Berlin. Der neue Präsident der Luftfahrtbranche in Deutschland will die Wartezeiten für Fluggäste am Sicherheitscheck drastisch verkürzen.

Klaus-Dieter Scheurle vertritt als Präsident des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft eine der wichtigsten Branchen des Landes. Die Steuerbelastungen sind ihm zu hoch. Auch bei der Abfertigung in den Flughäfen muss sich aus seiner Sicht einiges verbessern.

Herr Scheurle, die Urlaubssaison beginnt bald. In vielen Flughäfen wird es lange Warteschlangen an der Abfertigung geben. Droht ein Chaos?

Klaus-Dieter Scheurle: Das hoffe ich nicht. Dennoch: Bei der Personenkontrolle sehen wir dringenden Handlungsbedarf. Von Flughäfen im Ausland und auch aus Pilotprojekten, die wir Deutschland zusammen mit der Bundespolizei zum Beispiel in Köln gemacht haben, wissen wir: Es gibt viel Potenzial, das man das auch in Deutschland weitaus effizienter und kundenfreundlicher machen kann, als bisher.

Warum?

Scheurle: In Deutschland ist bisher die öffentliche Hand für die Personenkontrolle verantwortlich, nicht die Flughäfen selbst. Letztere haben kein Interesse an ewig langen Warteschlangen, sondern wollen, dass kundenfreundlich und schnell kontrolliert wird.

Sie sind für eine Privatisierung?

Scheurle: Es ist ja schon heute so, dass die Bundespolizei private Firmen beauftragt. Aber die genannten Erfahrungen haben uns gezeigt: Die Durchführungsverantwortung, also die Auswahl der Firmen und der eingesetzten Technologie sowie die Prozesse selber, müssen stärker in die Hände derer, die vor Ort und nah am Geschehen die Kontrollen steuern. Deswegen sollte, wo das möglich ist, das an die Flughäfen unter Beteiligung der Fluggesellschaften abgegeben werden. Und bei den Kosten, das sind bereits ungefähr 750 Millionen Euro im Jahr, sollte der Bund, so wie im Koalitionsvertrag beabsichtigt, einen Teil künftig selber tragen – so wie das auch in einer ganzen Reihe anderer Länder in Europa und in den USA ist. Es geht ja schließlich um eine Maßnahme der öffentlichen Sicherheit, die in der Verantwortung des Staates liegt.

Was machen Flughäfen im Ausland besser?

Scheurle: Kürzlich war ich in Edinburgh. Dort starten morgens sehr viele Inlandsflüge, ein riesiges Verkehrsaufkommen. Als ich die Halle mit den Sicherheitschecks betrat, war sie voll. Dennoch war ich in zwölf Minuten durch. Warum? Dort ist alles streng organisiert, es können an jeder einzelnen Kontrollspur immer bis zu sieben Passagieren ihr Gepäck gleichzeitig auflegen, was den Kontrollprozess ganz erheblich beschleunigt.

Sowas gibt es auch an anderen großen europäischen Flughäfen. An manchem deutschen Flughafen wird in gleicher Zeit gefühlt gerade mal ein Fluggast abgefertigt. Statistisch gesehen ist zum Beispiel der Durchlauf an Flughäfen wie Brüssel, London oder Madrid an jeweils einer Kontrollspur etwa doppelt so hoch wie in Deutschland. Und Brüssel, London, Madrid oder Washington sind ja keine unsicheren Flughäfen.

Wie viel Zeit sollte ein Passagier, der von Deutschland abfliegt, im Sicherheitsbereich verbringen?

Scheurle: Nicht länger als zehn bis 15 Minuten.

Und wie lange dauert es derzeit?

Scheurle: Ich habe schon mal 50 Minuten gewartet.

Die großen Flughäfen in Frankfurt, München, Köln und Berlin haben immer mehr Flugziele im Angebot. Warum sind die anderen Flughäfen uninteressant?

Scheurle: Wir erleben eine Konzentration auf zentralgelegene Flughäfen in Ballungsgebieten. Billigflieger wie Ryanair und Easyjet, die bisher auch regionale Flughäfen wie Dortmund, Hahn oder Memmingen angeflogen haben, steuern um, weil an den zentralen Flughäfen der Markt größer ist. Es gibt mehr potenzielle Passagiere. Und die Flughäfen können so weiter wachsen. Ein Flughafen ist ja ein Unternehmen, das Geld verdienen will.

Haben wir zu viele Flughäfen in Deutschland?

Scheurle: Die Deutsche Flugsicherung betreut 60 Flughäfen. Das ist eine hohe Zahl. Aus Sicht der Flugsicherung würden wir auch mit weniger auskommen. Aber wir wollen nicht darüber entscheiden, welche Flughäfen es gibt. Unsere Aufgabe ist es aber, dafür Sorge zu tragen, dass sie sicher sind.

Ein Flughafen hat noch nicht aufgemacht: der BER. Geht es tatsächlich 2020 los?

Scheurle: Ich bin zuversichtlich, dass das klappt.

Soll Tegel danach offenbleiben?

Scheurle: Das müssen andere entscheiden: Die Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg und deren Eigentümer.

Wie finden Sie Tegel? Ist das noch ein guter Flughafen?

Scheurle: Ich finde Tegel sympathisch. Er ist zentral gelegen. Man ist schnell in der Innenstadt. Das ist kein schlechter Flughafen. Da müsste aber massiv investiert werden.

Vor zehn Monaten ging Air Berlin pleite. Fluch oder Segen für die Branche?

Scheurle: Zu einer Marktwirtschaft gehört auch, dass Unternehmen insolvent gehen können. Die Branche ordnet sich in Europa gerade neu, was wir erleben, ist eine Marktkonsolidierung, die woanders schon viel weiter fortgeschritten ist. In den USA haben die fünf größten Anbieter 85 Prozent Marktanteil, in Europa nur 64 Prozent. Es ist wahrscheinlich, dass auch in Europa die Konsolidierung weiter geht.

Sie rechnen mit weiteren Pleiten in Europa?

Scheurle: Es muss nicht eine Pleite sein. Es können auch Übernahmen oder Zusammenschlüsse sein.

Die Lufthansa hat noch mehr Marktmacht bekommen. Gefällt Ihnen das?

 Ein Flugzeug startet vom Flughafen Frankfurt.
Ein Flugzeug startet vom Flughafen Frankfurt. © dpa | Daniel Reinhardt

Scheurle: Die Fluggesellschaften und auch die Lufthansa stehen in einem sehr harten Wettbewerb. Die deutschen Fluggesellschaften haben in den vergangenen sieben Jahren sieben Prozent Marktanteil bei den Passagierzahlen verloren. Mit der Liberalisierung des Luftverkehrs weltweit konnten neue Fluggesellschaften in den Markt kommen, die frei von nationalen Sonderbelastungen sind, und auch frei von Belastungen, die sich in Jahrzehnten Firmengeschichte entwickelt haben, etwa höhere Personalkosten, starrere Strukturen. Fluggesellschaften wie Britisch Airways im IAG-Konzern, Air France und Lufthansa müssen einiges tun, um sich zu behaupten. Dazu kommt, dass viele Staaten etwa im Nahen Osten oder Asien ihre Fluggesellschaften subventionieren.

Wie hat sich der Markt entwickelt?

Scheurle: Wir hinken in Deutschland im sechsten Jahr in Folge hinter Europa her. Die europäischen Fluggesellschaften sind auch im vergangenen Jahr um 8,2 Prozent gewachsen, während unsere deutschen Unternehmen nur um 3,1 Prozent zulegen konnten – und das, obwohl in Deutschland seit Jahren die Wirtschaft brummt.

Woran hakt es?

Scheurle: Da sind vor allem auch die nationalen Sonderbelastungen wie zum Beispiel die Luftverkehrsteuer und die Art und Weise, wie der Staat in Deutschland die Kosten für die Luftsicherheit voll den Unternehmen berechnet.

Aber auch die Ryanairs dieser Welt müssen zahlen, wenn sie in Deutschland starten.

Scheurle: Nehmen Sie die Steuer: Von über einer Milliarde Euro, die die Steuer pro Jahr bringt, müssen die vier deutschen Fluggesellschaften 590 Millionen Euro aufbringen. Die anderen 410 Millionen Euro verteilen sich auf knapp 100 internationale Airlines; das belastet deren wirtschaftliches Ergebnis kaum, hängt unseren aber wie ein Hinkelstein an den Tragflächen. Gleichzeitig ist das Angebot an Sitzplätzen und der Wettbewerb mit niedrigen Ticketpreisen hoch. Deshalb können die deutschen Fluggesellschaften die 590 Millionen Euro Sonderbelastung kaum an die Passagiere weitergeben. Insgesamt haben die deutschen Airlines seit Einführung der Steuer 2011 rund 3,6 Milliarden Euro gezahlt. Die hätte man besser verwenden können, zum Beispiel für die Anschaffung neuer lärmarmer und energieeffizienterer Flugzeuge.

Sie waren Staatssekretär im Verkehrsministerium, als die Steuer beschlossen wurde.

Scheurle: Richtig. Ich war damals dagegen und habe wenigstens die Evaluierung durchgesetzt. Die gab es ein Jahr später und hat bestätigt: Das ist keine gute Steuer. Leider hat man dennoch daran festgehalten.

Auf die Milliarden wird Bundesfinanzminister Olaf Scholz ungern verzichten. Wie wollen Sie ihn überzeugen?

Scheurle: Selbstverständlich gehe ich mit Optimismus an das Thema heran. Die Koalition hat im Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass sie nationale einseitige Belastungen aufheben will. Österreich hat die Steuer auch wieder abgeschafft.

Großbritannien nicht.

Scheurle: Großbritannien ist aufgrund der Insellage nicht wirklich vergleichbar. Und hinzu kommt: Dort sind auch die Kosten für die Personenkontrollen geringer. Im europäischen Vergleich wird die deutsche Luftfahrtbranche über Gebühr belastet. Sie sehen es am schwächeren Luftverkehrswachstum in Deutschland im Vergleich zum Rest Europas.

Wie sieht die Branche in zehn Jahren aus?

Scheurle: Es werden sicherlich noch mehr Menschen fliegen als heute. Wir werden noch umweltfreundlichere und leisere Flugzeuge haben. Wir werden möglicherweise alternative Kraftstoffe einsetzen. Die Flugzeuge werden nicht größer, aber effizienter, die Reichweite auch kleinerer Maschinen wird steigen, je sparsamer die Motoren werden. Die Ticketpreise werden niedrig bleiben angesichts des Wachstums bei Passagierzahlen, des Wettbewerbs und der effizienteren Fluggeräte. Und dann wird die Frage sein, inwieweit autonomes Fliegen sich durchsetzt.

Schon heute sind Teile des Flugs automatisiert. Aber eine zivile Luftfahrt ohne Piloten?

Scheurle: Im militärischen Bereich gibt es seit den 80er-Jahren Drohnen. Die Technologie ist also da. Die Frage ist nur, ob die Passagiere das akzeptieren. Deshalb ist autonomes Fliegen eher ein sehr langfristiges Thema.