Berlin. Die erste Schnelltrasse zwischen Hannover und Würzburg wird komplett erneuert. Reisende müssen sich bald auf Verspätungen einstellen.

Die Kette schlechter Nachrichten für Bahnreisende reißt nicht ab. Von Juni 2019 an müssen sie sich auf deutlich längere Fahrzeiten auf der Strecke zwischen Hannover und Würzburg einstellen. Die Schnellstrecke war die erste, auf der ICE vor 27 Jahren durch Deutschland fuhren, und ist in die Jahre gekommen. Auch wenn die Arbeiten fern von Berlin angesetzt sind, treffen sie auch Berlinreisende. Ein Großteil der Züge zum Beispiel von Berlin nach Frankfurt nutzt zwischen Göttingen und Fulda die Trasse.

Die Deutsche Bahn wird während der Sanierung Teile der Strecken jeweils sperren und die Züge über die alte langsamere Strecke zwischen Hannover und Würzburg umleiten. Die Fahrt zwischen Berlin und Frankfurt wird sich um 30 bis 45 Minuten verlängern. Außerdem sind auf der Hauptstrecke dann weniger Züge unterwegs. Die Waggons werden also noch voller sein als üblich.

Die Arbeiten am ersten Teilstück beginnen im Juni 2019

Los geht es am 11. Juni 2019 mit dem Teilstück Hannover–Göttingen, das im Dezember 2019 fertig sein soll. Der weitere Verlauf bis Kassel wird von April bis Juli 2021 modernisiert. In den beiden folgenden Jahren gehen die Arbeiten dann weiter bis Würzburg und Fulda. „Allein auf dieser Strecke erneuert die Bahn insgesamt 532 Kilometer Gleise und 224 Weichen“, erläutert das Unternehmen. 800.000 Schwellen werden ausgetauscht, 500.000 Tonnen Schotter darunter verteilt. Rund 640 Millionen Euro kostet allein dieses Vorhaben.

Es gibt auch ein zweites Großprojekt: die Sanierung der Strecke zwischen Mannheim und Stuttgart, die für 2020 vorgesehen ist. Vom 10. April bis zum 31. Oktober wird die Trasse vollständig gesperrt. Hier werden 190 Kilometer Schienen und 54 Weichen ausgetauscht. Zusammen mit 315.000 Betonschwellen und 200.000 Tonnen Schotter kostet die Erneuerung 185 Millionen Euro.

Täglich 110 Fernzüge mit rund 42.000 Passagieren

Die Bahn warb um Verständnis für die Großbaustellen. Sie seien unvermeidbar: Die beiden ICE-Strecken seien seit ihrer Eröffnung 1991 im Dauerbetrieb. Auf der 327 Kilometer langen Trasse zwischen Hannover und Würzburg fahren täglich 110 Fernzüge mit rund 42.000 Reisenden, dazu im Schnitt 26 Güterzüge. Auf den 99 Kilometern von Mannheim nach Stuttgart verkehren jeden Tag 185 Fernzüge mit 66.000 Fahrgästen, hinzu kommen 24 Güterzüge.

Der Fahrgastverband Pro-Bahn ist skeptisch, ob es bei den vergleichsweise erträglichen Einschränkungen für die Fahrgäste bleibt. Denn auch der Nahverkehr wird nach Einschätzung des Vereins betroffen sein. Die Fernzüge werden demnach auch über Nahverkehrsstrecken umgeleitet. Dort könnten Verbindungen ausfallen. „Wenn ein halbes Jahr lang Schienenersatzverkehr angeboten wird, ist das für die Kunden nicht akzeptabel“, sagt Pro-Bahn-Sprecher Karl-Peter Naumann. Im Südharz sollen seiner Kenntnis nach zum Beispiel Züge durch Busse ersetzt werden.

Kernpunkt der Kritik ist die mangelhafte Kommunikation

Zur Skepsis des Fahrgastverbands tragen auch Erfahrungen in der Vergangenheit bei. „Bei vielen Baustellen wird eher chaotisch geplant“, stellt Naumann fest. Kernpunkt seiner Kritik sind nicht die verlängerten Reisezeiten. Vielmehr stört ihn die häufig unzuverlässige Kommunikation von Fahrplanänderungen. Oft könne die Bahn Ersatzfahrpläne nicht einhalten. „Wir erwarten, dass die Bahn einen Fahrplan macht, der auch fahrbar ist“, sagt Naumann.

Am Ende der Bauzeit werden die beiden Magistralen trotz des hohen Aufwands nicht über den modernsten Stand der Technik verfügen. Denn es wird nur die Basis für die spätere Digitalisierung der Trassen gelegt. „Wir schaffen die idealen Voraussetzungen für eine Ausrüstung mit ETCS“, sagt eine Bahn-Sprecherin. Dieses automatische Zugsteuerungssystem (European Train Control System) soll die Kapazitäten auf den damit ausgestatteten Strecken um bis zu 20 Prozent erhöhen, weil die Züge in kürzeren Abständen fahren können. Erst damit würde sich die Lage im chronisch überlasteten Streckennetz verbessern.

Die Finanzierung der Digitalstrategie der Bahn ist ungeklärt

Doch die gleichzeitige Digitalisierung der Strecken mit ETCS ist nicht vorgesehen. Eine Bahn-Sprecherin begründet dies mit den langen Planungsvorläufen. Auch ist die Finanzierung der Digitalstrategie der Bahn noch ungeklärt. Die Magistralen bleiben also auch nach der Sanierung zunächst noch Engpässe im Trassennetz.

Auch das leidige Thema Verspätungen wird die Bahnkunden wohl weiter begleiten. Zeitgleich gibt es bei der Bahn seit Jahren bis zu 800 Baustellen. Das ist einer der Gründe für die miserable Pünktlichkeitsquote, die derzeit weit von der Zielsetzung entfernt liegt. Eigentlich sollen 82 Prozent der Züge zeitgerecht am Ziel eintreffen. Bis Ende August waren es in diesem Jahr nicht einmal 76 Prozent. Immerhin sagt die Bahn eine umfassende Information der Reisenden während der Großsanierung zu. Auch sollen noch nicht benannte Annehmlichkeiten bei den betroffenen Fahrgästen für Verständnis für die längere Reisezeit sorgen.

Das Sanierungsprogramm dauert bis Ende des nächsten Jahrzehnts

Das Sanierungsprogramm für das 36.000 Kilometer lange Streckennetz der Bahn wird noch Jahre dauern. Dafür verspricht das Unternehmen eine kundenfreundliche Zukunft. Bis Ende des nächsten Jahrzehnts sollen wieder alle Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern an das Fernverkehrsnetz angebunden werden. Die Bundesregierung verlangt bis 2030 eine Verdoppelung der Passagierzahlen. Erst vergangene Woche hat der Aufsichtsrat eine weitere Milliarde Euro für neue Triebwagen und Waggons freigegeben.