Berlin. Stadt und Land driften auseinander. Ländliche Gebiete in Deutschland drohen laut einer neuen Studie zunehmend abgehängt zu werden.

Es gibt kaum Ärzte, Apotheken, Arbeitsplätze. Geschäftsräume stehen leer, junge Menschen ziehen weg – so sieht es in vielen ländlichen Regionen Deutschlands aus, während in boomenden Städten wie Berlin die Mieten explodieren.

Die Unterschiede zwischen Metropolregionen und dünn besiedelten Landkreisen wachsen. Ländliche Gebiete in Deutschland drohen zunehmend abgehängt zu werden. Zu diesem Ergebnis kommt das Regionalranking des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), das unserer Redaktion vorliegt.

„Die wirtschaftliche Stärke konzentriert sich immer mehr auf die großen Städte und ihr unmittelbares Umland. Ländliche Regionen haben es dagegen schwer“, sagt Hanno Kempermann, Co-Autor der Studie. Vor allem Regionen und Landkreise in Südthüringen und Sachsen-Anhalt müssen demnach dringend aufholen.

Für das Ranking hat das Forschungsinstitut die sozio-ökonomische Lage und die wirtschaftliche Entwicklung in allen 401 Städten und Kreisen Deutschlands untersucht.

Der Schlüssel ist die Digitalisierung

Die Ergebnisse machen deutlich, wie sich die Regionen in Deutschland seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2009 entwickelt haben. Um sie untereinander vergleichen zu können, haben die Autoren der Studie drei Cluster gebildet: Sie untersuchten die Wirtschaftsstruktur, den Arbeitsmarkt und die Lebensqualität in den jeweiligen Gebieten.

In diesen drei Bereichen wurden wiederum 14 Indikatoren wie die Steuerkraft der Gemeinden, Anteil der hochqualifizierten Beschäftigten, Beschäftigungsrate von Frauen, Straftaten, private Überschuldung, Ärztedichte, Baugenehmigungen und Arbeitsplatzwanderungen einbezogen und gewichtet.

Den Schwerpunkt legt die Studie auf die Digitalisierung. Offenbar hat der Anschluss an eine schnelle Internetverbindung enorme Auswirkungen auf die Entwicklungsmöglichkeiten einer Region. „Je ländlicher eine Region liegt, desto schlechter ist in der Regel die Breitbandversorgung“, sagt Kempermann. Unternehmen könnten sich zwar einzeln an das Netz anschließen lassen, das sei jedoch mit hohen Kosten verbunden.

Bayerische Hauptstadt München unschlagbar vorn

Es zeige sich auch, dass Unternehmen bei einer schlechten Breitbandversorgung einen geringeren Fokus auf ihren Internetauftritt legen. „Der wiederum ist aber das Schaufenster für Fachkräfte.“ Dabei könne die Digitalisierung ländlichen Regionen zu mehr Unabhängigkeit von Ballungszentren verhelfen.

In der erstplatzierten Stadt ist lahmes Internet hingegen kein Problem: Keine andere Region ist wirtschaftlich so stark wie die bayerische Hauptstadt München und die angrenzenden Landkreise. Der Mix aus starken Unternehmen und Universitäten mache München weiterhin zum Maß aller Dinge, sagt Kempermann.

In Berlin hingegen zeigt sich ein gemischtes Bild. Die Stadt entwickelt sich zwar dynamisch, in dem Ranking belegt sie allerdings noch Rang 158. In etlichen Städten und Kreisen in Deutschland lebt es sich offenbar besser als in der Hauptstadt: Der unrühmliche Platz 392 von 401 bei den Straftaten spricht eine deutliche Sprache.

Brandenburger Landkreise unter den Top 100

„Dennoch entwickelt Berlin sich insgesamt gut, was sich auch an den Ausstrahlungseffekten auf das Umland zeigt“, sagt Kempermann. So lägen mit der Stadt Potsdam (32) und den Landkreisen Teltow-Fläming (94), Potsdam-Mittelmark (78) und Dahme-Spreewald (15) gleich vier Städte und Landkreise unter den Top 100 – keine andere Großstadt im Osten strahlt so positiv auf ihr Umland aus. Eine zunehmende Zahl von Fachkräften ziehe in die Landkreise, die an Berlin grenzen – das ist auch eine Folge der schnell steigenden Mieten in der Hauptstadt.

Sorgenkind bleibt das Ruhrgebiet. Die Städte haben viel an Integrationsleistung zu stemmen, bei gleichzeitig hoher Arbeitslosigkeit. Universitäten brächten Dynamik hinein, was aber die negativen Punkte nicht aufwiegen könne.

Die östlichen Bundesländer holen auf

Unter den letzten vier Regionen im Ranking liegen mit Herne, Duisburg und dem Schlusslicht Gelsenkirchen drei Städte aus dem Ruhrgebiet. Der Osten hat in den vergangenen Jahren aufgeholt. Lagen 2014 noch 39 ostdeutsche Regionen auf den letzten 50 Plätzen, sind es 2018 nur noch 20 Regionen. „Vor allem Jena hat sich gemausert, und die Ausstrahlungseffekte sind für die doch relativ kleine Stadt durchaus bemerkenswert“, erklärt Kempermann.

Das „Hoch im Norden“ bleibe Hamburg. Die Freie und Hansestadt behauptet den 49. Platz und ist damit, abgesehen von der Autostadt Wolfsburg, die bestplatzierte Großstadt Norddeutschlands. Im Norden finden sich aber auch Regionen und Städte, die immer weiter zurückfallen, etwa Wilhelmshaven (400) und Bremerhaven (397).

Stark sind weiterhin Autostädte wie Wolfsburg (21), wo Volkswagen seinen Sitz hat, und Ingolstadt (25) mit Audi. Die Dieselkrise scheint keine Auswirkungen mehr auf diese Städte zu haben. „Die ersten negativen Effekte des VW-Skandals scheinen sogar abzuklingen“, sagt Kempermann.

So habe Wolfsburg nach dem Einbruch bei der Gewerbesteuer 2016 wieder deutlich mehr Geld in der Stadtkasse. Den Beweis, dass die beiden Autostädte Entwicklungen wie E-Mobilität in wirtschaftlichen Erfolg ummünzen können, müssen sie noch erbringen.