Berlin. Valentin Stalf ist Mitgründer und CEO der Digital-Bank N26. Im Interview spricht er über seine Pläne und den Kampf gegen Betrüger.

An den hohen Decken der Berliner Zentrale haben sich gold-glitzernde Heißluftballons in den offenliegenden Leitungen verhakt. Es sind die Reste einer Party, deren Anlass die Smartphone-Bank N26 so schnell nicht vergessen wird: Anfang des Jahres hat die Bank 260 Millionen Euro von internationalen Investoren eingesammelt.

Nie zuvor wurde in eine Fin-Tech-Firma in Deutschland so viel Geld investiert. Mitgründer Valentin Stalf ist gut gelaunt und bittet zum Gespräch in einen Raum mit Graffiti an der Wand.

Herr Stalf, N26 wurde 2013 gegründet und wird mit 2,3 Milliarden Euro bewertet. Die Deutsche Bank gibt es seit 1870, heute ist sie noch 15 Milliarden Euro wert. Empfinden Sie Schadenfreude bei diesem Vergleich?

Valentin Stalf : Nein, ich empfinde keine Schadenfreude. Aber es ist offensichtlich, dass sich die traditionellen Geldhäuser mit der digitalen Transformation schwertun. Deren Finanzprodukte haben in der Filiale funktioniert, ich bezweifle jedoch, dass sie nun online oder mobil ebenso auf die Kundenbedürfnisse von heute reagieren können. Diese haben sich verändert. Wir haben uns von Beginn an auf digitale Produkte konzentriert, das ist unser Vorteil.

Sehen Sie sich selbst als Banker?

Stalf: Nein, ich sehe mich nicht als traditionellen Banker. Wir haben zwar eine Banklizenz und bieten unseren Kunden mit dem Konto und der Mastercard ein klassisches Bankprodukt an – aber ein Großteil unserer Mitarbeiter sind Programmierer und Designer.

Auch die etablierten Banken haben sich gewandelt, bieten Onlinebanking, eine App, und bei den allermeisten muss ich fürs Geldabheben nichts bezahlen – bei N26 hingegen schon –, wenn ich öfter als dreimal im Monat Bargeld will. Wo liegt denn der Vorteil?

Stalf: Bei uns kann man bis zu fünfmal gratis abheben und danach zahlt man zwei Euro, was deutlich günstiger ist als bei traditionellen Banken. Bei denen zahle ich bis zu sieben Euro, wenn ich zum falschen Automaten gehe. Der Unterschied ist doch: Wir sind jugendlicher, unser Verständnis, mit Kunden zu kommunizieren, ist anders. Wir haben ein wirklich digitales Produkt, das einfach zu bedienen ist und für das Smartphone gebaut wurde. Dadurch sparen wir unseren Kunden viele mühsame Bankprozesse, die bei uns digital funktionieren.

Sie haben 2,5 Millionen Kunden und Einlagen von rund einer Milliarde Euro – das bedeutet, der durchschnittliche N26-Kunde hat etwa 450 Euro auf dem Konto. Selbst kleine Sparkassen auf dem Land haben größere Einlagen. Kann man so Geld verdienen?

Stalf: Natürlich legt nicht jeder vom ersten Tag an 2000 Euro auf sein Konto. Durch unser starkes Wachstum sind die Durchschnittsbeträge nur schwer vergleichbar. Insgesamt liegen wir nicht weit von den durchschnittlichen Einlagen traditioneller Banken entfernt. Ich halte nichts von der traditionellen Vorstellung, dass Banken nur mit vermögenden Kunden Geld verdienen. Wir können auch einem Studenten ein profitables Produkt anbieten, weil wir eine viel niedrigere Kostenbasis haben als traditionelle Banken. Wir haben keine fünf Vorstandsetagen, kein Filialnetz, und unsere IT-Kosten betragen nur einen Bruchteil der Kosten einer traditionellen Bank. So können wir langfristig ein profitables Geschäft aufbauen.

Insgesamt machen Sie aber Verluste …

Stalf: Wir sind heute schon von unseren Marketingkosten profitabel, investieren aber ganz stark in Wachstum. Wir müssen unsere Marke noch bekannter machen. In den kommenden zwei Jahren wollen wir auf zehn Millionen Kunden anwachsen. Kunden bleiben im Schnitt zehn bis 15 Jahre bei einer Bank, daher zahlen sich die Investitionen in Wachstum langfristig aus.

Wie wollen Sie künftig Geld verdienen?

Stalf: Unsere Haupteinnahmequellen sind Umsätze mit dem Kartengeschäft, den Premiumkontomodellen und den Überziehungskrediten oder Sparprodukten. Wir setzen auf Konten mit Zusatzfunktionen, etwa Partnerkonten: Damit spart man im Freundeskreis auf ein Geschenk, nach drei Monaten kann man das Konto wieder auflösen. Natürlich könnten wir auch mehr Finanzprodukte anbieten. Aber wir stehen derzeit nicht unter Druck, jedem Kunden ein Finanzprodukt verkaufen zu müssen, um Profit zu erzielen. Künftig geht es im Bankgeschäft nicht mehr nur darum, den Finanzierungsbedarf zu lösen. Vielleicht will der Kunde ein Taxi über seine App bestellen und die Fahrt gleich von seinem Konto abbuchen. Es geht eher um das Management von Zahlungsströmen oder Transaktionen in Echtzeit.

Welche Rolle spielt der Versicherer Allianz, mit dem Sie bereits zusammenarbeiten?

Stalf: Wir prüfen, wie man das Versicherungsgeschäft mit unserem verbinden kann. Wenn sich etwa ein Kunde einen Skipass kauft, dann könnte er über unsere App eine Unfallversicherung hinzubuchen – mit einem Klick. Solche Modelle schauen wir uns an – auch zusammen mit der Allianz. Die wenigsten Leute beschäftigen sich gerne mit Versicherungen, weil der Abschluss extrem kompliziert ist; da gibt es noch viel Potenzial.

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Demnächst gehen Sie auf den US-Markt, was versprechen Sie sich davon?

Stalf: In den nächsten drei bis vier Monaten soll es losgehen. In den USA gibt es viele traditionelle Banken, aber mit unbefriedigenden Produkten und höheren Kosten als in Europa. Bisher dominiert dort keiner das Bankgeschäft mit einem guten digitalen Produkt. Diese Chance wollen wir wahrnehmen.

Mit Revolut und Monzo haben Sie in Europa hingegen zwei Konkurrenten, die ähnliche Dienstleistungen anbieten.

Stalf: Wir sind klarer Marktführer in allen Märkten in Europa – außer in Großbritannien, wo wir erst vor drei Monaten gestartet sind. Es ist erstaunlich, dass es kaum Konkurrenz auf diesem Gebiet gibt, einem der größten Märkte überhaupt – ein Konto braucht doch jeder. Am Ende geht es eher darum, Kunden zu gewinnen, die noch bei den traditionellen Banken sind und ein unbefriedigendes Produkt nutzen, weniger darum, von Digitalbanken Kunden abzugreifen.

Wann ist der richtige Zeitpunkt für einen Börsengang?

Stalf: Wir haben erst Anfang des Jahres 300 Millionen Dollar eingesammelt – das sichert uns das Geschäft für die nächsten zwei bis drei Jahre. Wir werden uns in den kommenden Jahren mit einem Börsengang auseinandersetzen, aber es gibt aktuell keine konkreten Pläne.

Bankgeschäft basiert auf Vertrauen – 2018 wurde bekannt, dass Kunden bei N26 mit falschen Ausweisen ein Konto eröffnet haben.

Stalf: Das ist ein Problem, mit dem alle Banken zu kämpfen haben. Wir nehmen das sehr ernst und kooperieren eng mit den Behörden, um Betrugsfälle schnell zu melden und früh zu identifizieren. Wir verwenden drei Verfahren zur Identifikation bei der Kontoeröffnung: das Video-Ident-Verfahren, eine Art Videokonferenz mit unserem Kunden, außerdem das Foto-Ident-Verfahren. Hier muss ein Kunde Fotos von seinem Ausweis und zusätzlich Selfies machen. Darüber hinaus werden alle Kunden digital überprüft und Daten mit Behörden und anderen Datenbanken abgeglichen.

In Deutschland gibt es beim Foto-Ident-Verfahren Sicherheitsbedenken …

Stalf: Wir verwenden es auch nicht in Deutschland. In Deutschland und Österreich kann man sich zudem in einer Postfiliale ausweisen. Insgesamt sehen wir deutlich niedrigere Betrugsraten bei unseren digitalen Verfahren, verglichen mit der persönlichen Verifikation. Leider ist es so, dass es heute trotzdem dazu kommen kann, wenn Betrüger genug Zeit und Geld investieren, dass ein Konto unter einer falschen Identität aufgemacht werden kann. Allerdings ist das kein digitales Problem, wenn Sie mit einem gut gefälschten Ausweis in eine Filialbank gehen, wird es Ihnen wahrscheinlich auch gelingen, ein Konto zu eröffnen. Das Konto ist auch nicht der Ausgangspunkt der kriminellen Handlung. Es gilt, die Transaktionen nach der Eröffnung gut zu überprüfen, um mögliche Betrüger sofort zu identifizieren – beispielsweise, wenn man auf Ebay etwas verkauft, aber nie die Ware versendet.

Ein falsches Konto hilft bei solchen Betrügereien.

Stalf: Sicher, es ist ein Problem, aber keine Bank kann das ausschließen.

Die Bafin hat in dem Fall ermittelt. Spielen Sie das Problem nicht herunter?

Stalf: Wie der Großteil lizenzierter Banken stehen auch wir in regelmäßigem Austausch mit der Bafin, zu verschiedenen Themen. Bei uns arbeitet ein Team von mehr als 50 Leuten nur am Thema Sicherheit. Wir eröffnen am Tag mehr als 10.000 Konten, es gibt immer zwei oder drei Leute, die versuchen, zu betrügen. Ich sehe aber nicht, dass wir hier ein größeres Problem haben als andere Banken.

Vor einigen Wochen ist Ihr Finanzchef gegangen. Wann präsentieren Sie einen Nachfolger?

Stalf: Es ist richtig, einer der Geschäftsführer unserer Tochtergesellschaft, der N26 Bank GmbH, hat sich dazu entschlossen, neue Herausforderungen anzunehmen. Wir haben diese Schritte schon vor Längerem vereinbart, und er ist auch weiterhin Teil unseres Teams. Mein Mitgründer Maximilian Tayenthal bekleidet weiterhin global die Rolle als CFO. Wir führen bereits intensive Gespräche mit potenziellen Kandidaten. Es ist ein ganz normaler Recruiting-Prozess. Natürlich kann man immer schneller sein, aber im Moment läuft alles nach Plan.

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