Shenzen/Peking. China will in die Weltspitze in Sachen Wissenschaft und Technik aufsteigen. Bis 2025 soll dafür eine Billion Dollar investiert werden.

Xiao Yi wirkt etwas hölzern, seine Stimme klingt blechern. Ansonsten aber ist der chinesische Roboter ein echter Wunderknabe. 53 medizinische Lehrbücher, mehr als zwei Millionen Krankenaufzeichnungen und 400.000 weitere Fachtexte hat er in seinem künstlichen Gehirn gespeichert. Im vergangenen Herbst ist es ihm als erstem Roboter der Welt gelungen, einen so umfangreichen Test wie die nationale Medizinprüfung zu bestehen. Das ist der Test, der absolviert werden muss, um in China als Arzt anerkannt zu werden und um zu praktizieren.

Und damit nicht genug: Per Touch auf dem eingebauten Bildschirm ist Xiao Yi auch jederzeit in der Lage, die Daten eines Patienten auszuwerten und eine entsprechende Diagnose zu stellen. Seit kurzer Zeit ist der Medizinassistenzroboter der chinesischen Hightech-Firma iFlyTek sogar für jedermann zum Kauf erhältlich.

Bis heute eilt China der Ruf voraus, als „Werkbank der Welt“ zwar viel herzustellen. Als globale Ideenschmiede ist die zweitgrößte Volkswirtschaft aber noch nicht aufgefallen. Doch das soll sich auf Wunsch der jetzigen Regierung grundlegend ändern. China soll zur führenden Hightech-Nation aufsteigen. China soll schon bald zum Vorreiter in Sachen künstlicher Intelligenz (KI) werden. Und der Medizinroboter Xiao Yi ist dafür nur ein Vorgeschmack.

Chin ist fokussiert auf E-Autos, Flugzeuge und Medizintechnik

Ein Roboterkampf auf einer Tech-Messe in Shenzhen im vergangenen November. Die Stadt wird mehr und mehr zum Zentrum für die Entwicklung künstlicher Intelligenz.
Ein Roboterkampf auf einer Tech-Messe in Shenzhen im vergangenen November. Die Stadt wird mehr und mehr zum Zentrum für die Entwicklung künstlicher Intelligenz. © picture alliance / Blanches/Imag | dpa Picture-Alliance / Blanches

Vor drei Jahren hatte der chinesische Staats- und Parteichef Xi Jinping die neue industriepolitische Strategie „Made in China 2025“ ausgerufen. Sein Land soll danach ein Land der Erfinder werden und an der Weltspitze von Wissenschaft und Technik stehen.

Dazu gehört aus chinesischer Sicht die Entwicklung von Robotern und anderen computergesteuerten Maschinen etwa für Elektrofahrzeuge, Flugzeuge oder medizinische Geräte. „Industrie 4.0“ ist derzeit in China in aller Munde – dahinter verbirgt sich die Verzahnung der digitalen Vernetzung mit der Fertigungsindustrie. Bis 2025, so das Regierungsziel, sollen 70 Prozent der in China genutzten Hightech-Produkte auf heimischem Boden hergestellt werden.

Für dieses hochgesteckte Ziel ist die Regierung bereit, sehr viel Geld in die Hand zu nehmen. Allein für die KI-Industrie sollen bis 2030 mehr als 150 Milliarden US-Dollar (132 Milliarden Euro) in die Forschung fließen. Für den gesamten Hochtechnologiesektor sind mehr als eine Billion Dollar vorgesehen.

Auch die großen chinesischen IT-Konzerne Alibaba, Tencent und Baidu investieren derzeit Milliarden in den Hochtechnologiesektor. Wirtschaftsexperten meinen, dass die Chinesen in der KI-Entwicklung nicht nur aufholen, sondern sich in einigen Bereichen bereits auf der Überholspur befinden.

Aus Wanderarbeitern werden Elektroniker und Ingenieure

An keinem Ort in China wird dieser Masterplan schon so konsequent verwirklicht wie in Shenzhen. Die Stadt vor den Toren Hongkongs war lange Zeit bekannt vor allem für seine vielen Fa­briken, Fertigungsstätten und Lagerhäuser. Heute wird die Stadt bereits als „Chinas Silicon Valley“ bezeichnet oder als „Silicon Valley der Hardware“, angelehnt an das US-Vorbild in Kalifornien.

Mit dem großen Elektronikzulieferer Foxconn aus Taiwan fing alles an. Das Unternehmen errichtete im Stadtgebiet riesige Fertigungsstätten für zeitweise mehr als 300.000 Mitarbeiter – zumeist Wanderarbeiter aus dem ­Inland, die für Sony, Nintendo, Apple und Hewlett-Packard Spielekonsolen, iPhones und Laptops zusammenschraubten. Dann folgten chinesische Elektronikhersteller: Huawei, ZTE, ­Midea und TCL.

Aus vielen dieser einstigen Wanderarbeiter sind heute Elektroniker, Programmierer und Ingenieure geworden. Sie selbst bezeichnen sich als Maker, Founder, Entrepreneure oder Start-up-Unternehmer. Sie leben über das gesamte Stadtgebiet von fast 2000 Qua­dratkilometern verteilt und arbeiten an neuen Prototypen.

Shenzhen ist ein Paradies für Selbermacher

Zugute kommt ihnen, dass sich in der Stadt die größte Ansammlung von Elektrogroßmärkten der Welt entwickelt hat. Mehrere Blöcke mit bis zu 20 Stockwerken reihen sich nebeneinander mit Zehntausenden kleinen Geschäften, manche kaum größer als eine Kleiderkammer.

Angela Merkel besuchte Siemens in Shenzhen im Mai.
Angela Merkel besuchte Siemens in Shenzhen im Mai. © imago/Xinhua | Mao Siqian

Auf diesen Märkten findet sich praktisch alles, was Tüftler brauchen: Platinen, Chips, LCD-Bildschirme in allen Größen oder auch einfach nur ein paar Kupferkabel. Der Käufer kann die Teile einzeln erwerben oder kistenweise.

Die ständige Verfügbarkeit der Teile, die für ein neues Produkt nötig sind, macht Shenzhen zum Paradies für Selbermacher. Auf den Märkten stöbern sie nach genau dem Schalter, Lichtleiter oder Speicherchip, den sie für ihre Erfindung brauchen, und schrauben sie in ihren Klitschen zu neuen Gadgets zusammen. Hervor kommen dann Produkte wie ein iPhone für zwei SIM-Karten oder Drohnen, die den Rasen sprenkeln.

Auch Siemens zieht es nach China

Der Staat hat das Potenzial von Shenzhen erkannt und legt in der Stadt deshalb Zulassungsbeschränkungen, Regulierungen und andere Vorschriften bewusst locker aus. Die von 30.000 auf mindestens zwölf Millionen Einwohner angewachsene Metropole ist somit auch längst kein Wanderarbeiter-Moloch mehr. Die jährliche Wirtschaftsleistung pro Kopf liegt in Shenzhen bei rund 50.000 US-Dollar – und liegt damit auf dem Niveau des Bruttoinlandprodukts der Deutschen.

Längst haben US-Technologie-Unternehmen das Hightech-Potenzial in China erkannt – und investieren umgekehrt auch kräftig in der Volksrepu­blik. Und auch Deutsche sind dabei. Für den Technologie-Konzern Siemens etwa ist China bereits einer der größten Standorte für Forschung und Entwicklung.

Siemens ist gerade sogar dabei, seine weltweite Forschung für autonome Robotik in China zu bündeln. Zu diesem Zweck ist der Münchner Konzern eine Partnerschaft mit der Pekinger Tsinghua-Universität eingegangen, Chinas führender Kaderschmiede für Ingenieure. Forschung finde zwar weltweit statt, betonte Siemens-Vorstandsmitglied und Technikchef Roland Busch jüngst. Aber eine Stelle müsse den Hut auf haben. Und bei der Robotik werde dies künftig von Peking aus geschehen.