Wolfsburg. Volkswagen-Chef Herbert Diess warnt wegen der verschärften CO2-Ziele der EU vor Jobverlusten – und zeigt Verständnis für Donald Trump.

Das Jahr endet für die deutschen Autokonzerne mit einer neuen Herausforderung: Diese Woche haben sich die EU-Mitgliedstaaten auf strengere Grenzwerte für den CO2-Ausstoß verständigt – auch Volkswagen muss nun umdenken. Im Interview erklärt Volkswagen-Chef Herbert Diess, wie er den Wandel schaffen will.

Herr Diess, Volkswagen hat seine Investitionspläne gerade erst beschlossen und steckt mitten im Umbau zur Elektromobilität. Nun gibt es aus Brüssel Signale, dass die ab 2030 geltenden CO2-Grenzwerte deutlich strenger angesetzt werden sollen als zunächst erwartet. Wie gehen Sie damit um?

Herbert Diess: Die jetzt geplante Reduzierung von 37,5 Prozent ist sehr ambitioniert, bislang sind wir von 30 ausgegangen. Um das Flottenziel erreichen zu können, müssten wir in Europa bis 2030 den Anteil der Elektro-Fahrzeuge auf 40 Prozent unseres Gesamtabsatzes erhöhen. Unser beschlossenes Umbauprogramm reicht dafür nicht aus.

Grundsätzlich ist Volkswagen mit seiner zukünftigen E-Flotte zwar gut vorbereitet. Absehbar ist aber, dass mit den neuen Zielen der vorgesehene Abbau von Arbeitsplätzen entlang der demografischen Kurve nicht mehr funktioniert. Hier hatten wir zuletzt mit unserem Betriebsrat gute Ergebnisse erzielt. Weil der Wandel nun noch einmal verschärft wird, reicht das vermutlich nicht aus und wir müssen noch mehr Arbeitsplätze abbauen. Dafür wird die Altersteilzeit nicht mehr ausreichen.

Ist der nun beschleunigte Umstieg auf die Elektromobilität nicht ohnehin eine Art Wette?

Viele wichtige Fragen sind überhaupt noch nicht beantwortet. Dazu gehört der Ausbau der Infrastruktur. Gibt es ausreichend regenerative Energie? Ungeklärt ist auch die Akzeptanz der Elek­tro-Fahrzeuge bei unseren Kunden. Die Diskussion der Politik ist leider eher ideologisch und emotional getrieben, das gesamte Thema wenig durchdacht. Wir brauchen hier eine sachliche Diskussion der Politik. Ich habe den Eindruck, sie denkt nur noch an die letzten Umfragen und nächsten Wahlen und ist an Argumenten und Fakten nicht interessiert. Die Irrationalität nimmt zu.

An der Notwendigkeit, den Klimaschutz zu verbessern, besteht doch aber kein Zweifel.

Auch bei Volkswagen steht der Klimawandel im Fokus. Wir stehen zu den Klimazielen von Paris und tun gut daran, die Erderwärmung unter zwei Grad zu halten. Wir werden unseren Beitrag leisten. Dieser Verantwortung stellen wir uns.

Aber?

Der Systemwechsel ist nicht durchdacht und völlig unzureichend vorbereitet. Wir diskutieren über Fahrverbote, Nachrüstung und fragwürdige Messverfahren. Was wir brauchen ist ein Plan, wie wir die Klimaziele erreichen wollen. Ich habe oft den Eindruck, es geht gar nicht wirklich um die Umwelt, sondern um die Verbannung des Autos von unseren Straßen.

Ist das nur Schuld der Politik, oder ist die Autoindustrie nicht auch für diese Entwicklung verantwortlich, weil sie sich in der Vergangenheit falsch verhalten hat?

VW hat durch den Diesel-Skandal ganz sicher viel Vertrauen verloren. Dennoch muss eine sachbezogene Diskussion in diesen wichtigen Fragen wieder möglich sein.

Die Politik musste sich aber vorwerfen lassen, zu sehr auf die Interessen der Industrie eingegangen zu sein.

Das Volkswagenlogo auf dem Dach des Verwaltungshochhauses des VW-Werks.
Das Volkswagenlogo auf dem Dach des Verwaltungshochhauses des VW-Werks. © dpa | Hauke-Christian Dittrich

Die Industrie ist immer verdächtig, ihre Interessen in den Vordergrund zu spielen. Und natürlich geht es um unsere Interessen, dazu gehören unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die Autofahrer, denen es mehr und mehr an den Kragen geht. Und schließlich reden wir über den Wohlstand der Nation, dessen Basis zu einem Teil das Autogeschäft ist.

Was meinen Sie genau, wenn Sie von einem Plan für den Umstieg auf die Elektromobilität sprechen?

Aus heutiger Sicht können wir die Klimaziele nur mit E-Autos erreichen. Die Voraussetzung dafür ist, dass der Strom, mit dem die Batterien der E-Fahrzeuge geladen werden, aus erneuerbaren Energien erzeugt wird. So weit sind wir aber längst nicht. Wir müssen also klären, wie die Umstellung der Energieerzeugung parallel zum Ausbau der E-Mobilität erfolgt. Wie wird der Strom verteilt, von Nord nach Süd gebracht, und bis wann haben wir eine ausreichende Ladeinfrastruktur? Zur Wahrheit gehört auch, dass Autos durch Technologie oder Strafzahlungen zukünftig deutlich teurer werden.

Inwiefern?

Unser Einstiegsmodell Up stößt mit der Basismotorisierung 95 Gramm CO2 je Kilometer aus. Damit entspricht er genau dem vorgeschriebenen Flottendurchschnitt, der ab 2020 gilt – wohlgemerkt unser kleinstes Auto. Der verschärfte Flottengrenzwert wird durch die EU Vorgaben für uns jetzt auf circa 60 Gramm abgesenkt, das ist auch für kleine Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren völlig unerreichbar.

Um die strengeren Grenzwerte ab 2030 zu erreichen, müssten wir dann drohende Strafen von knapp 100 Euro je Gramm CO2 zahlen; das wären rund 3500 Euro pro Up. Die Einstiegsmobilität, kleine Autos, werden also deutlich teurer. Für manche Kunden unerschwinglich. Ich frage mich, ob die Politik all diese Konsequenzen bedacht hat – und ob sie ihren Kurs auch durchhalten wird.

Weil dann der Widerstand der Verbraucher zu groß wird?

Das erleben wir gerade in Frankreich, wo der Preis für Kraftstoff um zehn Cent je Liter erhöht wurde und die Menschen auf die Straße gehen. Ein ähnliches Beispiel gibt es in Italien, wo die Steuererhöhung für konventionelle Fahrzeuge und die Förderung von Elektro-Fahrzeugen ganz schnell vom Tisch waren. Das Thema könnte zu einem echten Prüfstein für die Politik werden.

Was passiert, wenn die Regulierung von der Politik tatsächlich nicht durchzuhalten ist?

Wir müssen vorbereitet sein und uns auf die jeweilige Situation einstellen. Das ist nicht einfach, weil wir für unsere Planungen eine verlässliche Grundlage brauchen. Man kann ein Autowerk nicht heute so und morgen so ausplanen.

Also zurück zum bisherigen Modell?

Ein exemplarischer Fahrzeugunterbau mit Elektro-Motor von einem VW Golf 7 steht in Wolfsburg an einer Fertigungsstrecke im Volkswagen-Werk.
Ein exemplarischer Fahrzeugunterbau mit Elektro-Motor von einem VW Golf 7 steht in Wolfsburg an einer Fertigungsstrecke im Volkswagen-Werk. © dpa | Julian Stratenschulte

Nein, der Elektromobilität gehört die Zukunft. Wir können Mobilität damit CO2-neutral darstellen. Wir müssen nur den Übergang vernünftig gestalten. Die Politik erzwingt jedoch einen Systemwechsel, der nicht vorbereitet ist. Industrie und Kunden werden überfordert, die Entwicklung dem Zufall überlassen. Es wird über den Kopf der Menschen hinweg entschieden.

Um es noch einmal zu sagen: Mir fehlt die gesellschaftliche Diskussion, wie dieser Systemwechsel gestaltet werden kann. Und wenn man in Deutschland und Europa keine Autos mehr will, dann soll man das auch deutlich sagen. Dann können wir uns darauf einstellen. Uns muss hier auch klar sein, dass es viel wirtschaftlicher wäre, den CO2-Ausstoß in anderen Sektoren zu senken.

Sie waren gerade erst mit anderen Vertretern der deutschen Autoindustrie in den USA, um mit Präsident Donald Trump über drohende Zölle für Importautos zu sprechen. Verstehen Sie seine Position?

Präsident Trump hat Argumente: Es gibt weltweit kein Land mit nur 2,5 Prozent Einfuhrzöllen für Automobile. Nirgendwo ist der Markt liberaler, nirgendwo können Autos günstiger gekauft werden. Die einzige Ausnahme gilt für die Einfuhr von Pick-ups. Ob seine Drohungen nachvollziehbar sind, ist eine Frage der Einstellung und der Blickrichtung.

Der Umstieg auf die Elektromobilität ist nicht der einzige Wandel, dem sich VW und die gesamte Autoindustrie stellen müssen. Wie weit ist VW mit der Digitalisierung?

Wir haben in diesem Jahr große Fortschritte gemacht und zum Beispiel eine komplett neue Elektronik-Architektur entwickelt, die Soft- und Hardware erstmals trennt. Zudem bauen wir mit Microsoft und anderen Partnern eine eigene Cloud-Kompetenz auf. Über die Cloud werden wir künftig alle digitalen Mobilitäts-Dienstleistungen anbieten.

Kann Volkswagen den wachsenden Bedarf an IT-Fachkräften decken?

Wir bekommen nicht schnell genug die Spezialisten, die wir brauchen. Deshalb arbeiten wir mit Nachdruck an dem Thema und richten zum Beispiel eine eigene SW-Ausbildung ein, in der wir Mitarbeiter zu Software-Experten ausbilden. Mehr und mehr ist zu spüren, dass Deutschland in diesem Bereich großen Nachholbedarf hat, weil eine entsprechende Industrie fehlt. Das ist ein Standortnachteil.

Die Bundesregierung will Ende Dezember eine Lösung zur Hardware-Nachrüstung alter Diesel vorlegen. Wie bewerten Sie diesen Plan?

Wir haben immer wieder unsere Bedenken gegen Nachrüstungen geäußert. Ich bleibe dabei, Nachrüstungen helfen der Umwelt nicht weiter, im Gegenteil, der CO2-Ausstoß wird sich erhöhen. Sie sind technisch nicht ausgereift und bedeuten Risiken und Nachteile für den Autobesitzer.

Zur Person: Seit April dieses Jahres ist Herbert Diess Vorstandschef von Volkswagen, er folgte auf Matthias Müller. Der promovierte Ingenieur kam von BMW zu dem Wolfsburger Autokonzern, wo er ab Juli 2015 der Konzernmarke VW vorstand. 2016 wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Braunschweig gegen den 60-Jährigen im Zuge des Abgasskandals wegen des Verdachts der Marktmanipulation ermittelt.