Berlin. Künftig können Verbände für Verbraucher mit einer Musterfeststellungsklage vor Gericht ziehen. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Es trägt den sperrigen Namen „zivilprozessuale Musterfeststellungsklage“, doch es wird Verbrauchern helfen, ihr Recht einzufordern, verspricht Justizministerin Katarina Barley (SPD). Ab November gilt das neue Klagerecht, hat der Bundestag beschlossen. Ab dann kann einer für alle klagen, zum Beispiel ein Verbraucherverband stellvertretend für alle geschädigten Kunden gegen ein Unternehmen. Das Urteil in diesem Verfahren gilt dann als Maßstab für alle Betroffenen. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu dem Beschluss.

Wie funktioniert das Verfahren?

Wenn zum Beispiel der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) oder der ADAC einen Missstand erkennen, der wenigstens zehn Verbraucher betrifft, können sie Klage erheben. Dazu müssen sich innerhalb von zwei Monaten mindestens 50 Betroffene in einem Klageregister anmelden, welches das Bundesamt für Justiz im Internet einrichtet.

Eintragen können sich Betroffene bis zum ersten Tag des Gerichtsverfahrens. Werden die Voraussetzungen erfüllt, befasst sich ein Oberlandesgericht mit dem Fall. Dessen Entscheidung, oder aber später die des Bundesgerichtshofes als höchste Instanz, ist dann für alle gleich gelagerten Fälle bindend. Gewinnt der Verbraucherverband, können danach alle im Klageregister eingetragenen Betroffenen ihren individuellen Schaden vor Gericht geltend machen – für sie ist das risikofrei.

Worin liegt der Fortschritt?

Bisher wagen Verbraucher bei kleinen Schadenssummen meist keine Klage, weil sie hohe Kosten befürchten müssen, wenn sie vor Gericht verlieren. Die Musterfeststellungsklage ist kostenlos, und es wird kein Anwalt benötigt. Zudem ist es wahrscheinlich, dass Unternehmen bei einem verlorenen Verfahren von sich aus einen Ausgleich für alle Betroffenen anbieten, allein schon, um weitere Kosten zu sparen.

Können betrogene VW-Kunden jetzt ruhig eine erste Klage abwarten?

Das Gesetz wurde gerade wegen des Dieselskandals im Eiltempo durch den Bundestag gebracht. Oppositionsmitglieder kritisieren es als „Lex VW“. Für betrogene VW-Kunden ist es jedoch eine echte Hilfe, weil die Verjährungsfrist für alle in einem Klageregister eingetragenen Verbraucher ruht. Sie können in Ruhe das Ergebnis der Verbandsklage abwarten, auch wenn bis zu einer höchstrichterlichen Entscheidung viel Zeit ins Land geht.

Wann wird die Musterfeststellungsklage vermutlich erhoben?

Gedacht ist an Fälle von Massenschäden wie beim Dieselskandal. Es gab auch Fälle, in denen Versorger durch ungerechtfertigte Preiserhöhungen viele Kunden abzockten, oder Patientinnen unter fehlerhaften Brustimplantaten leiden. Nur wenige haben sich vor Gericht gewehrt. Auch wenn Passagen von Massenverträgen etwa bei Geldanlagen oder Versicherungen ungültig sind, könnte eine Musterfeststellungsklage vielen Geschädigten helfen.

Wer darf vor Gericht ziehen?

Die Bundesregierung hat sich nach langer Diskussion auf strenge Richtlinien für die Klageberechtigung geeinigt. Das soll verhindern, dass eine Art Klageindustrie wie in den USA entsteht. Klagebefugt sind nur Verbraucherverbände, die wenigstens 350 Mitglieder oder zehn Mitgliedsverbände haben und auf einer Liste qualifizierter Einrichtungen entweder in Deutschland oder der EU geführt werden. Sie dürfen eine Klage nicht aus Gewinnstreben erheben. Auch dürfen nicht mehr als fünf Prozent ihrer Einnahmen aus Einzahlungen von Unternehmen stammen.