Berlin. Sozialkassen können Überschüsse nicht mehr gewinnbringend investieren. Deshalb fordern Union und FDP eine Lockerung der Vorschriften.

Es gibt ein wichtiges Prinzip in der deutschen Sozialversicherung, an dem sich seit Jahrzehnten nichts geändert hat: Das Geld, das die Rentenversicherung, die Arbeitslosenversicherung und die Krankenkassen über Beiträge einnehmen, geben sie sofort wieder aus. Die Rentenversicherung zahlt damit die laufenden Renten, die Arbeitslosenversicherung das Arbeitslosengeld und die Krankenkassen die Rechnungen von Ärzten und Krankenhäusern.

Seit einigen Jahren nun sind die Versicherungen in der ungewöhnlichen Situation, dass sie mehr Geld einnehmen, als sie ausgeben können. Das liegt daran, dass so viele Menschen Arbeit haben und Beiträge zahlen. Die Folge: Es gibt immer größere Rücklagen.

Und: Diese Rücklagen kosten Geld. Allein die Rentenversicherung hat mit dem überschüssigen Geld – aktuell sind es mehr als 34 Milliarden Euro – für das vergangene Jahr einen Verlust in Höhe von 49 Millionen Euro erwirtschaftet. Auch dieses Jahr werde der Verlust so hoch sein, bestätigte die Rentenversicherung einen Bericht des „Handelsblatts“.

230 Milliarden Euro nimmt die gesetzliche Rentenversicherung ein

Zum Vergleich: Insgesamt nimmt die gesetzliche Rentenversicherung pro Jahr fast 230 Milliarden Euro Beiträge ein. Hinzu kommen mehr als 90 Milliarden Euro Steuerzuschüsse. Für die Rentner hätten die Zinsverluste keine direkten Folgen, betonten Sozialpolitiker. Sie forderten gleichwohl Änderungen an den Regeln, wie überschüssiges Geld investiert werden kann.

Schuld an den „negativen Vermögenserträgen“, wie es im Finanzdeutsch heißt, ist die Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Ihr Präsident Mario Draghi machte vergangenen Donnerstag deutlich, dass sich daran auch erst einmal nichts ändern wird. Banken, die sich bei der EZB Geld leihen, zahlen keine Zinsen.

Wollen sie kurzfristig Geld bei der EZB parken, müssen sie 0,4 Prozent Strafzinsen zahlen. Diese Konditionen reichen die Banken weiter: „Kreditinstitute bieten in dem Anlagehorizont bis zwölf Monate inzwischen weit überwiegend nur noch eine negative Verzinsung an“, sagte eine Sprecherin der Rentenversicherung.

Krankenkassen bekommen das angelgtes Geld nicht voll zurück

Bei den anderen Sozialversicherungen sieht es ähnlich aus. So erzielte die Arbeitslosenversicherung mit ihren kurzfristig angelegten Geldern im vergangenen Jahr nur noch eine Rendite von 0,01 Prozent. Auch Krankenkassen bekommen das Geld, das sie bei Banken oder sogar direkt bei der Bundesbank anlegen, nicht mehr voll zurück.

Der zentrale Gesundheitsfonds der gesetzlichen Krankenversicherung hat im vergangenen Jahr 4,5 Millionen Euro Zinsverlust verbucht. Das ist absolut gesehen viel Geld. Eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums relativierte die Bedeutung dieses Betrags jedoch: „Bei jährlichen Gesamteinnahmen von rund 230 Mrd. Euro entsprechen die Negativzinsen lediglich einem Anteil von 0,002 Prozent.“

Sozialexperte : „Sozialversicherungen sind keine Sparkassen“

Bisher gilt, dass die Sozialversicherungen nicht benötigtes Geld nur in sehr sichere Anlageformen investieren dürfen. Die aktuellen Schwierigkeiten mit den Niedrigzinsen sind für den Sozialexperte der Unions-Bundestagsfraktion, Peter Weiß (CDU), ein Anlass, mehr Freiheit bei der Geldanlage zu fordern: „Auch Anlagen in Immobilien sollten möglich sein“, sagte er dieser Redaktion.

Damit will er an vergangenen Zeiten anknüpfen, als die gesetzliche Rentenversicherung Eigentümerin von Zehntausenden Mietwohnungen war. Diese musste sie vor 14 Jahren verkaufen. Es sei ein großer Fehler gewesen, dass der Bundesrechnungshof den Verkauf des Immobilienbesitzes erzwungen habe, sagt Weiß heute. Grundsätzlich gelte: „Sozialversicherungen sind keine Sparkassen. Deshalb sollte man Überschüsse in Beitragssenkungen verwandeln, zum Beispiel in der Arbeitslosenversicherung.“

Linke will Negativzinsen für Sozialkassen verbieten

Auch Michael Theurer, der für Soziales zuständige Vizechef der FDP-Bundestagsfraktion, fordert Beitragssenkungen, um hohe Überschüsse und Zinsverluste zu vermeiden. Diese gehörten allerdings zum Leben dazu: „Höhere Renditen sind immer mit Risiko verbunden. Es gibt keinen risikolosen Wohlstand“, so Theurer. „Dennoch sollte bei einer anhaltenden Niedrigzinsphase darüber diskutiert werden, den Sozialkassen zumindest in einem gewissen Umfang Anlagemöglichkeiten in Indexfonds zu ermöglichen.“

Eine Anlage der Überschüsse in Aktien kommt für Matthias Birkwald, den rentenpolitischen Sprecher der Linken-Bundestagsfraktion, überhaupt nicht ­infrage. „Mit den Geldern der Sozialversicherungen darf keinesfalls gezockt werden“, warnte er. Birkwald fordert vielmehr ein „Gesetz zur Abschaffung der Negativzinsen für Sozialversicherungen“.

Es gehe nicht um Marktmechanismen und Profitmaximierung, „sondern um die Organisation des sozialstaatlichen Gemeinwohls.“ Der Linken-Politiker weist auch auf die positiven Effekte hin, die niedrige Zinsen haben: „Dadurch hat der Bund seit Ausbruch der Finanzkrise 162 Milliarden Euro beim Schuldendienst gespart.“ Einen Teil davon könne man für die Stabilisierung der Rente verwenden und etwa die Mütterente bezahlen.