Berlin. Jörg Sprave hat eine Gewerkschaft für Videoblogger gegründet. Er fordert mehr Mitspracherecht für Kreative. Youtube sei zu willkürlich.

Einmal, da steht er auf der Wiese, in den Händen eine Schleuder, mit der er Bälle auf ein Kleinwagen schießt. Ein anderes Mal feuert er Ikea-Bleistifte durch ein dünnes Rohr auf eine Holzwand ab. Und dann die Szene mit dem Salz-Geschoss, mit dem er lästige Fliegen verjagt.

Mit seinen Videos über selbst gebaute Kanonen und andere Geschosse ist Jörg Sprave ein Hit auf Youtube. Für seine Kondomschleuder gewann er 2014 den Videopreis der Bill & Melinda Gates Foundation.

Mehr als zehn Millionen Mal werden seine Videos geklickt, seinem Youtube-Kanal „The Slingshot Channel“ folgen über zwei Millionen Menschen.

Alberne Späße – und ernste Probleme mit YouTube

All das war jahrelang einfach nur ein alberner Spaß – jetzt aber nutzt Sprave seine Geschosse, um für eine ernsthafte Sache zu kämpfen.

Denn seit ein paar Jahren läuft einiges schief auf Youtube. Die zu Google gehörende Videoplattform ändert immer wieder die Nutzungsbedingungen, ohne sich darüber mit den Kreativen auszutauschen – und das, obwohl die Gestaltung der Community-Regeln enorme Folgen für die Youtube-Stars und ihre Verdienstmöglichkeiten hat.

Weil auch er Ärger mit der Plattform bekam, hat Sprave schließlich eine Gewerkschaft gegründet, The Youtubers Union, die erste Interessenvertretung für Youtuber weltweit.

Schon 16.500 Menschen sind in The Youtubers Union

16.500 Nutzer haben sich der Bewegung mittlerweile angeschlossen. Rechtlich gesehen ist das zwar keine Gewerkschaft, so gibt es etwa auch keine Mitgliedsbeiträge. Sprave glaubt trotzdem an die Bewegung: „Wir haben uns schon ordentlich Gehör verschafft.“

Es ist ein Kampf für mehr Mitspracherechte und Fairness im Umgang mit den Kreativen – und für bessere Arbeitsbedingungen in der digitalen Arbeitswelt. Denn das Problem der übermächtigen Plattformen ist nicht auf Youtube beschränkt, sondern betrifft Musiker auf Spotify ebenso wie Taxifahrer bei Uber.

Ein Arbeitgeber, der sich nicht an Gesetze hält

Eine organisierte Interessenvertretung sei „sinnvoll und notwendig“, findet auch der Soziologe Jan-Felix Schrape, der über Plattformökonomie forscht. Für manch einen Youtuber, der von den Einnahmen durch seine Videos lebt, ist Youtube wie ein Arbeitgeber – jedoch einer, der sich an keinerlei Gesetze halten muss.

„Der Einzelne ist in einer stark unterlegenen und prekären Situation, zumal Plattformunternehmen bislang gerne vorhandene Regulierungslücken und -unschärfen genutzt haben, um eingespielte Arbeitnehmerrechte zu unterlaufen“, kritisiert Schrape.

Spaß-Videos plötzlich als Inspiration für Terroristen gedeutet

Auch Youtube-Star Sprave musste vor rund einem Jahr erfahren, wie machtlos er ist. 2017 nämlich befand Youtube, dass Sprave mit seinen selbst gebauten Geschossen alles Mögliche treffe, nur nicht mehr den Humor der US-Plattform.

Weil seine Videos angeblich als Tutorial für Terroristen dienen könnten, schaltete die Plattform von heute auf morgen keine Werbung mehr in seinen Videos. Spraves Einnahmen brachen über Nacht ein. Zuvor verdiente er 6500 Dollar im Monat, danach waren es nur noch 1500 Dollar.

Firmen fanden Werbung vor IS-Videos nicht lustig

Kurz zuvor hatte Youtube seine Richtlinien für Werbung geändert. Lange Zeit war das Regelwerk eher locker formuliert, was dazu führte, dass selbst in scheußlichen Enthauptungsvideos des „Islamischen Staates“ Werbung auftauchte. Den Konzernen gefiel das gar nicht, rund 250 Markenunternehmen riefen zum Boykott auf.

Insider sagen, dass auch heute die Werbeeinnahmen noch nicht das Niveau von vor dem Shitstorm erreicht haben. Unter dem Druck änderte Youtube die Bedingungen und schaltet fortan nur noch Werbung in Videos ohne streitbare Inhalte. Die Folge: Youtubern, die keine Heile-Welt-Videos machen, brachen die Einnahmen weg.

„Für manch einen bedeutet das 20 bis 25 Prozent weniger Einnahmen“, sagt Sprave. „Es ist nicht hinnehmbar, dass den Kreativen von heute auf morgen und ohne Ankündigung die Existenzgrundlage entzogen wird.“

Algorithmen sind fehleranfällig

Hinzu kommt: Die Algorithmen, die die Videos filtern, sind nicht fehlerfrei. So landete ein Video von Sprave mit dem Titel „Katana: The Naked Truth“ („Katana, die nackte Wahrheit“, wobei Katana der Name eines Samurai-Schwertes ist) auf dem Index.

Eigentlich ist das nur ein harmloses Interview mit einem Schwertschmied. Weil aber das Wort „naked“ in der Überschrift stand, wurde es von Youtube herausgefiltert. „Youtube kennt nicht den Unterschied zwischen der nackten Wahrheit und einem nackten Hintern“, ärgert sich Sprave.

Künstliche Intelligenz dürfe keine Entscheidungen fällen, die weitreichende Konsequenzen für Menschen haben. Sprave will erreichen, dass Youtube künftig stärker in Dialog mit den Kreativen auf der Plattform tritt.

Sprave traf auf Youtube-Vizepräsidenten

Doch es ist nicht einfach, einen milliardenschweren US-Konzern umzustimmen. Da ist es schon eine kleine Sensation, dass Sprave es vor Kurzem geschafft hat, den Vizepräsidenten von Youtube zu treffen. Auf Anfrage bestätigte Google, man sei in Gesprächen, zu den Ergebnissen wolle man sich aber nicht äußern. Sprave ist zuversichtlich, er habe bereits positive Signale vernommen.

Als Nächstes will der Youtube-Star die etablierten Gewerkschaften nutzen, um seiner Sache noch mehr Gewicht zu verleihen. Mit der IG Metall ist Sprave bereits im engen Austausch. „Wir können voneinander lernen“, sagt Vanessa Barth, die im Vorstand der IG Metall den Bereich Zielgruppenarbeit und Gleichstellung leitet.

Schließlich haben auch die Gewerkschaften ein Interesse daran, die Arbeitsbedingungen im Internet mitzugestalten. Die Zusammenarbeit könnte so weit gehen, dass Mitglieder der Youtubers Union, die auch der IG Metall angehören, den in der Mitgliedschaft enthaltenen Rechtsschutz beanspruchen können, auch für juristische Auseinandersetzungen mit Youtube.

Entschieden ist das noch nicht. Aber Sprave ist sich sicher: Die Übermacht von Youtube bröckelt.