Hamburg. Sie hat eine kleine Wimpelkette aufgehängt, eine Decke über dem Sitz ausgebreitet. Damit es ein bisschen gemütlicher wird. Ist schließlich ihr Arbeitsplatz für die nächsten sechs bis acht Stunden. Manchmal macht sie auch zehn, wenn es besonders gut läuft. Heute will sie als Erstes zur Elbphilharmonie. Früher ist sie manchmal den ganzen Tag zwischen Rathausmarkt und Landungsbrücken hin- und hergefahren. Aber seit die Elbphilharmonie fertig ist, stellt sie sich oft auch dorthin und wartet auf Fahrgäste. Mit ihrem Velotaxi fällt sie auf, dieser modernen Form der Rikscha, die ein bisschen wie ein Ei auf Rädern aussieht und in der Platz für zwei Erwachsene und ein Kind ist. Die meisten Fahrgäste sind Touristen, die sich von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten bringen lassen – oder gleich eine ganze Stadtrundfahrt in der Fahrradrikscha machen wollen.
„Ich weiß nie, was mich erwartet. Und genau das macht den Job so faszinierend“, sagt Luise Czerwonatis, die seit 2003 Velotaxi-Fahrerin ist. „Als ich die Teile das erste Mal gesehen habe, war es einfach um mich geschehen“, erinnert sich die Hamburgerin. Diese Freiheit! Ein Gefühl wie früher beim Herumstromern! So beschreibt sie es. Mit 65 Jahren ist sie eine der ältesten Fahrerinnen in der rund zehnköpfigen Hamburger Fahrer-Flotte. Die meisten ihrer Kollegen sind zwischen 20 und 40 Jahren alt – und Studenten. Sie selbst ist Künstlerin, macht „mal dies und mal das“, wie sie es nennt. Wenn sie es zeitlich einrichten kann – und gerade keine anderen Jobs hat – fährt sie zehn Tage am Stück Velotaxi und macht danach vier Tage frei.
Kunden müssen 42 Euro für eine Stunde bezahlen
Dafür bekommt sie für den ersten Kilometer sieben Euro, für jeden weiteren fünf – oder 42 Euro für eine ganze Stunde. Direkt von den Fahrgästen. Sie ist selbstständig, arbeitet auf Gewerbeschein, und mietet ihr Fahrradtaxi tageweise bei Velotaxi Hamburg. Dafür zahlt sie eine tagesabhängige Miete: Sonntag bis Donnerstag sind es 15 Euro, Freitag 20 Euro und Sonnabend 25 Euro.
Vor 21 Jahren gestartet – weltweit aktiv
Früher war es mal weniger Miete. „Das hängt mit der Werbeauslastung zusammen“, erklärt Christian Rusche, Geschäftsführer von Velotaxi Hamburg. Nachdem er selbst jahrelang als Velotaxi-Fahrer in der Hansestadt gearbeitet hatte, übernahm er 2015 das Geschäft von seinem Vorgänger Johannes-Christian Fölsch. Dieser hatte die Fahrradtaxi-Idee rund zehn Jahre zuvor aus Berlin importiert, wo die Dreiräder schon 1997 auf die Straße kamen. Dort wurde Velotaxi gegründet, um ein umweltgerechtes Nahverkehrssystem zu etablieren, das sich über Fahrkosten und Werbeeinnahmen finanziert. An diesem Ziel hat sich bis heute nichts geändert – doch die Umsetzung ist schwierig. Zumindest in Hamburg.
Werbebuchungen sind wichtig
Obwohl bundesweit einige Fahrrad-Rikscha-Unternehmer ihr Geld hauptsächlich mit diesen Werbebuchungen verdienen, liegen die Erlöse in Hamburg weit hinter den Erwartungen. „Die Werbeauslastung ist so gering, dass das Konzept von Velotaxi bei uns nicht aufgeht“, sagt Christian Rusche. Das Problem sei nicht neu, schon sein Vorgänger hätte damit zu kämpfen gehabt – und sich deshalb schließlich zurückgezogen. Christian Rusche übernahm das Unternehmen trotzdem. Für die symbolische Summe von einem Euro. „Mir war schon klar, dass es schwer sein wird, das Geschäft am Laufen zu halten“, so Rusche. Sein Fazit: „Als Fahrer kann man davon leben. Als Unternehmer nicht.“
Aus diesem Grund hat sich der Diplomingenieur mit dem Schwerpunkt Nutzfahrzeuge noch ein zweites Standbein aufgebaut: er konstruiert, baut und vertreibt Lastenräder – und liefert mit seiner eigenen Flotte im Auftrag von Kunden deren Waren aus. Der Verkauf der Räder läuft schleppend, die Logistiksparte hingegen gut. Zu den Kunden von Cargo Cycle Logistic zählen Kunden wie der Bio-Lieferdienst City Farming, der Lebensmittelhersteller Die Deutsche See, Edeka Struve, die Delta Fleisch Handels GmbH und der Logistikdienstleiter der Deutschen Bahn DB Schenker.
Prioritäten setzen
Sechs Räder umfasst die Lastenräder-Flotte von Cargo Cycle. „Jedes Fahrzeug ist fünf bis sechs Stunden pro Tag unterwegs“, sagt Rusche. Cargo Cycle ist sein Stolz, daran hängt sein Herz. „Ich habe die Firma aufgebaut. Das ist etwas anderes, als wenn man eine Firma wie Velotaxi übernimmt.“
Manchmal ist es nicht leicht, alles unter einen Hut zu bekommen. Allen gerecht zu werden. Es ist wie ein Paradoxon: Dank des Erfolges von Cargo Cycle kann Velotaxi zwar weiter bestehen und ist finanziell abgesichert. Aber eben wegen des Erfolges von Cargo Cycle und der damit verbundenen Arbeit hat Rusche manchmal einfach zu wenig Zeit für Velotaxi. Für den Auf- und Ausbau. „Ich kann mich ja nicht teilen, sondern muss manchmal Prioritäten setzen“, sagt er.
Trotzdem – oder gerade deswegen: Er will mit Velotaxi weitermachen. Das sei er den anderen schuldig, findet er und meint: den Fahrern, die mit Velotaxi ihr Geld verdienen, den Touristen, die mit dem Fahrrad-Taxi unkompliziert von einer Sehenswürdigkeit zur anderen kommen. Und irgendwie auch der Umwelt, die schließlich durch den Einsatz der Velos geschont wird. Auf 30.000 bis 40.000 Kilometer kommt seine Fahrrad-Flotte pro Saison schätzt er. Zwölf Velos hat er derzeit, eins ist gerade kaputt. Donnerstag bis Montag sind die meisten Räder im Einsatz. An den anderen Tagen nur ein paar.
Alle zwei Jahre ein neuer Akku
Rund 10.000 Euro kostet einer der CityCruiser, alle zwei Jahre muss in einen neuen Akku investiert werden. Seit 2000 fahren die Velotaxis mit elektrischem Hilfsmotor. „Für die Fahrer ist der Job dadurch natürlich leichter geworden. Doch die damit verbundenen Wartungskosten sind enorm“, sagt Christian Rusche. Rund 18.000 Euro musste er bereits direkt nach Firmenübernahme in die Aufrüstung seiner Flotte stecken.
„Wenn man bedenkt, was dann noch die Versicherung und die Miete der Halle kosten“, sagt Rusche und winkt ab. Im Moment stehen die meiste Velos in einer Garage in Altona und warten auf den nächsten Einsatz. Viele von ihnen sind mit orangener Folie beklebt. „Das war eine Werbeaktion für Zalando.“ Die ist aber schon wieder vorbei – und ein neuer Werbekunde noch nicht in Sicht. Rund 30 Euro zahlen die Firmen für die Werbung am Velo. Pro Tag und pro Fahrzeug.
Zwischen November und März ist das Geschäft fast tot
Es ist ein Saisongeschäft. Zwischen November und März läuft fast nichts. Klar, ein paar Fahrer mieten sich auch dann ab und an eines der Velotaxis, doch das ist eher die Ausnahme. Ein paar Wochen sind es noch, dann ist die Saison vorbei. Dann geht es in die lange Winterpause, in die Zeit der Reparaturen, Investitionen – und der strategischen Planung. Ans Aufgeben denkt Christian Rusche nicht.
Im Gegenteil: Er will in der nächsten Saison noch enger mit der Zentrale von Velotaxi in Berlin zusammenarbeiten. „Wir planen, in puncto Werbung stärker zu kooperieren. Ziel ist es, dass große Unternehmen nicht nur regional werben können – sondern auf Wunsch bundesweit auf Velos ihre Werbung schalten können“, sagt Rusche. Er hofft, dass der Plan aufgeht. Dass die nächste Saison besser läuft. Bis dahin wird er sich weiter abstrampeln.
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