Oakland. Bayer ist erneut zu hohem Schadenersatz wegen des umstrittenen Wirkstoffs Glyphosat verurteilt worden. Ein Rentnerpaar hatte geklagt.

Nach der dritten erstinstanzlichen Niederlage in US-Prozessen um die Krebsgefahr des Unkrautvernichters Glyphosat zählt die extrem hohe Strafe im Fall eines kalifornischen Ehepaares – über zwei Milliarden Dollar, rund 1,8 Milliarden Euro – fast noch zu den geringeren Problemen für Bayer.

Nach Erfahrungswerten im US-Justizwesen werden die astronomischen Summen, die eine Geschworenen-Jury in Oakland jetzt gegen den deutschen Konzern verhängt hat, drastisch abgemildert, wenn nicht gar aufgehoben. Dabei geht es um „punitive damages“; Strafzusatzahlungen, die als Signal der Abschreckung gelten sollen.

Die eigentliche Wiedergutmachung für die Lymphdrüsen-Krebserkrankungen, die Alva und Alberta Pilliod nach Meinung der Jury zurecht auf den jahrelangen Gebrauch von Glyphosat zurückführen, beläuft sich auf insgesamt 55 Millionen Dollar.

Bayer: Käger haben „lange Historie von Vorerkrankungen“

Bayer zeigte sich in einer Stellungnahme „enttäuscht“ und kündigte wie erwartet die Anfechtung des Urteils an. Das Unternehmen bekundete Mitgefühl für die Kläger, betonte aber, dass die Pilliods „eine lange Historie von Vorerkrankungen“ gehabt hätten. Eine kausale Verbindung zur Anwendung von Glyphosat sei nicht belegt worden.

Zudem hätten die Anwälte des Paares den Geschworenen „gezielt ausgesuchte Ergebnisse aus einem Bruchteil der insgesamt verfügbaren Studien“ zu Glyphosat vorgelegt. Das Gros der Wissenschaft und der Aufsichtsbehörden stehe, fundiert durch 40 Jahre Forschung, auf dem Standpunkt, dass „glyphosatbasierte Produkte bei sachgerechter Anwendung sicher sind Glyphosat nicht krebserregend ist”.

Dagegen hatte die die zur Weltgesundheitsorganisation WHO gehörende Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) 2015 festgestellt, dass Glyphosat bei Menschen „wahrscheinlich krebserregend” sei.

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Wie die Berufungsverhandlungen ausgehen, in denen Bayer-Chef Werner Baumann bereits verhängte Schadensersatzzahlungen von insgesamt rund 160 Millionen Dollar an zwei andere Betroffene abwenden will, die ihre Krebserkrankungen ebenfalls auf Glyphosat zurückführen, ist offen.

Noch mehr als 13.000 anhängige Produkthaftungsklagen

Allein, Bayer wird nach Einschätzung von Prozessbeobachtern „weiter enorm leiden“, wenn die nächsten der noch über 13.000 anhängigen Produkthaftungsklagen in den USA den Kläger-Anwälten Gelegenheit geben, die Glaubwürdigkeit Bayers weiter in Zweifel zu ziehen.

Dass sie abnimmt, spiegelt der Börsenkurs wider – minus 40 Prozent seit Sommer 2018. Gestern war der tiefste Stand seit sieben Jahren erreicht. Den Aktionären sind die „Leichen” auf die Leber geschlagen, die sich Bayer offenbar ins Haus holte, als es sich den kontrovers beleumundeten Monsanto-Konzern aus St. Louis/Missouri, der Glyphosat herstellt und vertreibt, für 56 Milliarden Euro einverleibt hat. Heute ist Bayer insgesamt noch 50 Milliarden Euro wert.

Unterschätzte Bayer die Risiken der Monsanto-Übernahme?

Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz (DSW), sagte der Agentur dpa, es sei „erschreckend”, dass das Schicksal Bayers nun in der Hand der US-Justiz liege. Offenbar habe man bei der Übernahme von Monsanto „Reputations-Risiken” unterschätzt.

Dabei spielt eine Rolle, dass Monsanto offenbar 200 Entscheider, Politiker und Journalisten in Frankreich über eine beauftragte Agentur heimlich erfasste, überwachte, und „erziehen” lassen wollte, die für die Marktposition von Glyphosat relevant waren. Die französische Justiz ermittelt. Bayer hat sich bereits entschuldigt.

Hintergrund: Risiken der Monsanto-Übernahme: Bayer kündigt Jobabbau an

Bayer muss sich wohl auf weitere Prozesskosten einrichten.
Bayer muss sich wohl auf weitere Prozesskosten einrichten. © dpa | Oliver Berg

Bayer-Sprecher: Monsanto-Methoden „komplett unangemessen“

Wie der neue Leiter der Abteilung „Public Affairs und Nachhaltigkeit” bei Bayer, der ehemalige Grünen-Bundestagsabgeordnete Matthias Berninger, erklärte, sei Monsanto wohl auch in anderen EU-Ländern entsprechend vorgegangen. Berninger nannte das „komplett unangemessen”.

Dass Bayer von den Monsanto-Methoden aus den Medien erfahren haben will, kommt aus Sicht von Kritikern des Konzerns fast einem Offenbarungseid gleich. Die „Due Dilligence”, die Prüfung und Bewertung sämtlicher Geschäftspraktiken Monsantos vor dem Kauf durch Bayer, sei mit „neuen Fragezeichen” zu versehen, sagte ein Rechts-Experte aus Washington. Und damit auch die von Werner Baumann und Bayer-Aufsichtsratschef Werner Wenning gebetsmühlenartig wiederholte Beteuerung, Glyphosat sei nicht krebserregend.

Hintergrund: Glyphosat: Bayer muss Krebskrankem 71 Millionen Euro zahlen

Warum? Wer so „klandestine PR“ gemacht habe wie Monsanto, der dürfte vielleicht auch nicht davor zurückgeschreckt haben, Wissenschaftler und Regulierungsbehörden zu täuschen, „um Unbedenklichkeitsbescheinigungen für einen weltweit sehr einträglichen Unkrautvernichter zu bekommen“.

Wäre es so gewesen: Die gesamte Zertifizierungsgeschichte von Glyphosat käme ins Rutschen. Auch Top-Behörden wie die amerikanische Umweltbehörde EPA, die die Genehmigung für den Einsatz von Glyphosat gerade erst wieder verlängert hat, müsste sich dann Fragen nach Lauterkeit und Seriosität gefallen lassen.

Monsanto soll potenzielle Krebsgefahr nie richtig erforscht haben

Den Nachweis des „fahrlässigen Wegschauens und Verharmlosens“ versuchten die Anwälte in allen drei bislang für Bayer negativ geendeten US-Prozessen unter anderem anhand von internen Protokollen, Zeugen-Aussagen und E-Mails zu führen.

Der Tenor, dem die Geschworenen am Ende folgten, war stets identisch: Monsanto habe die potenzielle Krebsgefahr, die von Glyphosat und den beigemischten Substanzen in dem Massen-Produkt Roundup ausgehen könne, in Wahrheit nie wirklich solide erforscht. Geschweige denn ausreichend vor den Risiken gewarnt. Im Fall der Pilliods erkannte die wie immer aus Laien zusammengesetzte Jury sogar „Arglist” auf Seiten Monsantos.

Bayer-Führung bekommt Ärger der Aktionäre zu spüren

Zu welcher Bewertung in der nächsten Instanz Berufsrichter kommen, ist ungewiss. Frühestens 2020 wird im Auftakt-Fall des kalifornischen Hausmeisters Dewayne Johnson, dem 2018 rund 80 Millionen Dollar zugesprochen wurden, mit einer Entscheidung gerechnet. Auch gegen die kann weiter prozessiert werden.

In der Zwischenzeit wird für die Bayer-Führung, der unlängst auf der Hauptversammlung die Entlastung verweigert wurde, die Luft dünner. Mit jedem Urteil der Güteklasse Pilliod gerät der Börsenkurs von Bayer weiter unter Druck. Werner Baumann wird, so vermuten Börsianer, „eher früher als später zur Einleitung von teuren Vergleichsverhandlungen gezwungen sein”. Andernfalls könne das Unternehmen ein Übernahme-Kandidat werden.