheide will der US-amerikanische Elektroautobauer auch ein Design- und Entwicklungszentrum in Berlin selbst ansiedeln. Mitarbeiter für beide Projekte könnte vor allem die Technische Universität Berlin hervorbringen. Welche Erwartungen TU-Präsident Christian Thomsen mit dem Tesla-Coup verknüpft, erzählt er im Interview.

Berliner Morgenpost: Was bedeutet die Ansiedlung von Tesla für den Wissenschaftsstandort Berlin?

Christian Thomsen: Für mich ist das eine ganz große Sache. Ob die Ansiedlung nun auf Berliner oder Brandenburger Boden stattfindet, ist für die Forschung unerheblich. Denn wir sind eine gemeinsame Wissenschaftslandschaft. Wenn sich hier ein großes Werk mit vielen Mitarbeitern ansiedelt, dann ist das für die Arbeitsplätze in Berlin und Brandenburg in der Gesamtheit gut. Für die Wissenschaft ist diese Ansiedlung spannend, weil die Batterieforschung, zum Beispiel an der TU und auch an anderen Einrichtungen, nun stärker im Vordergrund steht und einen Schub erhält.

Welche Chancen rechnen Sie sich für eine Zusammenarbeit zwischen TU-Wissenschaftlern und dem Elektroautobauer aus?

Ich sehe große Chancen. Denn die Hauptsache, die Tesla am Anfang benötigt, sind Mitarbeiter, die auf dem Gebiet kompetent sind, und die werden sicher überwiegend aus Berlin kommen. Allein an der TU Berlin gibt es derzeit rund 10.000 Studierende, die in den verschiedenen, für die Automobilindustrie relevanten Bereichen ausgebildet werden. Von denen wird ein großer Teil das neue Tesla-Werk als möglichen Arbeitsplatz sehen. Die Attraktivität der Region für hochqualifizierte Fachkräfte kann sich damit weiter erhöhen. Tesla wird ein neuer Magnet sein. In der Zukunft wird es sicher einige Studierende geben, die nur zu uns kommen werden, um dann später bei Tesla arbeiten zu können. Wir können die Zusammenarbeit dahingehend gern ausbauen.

Lesen Sie auch: Tesla-Vorstellung geht schief - Musk hat noch mehr Probleme

Christian Thomsen ist seit 2014 Präsident der Technischen Universität Berlin.
Christian Thomsen ist seit 2014 Präsident der Technischen Universität Berlin. © Maurizio Gambarini

In Berlin will Tesla ein Zentrum für Design und Entwicklung ansiedeln. Welcher Standort wäre dafür geeignet?

Wie Sie richtigerweise sagen, heißt es ja Design- und Entwicklungszentrum. Sich also dort anzusiedeln, wo schon Designer und Entwickler sind, wäre ziemlich klug. Die Universität der Künste als größte Hochschule für Design und Kunst und die Technische Universität Berlin sind beide in Charlottenburg und Nachbarinnen auf einem Campus. Wenn man räumliche Nähe als wichtig für eine enge Zusammenarbeit empfindet, bietet sich Charlottenburg als Standort in geradezu idealer Weise an. Die schwierige Frage ist jedoch, ob es hier ausreichend Platz gibt. Dabei wird es auch darauf ankommen, was man bereit ist zu investieren. Diese ökonomische Frage muss Tesla zunächst bewerten.

Wie wichtig ist es für die Forschung, durch Tesla einen praxisnahen Anknüpfungspunkt vor der Haustür zu haben?

Für uns als Universität ist das total wichtig. An der TU gibt es gleich mehrere Bereiche, die sich mit dem Thema Elektromobilität befassen. Ein Schwerpunkt ist zum Beispiel die Hochgeschwindigkeitsherstellung von Lithium-Ionen-Batterien. Das ist etwas, was Tesla hochgradig interessieren muss, weil so schneller, besser und effizienter Batterien hergestellt werden können. Ein anderer Bereich sind die Materialwissenschaften. An der TU wird zum Beispiel Kathoden-Material entwickelt. Kathoden sind bei den Batterien besonders wichtig, weil sie nach einer gewissen Zeit verrotten können, wenn sie nicht aus gutem Material hergestellt sind. Wenn unsere Wissenschaftler also andere Materialien bieten können, die eine längere Lebensdauer haben, dann ist das für den Erfolg des Unternehmens enorm wichtig.

Hintergrund: Pop wirbt mit Tesla-Ansiedlung um Siemens

In welchen Forschungsbereichen an Ihrer Universität könnte es durch Tesla einen Schub nach vorne geben?

Das könnten mehrere sein. Bei den Antriebssträngen, die Tesla ja dann auch in Grünheide herstellen will, könnte es an der TU Berlin neue Projekte geben und dadurch auch zusätzliche Mitarbeiter oder sogar eine neue Professur auf dem Gebiet. Das zweite Thema ist die Batterieforschung. Das ist nicht nur für den Individualverkehr interessant, sondern auch für den Klimawandel insgesamt. Berlin hat sich ja zum Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu werden. Die TU mit ihrem Campus würde das gerne schon 2030 erreichen. Was wir dazu benötigen werden, sind auch gut funktionierende Batterien. Batterien können wiederum in der Stadt, etwa auch bei Gebäuden zur Stromspeicherung eingesetzt werden. Das Thema Klimaneutralität insgesamt erhält durch die Tesla-Ansiedlung Rückenwind. Die TU setzt darauf, auch vor dem Hintergrund, dass wir derzeit mit Partnern an einem neuen Zentrum für den Klimawandel arbeiten.

Tesla ist auch führend, was autonomes Fahren angeht. Auf der Straße des 17. Juni gibt es die weltweit erste innerstädtische Teststrecke für vernetztes, automatisiertes Fahren. War das auch ein Argument für Tesla?

Ob das Unternehmen davon wusste, kann ich nicht beurteilen. Diese Teststrecke ist aber offen für Kooperationen. Jeder darf mitmachen. Auch Tesla ist herzlich willkommen. Ich nehme an, dass sich das Unternehmen nicht blauäugig für Berlin und Brandenburg entschieden hat, sondern sich bewusst hier ansiedelt. Auf der einen Seite die hoch entwickelte Stadt und viele Forschungspartner und auf der anderen Seite das Land mit viel Fläche und gänzlich anderen Herausforderungen bei der Frage nach der Mobilität der Zukunft.

Auch interessant: Warum Berlins Tesla-Taxifahrer jetzt aufgeben will

Was heißt das für die Entwicklung von autonomer Technologie am Standort Berlin?

Tesla hat vielleicht einen Vorsprung im autonomen Fahren, von dem wir profitieren können. Das Charakteristikum unserer Berliner Teststrecke ist ja, dass sie offen für Kooperationen ist. Das heißt, dass Firmen und auch Forscher, die auf der Teststrecke arbeiten, die Bereitschaft zeigen müssen, ihre Kompetenzen für alle sichtbar einzubringen. Bei einer gemeinsamen Teststrecke legen dann alle Partner offen, welche Themen, welche Fortschritte sie erreicht haben und erreichen wollen, um insgesamt dann einen größeren Fortschritt zu erzielen, als es jeder für sich alleine schaffen könnte.

Tesla-Chef Elon Musk hat ein Image fast so wie ein Rock-Star und ist durchaus umstritten. Wie sehen Sie ihn?

Das öffentliche Bild von Musk ist modern, zupackend und vielleicht auch ein bisschen großlippig. Man ist sich nicht so ganz sicher, ob am Ende passiert, was er in Aussicht stellt. Da ist ein Elon Musk anders, spontaner in seiner Unternehmensführung als andere Unternehmen. Das hat Vor- und Nachteile. Die Nachteile sind offensichtlich, weil es sein kann, dass plötzlich nicht vier Milliarden, sondern nur zwei investiert werden und nur halb so viele Menschen unter Vertrag kommen wie angekündigt. Als Vorteile sehe ich die Innovationen, die aus einer solchen Unternehmensführung entstehen. Denn ausschließlich auf batteriebetriebene Fahrzeuge zu setzten, das erfordert Mut. Und diesen durchaus auch bewundernswerten Mut haben deutsche Unternehmen bisher nicht gehabt.

Passt das mit der Wissenschaft gut zusammen?

Ja! Gute wissenschaftliche Praxis beruft sich auch nie auf alte Verfahren, sondern ist immer bereit, Innovationen und neue Sachen anzugehen – durchaus auch mit dem Risiko, dass es nichts wird, weil die Idee eben doch nicht richtig oder zu schwierig war. Das ist ja das Charakteristikum der Wissenschaft, dass Sie nicht vorher sagen kann, was letztlich herauskommt. Eigentlich passt so ein modernes Unternehmen wie Tesla sehr viel besser zur Wissenschaft als traditionelle Unternehmen.

Man braucht auch Mut in der Wissenschaft?

Ja, klar. Man fängt etwas an, was es vorher nicht gegeben hat. Wenn es für Batterien schon neues, besseres Kathodenmaterial geben würde, wäre das ja schon eingebaut. Es gibt Risiken, dass es kein besseres gibt, aber höchstwahrscheinlich finden clevere und innovative Wissenschaftler eine neue Möglichkeit, bessere Kathoden zu bauen.

Kann mit dem bestehenden Zulieferer-Netz, das es momentan in Berlin, Brandenburg und auch in Ostdeutschland gibt, bereits das Tesla-Werk beliefert werden?

Ich glaube schon, denn die Unternehmensentscheidung von Tesla, in Brandenburg das Werk aufzubauen, basiert auch darauf, dass es dort hinreichend geeignete Zulieferer gibt. Ansonsten könnte die Fabrik nicht in zwei Jahren produktionsfertig sein.

Wie müssen sich die Zulieferer auf den potenziellen neuen Kunden Tesla einstellen?

Der Bau eines Elektroautos ist im Großen und Ganzen einfacher als der Bau eines Autos mit Verbrennungsmotor. Die größte Sorge der Autoindustrie und der deutschen Wirtschaft insgesamt ist ja, dass Arbeitsplätze verloren gehen, wenn in gleicher Anzahl Elektrofahrzeuge wie im Moment Verbrenner hergestellt werden. Die Anzahl der Teile für ein E-Auto ist im Faktor hundert kleiner als bei einem herkömmlichen Auto. Das heißt, es werden auch weniger Zulieferer benötigt. Auf bestimmte Rohstoffe wie Lithium oder seltene Erden, die für die Batterien benötigt werden, haben deutsche Zulieferer ohnehin keinen Zugriff. Dafür wird Tesla bereits Lieferverträge mit den Abbauländern geschlossen haben.

Tesla will etwa 8000 Jobs schaffen. Wie viele Studenten haben Sie, die für den Autobauer als Arbeitskräfte infrage kommen?

Bei uns sind etwa 10.000 Studierende, die sich in ihrem Studienfach mit Auto, Verkehr, Mobilität befassen. Pro Jahr verlassen rund 2000 Absolventen die TU Berlin. Nun ist nicht jeder Studierte dafür geeignet oder daran interessiert, in einem Werk wie Tesla zu arbeiten. In dem Entwicklungs- und Design-Zentrum in Berlin hingegen sehe ich einen weiteren Bedarf an studierten Fachkräften.

Rechnen Sie durch die Tesla-Ansiedlung jetzt mit einer noch größeren Nachfrage nach Studienplätzen an der TU?

Das kann ich mir durchaus vorstellen. Wir haben beobachtet, dass sich bei unseren klimabezogenen Studiengängen die Bewerberzahlen im letzten Jahr verdoppelt haben. Das hat auch mit der gesellschaftlichen Diskussion um den Klimawandel und der Klimabewegung zu tun. Diese globalen Themen haben lokale Effekte. Tesla gilt als cool und steht durch den Batteriebetrieb für die Mobilität der Zukunft. Für die Studiengänge mit Automotive-Bezug werden sich jetzt noch mehr junge Leute interessieren.

In Berlin fehlen bereits 140.000 Fachkräfte. Wird Tesla die Lage weiter verschärfen?

Ja. Es ist für gewöhnlich so, dass größere und bekanntere Unternehmen den Fachkräftemangel an dem jeweiligen Ort noch vergrößern. Ob Tesla ein attraktiver Arbeitgeber ist, kann ich nicht beurteilen. Aber es würde mich überraschen, wenn dort Stellen unbesetzt blieben. Wenn Mitarbeiter nun neu bei Tesla anfangen, wird die Lücke an anderer Stelle dafür zunächst mal größer.

Wie schwer wird es für bestehende Firmen, sich im Werben um Fachkräfte gegen Tesla durchzusetzen?

Der größer werdende Fachkräftemangel erzeugt eine größere Anzahl von Menschen, die studieren wollen, um diesen Mangel zu beseitigen. Insofern macht ein neues Unternehmen zunächst einmal deutlich, dass es sich lohnt zu studieren, um dann hier auch einen Arbeitsplatz zu finden. Mit Blick auf Tesla und den zunehmenden Wettbewerb um Talente ist es ja aber glücklicherweise für andere Unternehmen auch so, dass nicht jeder Mensch in einem großen Konzern arbeiten will. Deswegen bestehen für alle Firmen weiter Chancen, Fachkräfte zu finden.

Christian Thomsen: Zur Person

Der Physiker Christian Thomsen steht seit 2014 an der Spitze der Technischen Universität Berlin. Thomsen, Jahrgang 1959, hatte die Grundlagen für seine Laufbahn in Tübingen und Providence (USA) gelegt. 1991 habilitierte er an der TU München. Seit 1994 lehrt er an der TU Berlin. Von 1997 bis 1999 war er Vizepräsident für Lehre und Studium. Von 2003 bis 2014 war er Dekan der Fakultät für Mathematik und Naturwissenschaft.

Thomsen hat sich zuletzt mehrfach mit der Klimabewegung „Fridays for Future“ solidarisiert. Er forderte eine aktive Rolle der Wissenschaft bei der Vermittlung ihrer Forschungsergebnisse.