Berlin. Im Arbeitsvertrag stehen im Schnitt 39 Stunden Arbeitszeit pro Woche. Doch in der Regel arbeiten die meisten Arbeitnehmer viel länger.

Für die Arbeiterbewegung war es ein durchschlagender Erfolg: Vor 100 Jahren, im November 1918, wurde in Deutschland erstmals der achtstündige Arbeitstag eingeführt. Zunächst galt er tatsächlich nur für Arbeiter, ab 1919 dann auch für Angestellte.

Acht Stunden Arbeit, acht Stunden Freizeit und acht Stunden Schlaf – an dieser Einteilung des Tages hat sich bis heute kaum etwas geändert. In vielen Branchen ist die Arbeitszeit sogar eher gesunken – zumindest auf dem Papier. Zwischen der vereinbarten Arbeitszeit und den tatsächlich geleisteten Stunden klafft oft eine Lücke.

Wie die jüngste Arbeitszeitbefragung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) zeigt, die unserer Redaktion vorliegt, arbeiten Beschäftigte mit einem Vollzeitjob in Deutschland theoretisch fast 39 Stunden in der Woche. Das ist der Durchschnittswert der in den Arbeitsverträgen vereinbarten Dauer. In der Praxis werden daraus aber durchschnittlich mehr als 43 Stunden.

Das heißt: Jeder Vollzeitbeschäftigte macht jede Woche fast fünf Überstunden. Rechnet man die Teilzeitbeschäftigten mit ein, dann sind es noch immer rund vier Stunden pro Woche, die Arbeitnehmer mehr arbeiten, als sie eigentlich müssten. Besonders betroffen von Mehrarbeit sind Fahrer von Lieferwagen und Lkw: Sie machen im Schnitt 7,2 Überstunden pro Woche.

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    Jeder Dritte meint, er schaffe die Arbeit nicht

    Der größte Teil der befragten Arbeitnehmer (33 Prozent) gab an, er habe „das Gefühl, dass die Arbeit im vorgesehenen Zeitraum nicht zu schaffen“ sei. Ein weiterer Grund für zusätzliche Arbeit sind den Experten der BAuA zufolge ganz allgemein „betriebliche Gründe“. Finanzielle Anreize wie eine zusätzliche Bezahlung spielen dagegen eine eher untergeordnete Rolle. Das passt zu dem allgemeinen Trend, dass die geleistete Mehrarbeit immer öfter nicht bezahlt wird.

    Warnend weisen die Autoren der Studie darauf hin, dass vor allem Paketzusteller durch den Boom des Onlinehandels immer höheren Belastungen ausgesetzt sind. „Da die Gruppe im Straßenverkehr mobil beschäftigt ist, können Fehler besonders weitreichende und teilweise tödliche Auswirkungen haben“, heißt es. Arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse zeigten, „dass das Unfallrisiko nach der achten Arbeitsstunde erst moderat und dann exponentiell ansteigt.“

    Insgesamt hat sich die Zahl der Überstunden und der geleisteten Arbeitszeit gegenüber der ersten großen Befragung im Jahr 2015 kaum verändert. Die Autoren der Studie führen das auf den seit Jahren stabilen deutschen Arbeitsmarkt zurück. Nach wie vor gilt deshalb, dass Männer noch immer längere Arbeitszeiten haben als Frauen, die oft nur Teilzeit arbeiten.

    Jüngere Arbeitnehmer sind eher zu Überstünden bereit

    Auch jüngere Arbeitnehmer sind eher bereit, Überstunden zu machen als ältere. Und: Chefs arbeiten oft deutlich länger als ihre Mitarbeiter. Dabei spielt die Zahl der Untergebenen eine große Rolle. Je größer die Personalverantwortung, desto länger ist die Arbeitszeit. Wer fünf Mitarbeiter hat, arbeitet durchschnittlich 40,7 Stunden. Bei Chefs mit 21 Angestellten sind es im Schnitt 44,6 Stunden.

    Positiv vermerken die Autoren der Studie, dass es mehr Möglichkeiten gebe, die Arbeitszeit flexibel zu gestalten. Dadurch könnten Arbeitsbelastungen abgefedert und gesundheitlich negative Folgen reduziert werden. Kritisch zu sehen sei aber „die leichte Zunahme der ständigen Erreichbarkeit, insbesondere bei Personen mit einem niedrigen Bildungsniveau und bei Beschäftigten mit sehr langen Arbeitszeiten“.

    Untersucht wurden auch Arbeitszeiten am Wochenende und außerhalb der Zeit zwischen 7 bis 19 Uhr. Etwa ­jeder fünfte Beschäftigte arbeitet regelmäßig zu diesen Randzeiten. Gründe dafür sind die Erwartungen in der ­heutigen Dienstleistungsgesellschaft, die Digitalisierung und die Globalisierung. Die Zahl derer, die ständig am Wochenende arbeiten, ist relativ konstant: Fast die Hälfte der Beschäftigten muss dies mindestens einmal im Monat. 57 Prozent der Befragten dagegen haben am Sonnabend und Sonntag immer frei.

    Befragt wurden für die zum zweiten Mal durchgeführte Studie im Sommer und Herbst 2017 fast 10.000 Arbeitnehmer, die mindestens zehn Stunden pro Woche arbeiten.