Berlin. Nach Uwe Tellkamps Asylkritik ist Meinungsfreiheit das große Thema auf der Leipziger Buchmesse. Wie „alternativ“ dürfen Ansichten sein?

Wenn man einen Wischmopp mit dem Stielende nach unten aufstellt, dann sieht er aus wie eine Pflanze. Auf der Leipziger Buchmesse, Halle 5, am Stand K220, stehen vier Wischmopps so nebeneinander, dass ihre orangefarbene Troddeln wie bei Palmen abstehen. Die Schriftstellerin Jayne Ann Igel steht daneben, aber sie sagt nicht Wischmopp, sie sagt „Feudel“: „Diese vier Feudel sind ein spielerischer Denkanstoß. Wenn mich jemand danach fragt, sage ich: Die Feudel stehen hier, damit einige Menschen mal schön ihren Meinungskorridor durchfeudeln können.“ Sie finde es furchtbar, wenn einige ihrer Kollegen in diesem Jahr sagen, sie sähen sich in ihrer Meinungsfreiheit beschnitten. „Es gibt sehr wohl eine Debattenkultur, wir hören einander noch gut zu.“

Ob das noch stimmt, kann in diesem Jahr besonders auf der Leipziger Buchmesse überprüft werden. Seit vor einem halben Jahr bei der Frankfurter Buchmesse der Stand eines rechten Verlages mit mehreren gewalttätigen Rangeleien bei Buchpräsentationen leben musste, ist die Messe ein streitbarer Ort geworden. Längst wird auch in Leipzig nicht mehr über die bunt angezogenen Cosplayer geredet, die auch jetzt wieder mit Masken und Fantasie-Outfits durch die Gänge laufen.

Uwe Tellkamp sagt Lesereise ab

Vielmehr ist in diesem Jahr die Messe so etwas wie ein begehbares politisches Feuilleton. Vor einer Woche hatten die Suhrkamp-Autoren Durs Grünbein und Uwe Tellkamp sich in ihrer Heimatstadt Dresden einen Schlagabtausch zum Thema Meinungsfreiheit geliefert. Besonders Tellkamps Äußerung, 95 Prozent der Asylsuchenden wollten lediglich in das deutsche Sozialsystem einwandern, brachte den Autor in die Kritik – wie auch die anschließende Distanzierung des Suhrkamp-Verlags umstritten war.

An fast jedem Stand kann man die Autoren und Verlagsmitarbeiter zu diesem Thema befragen, erntet oft ein Lächeln, meist ein kurzes Gespräch beim Espresso und nur bei Suhrkamp eisiges Schweigen: „Wir möchten uns dazu nicht mehr äußern.“ Es wird bekannt, dass Uwe Tellkamp seine Lesereise im Norden absagt.

Dresdner Buchhändlerin hat das Rechtfertigen satt

Gleich zu Beginn der Messe treten zwei Buchhändler auf und heben das Thema auf die große Bühne: Die Dresdnerin Susanne Dagen vom „BuchHaus Loschwitz“ und der Rostocker Manfred Keiper, dessen Buchladen „Die andere Buchhandlung“ heißt. Sie diskutierten darüber, wie sie die Bücher auswählen, die sie verkaufen. Beide haben auch Bücher von sogenannten rechten Verlagen im Sortiment und sind es leid, sich deshalb verteidigen zu müssen.

„Ich bin doch keine politische Buchhändlerin“, sagt Dagen. Dass das Thema Meinungsfreiheit durch Grünbein und Tellkamp aufgebracht wurde, begrüßt Susanne Dagen ausdrücklich. „Wir müssen den Riss verbreitern“, sagt sie, „und nicht immer nur zukleistern mit politischer Korrektheit.“ Die Dresdner Diskussion sei ein notwendiger Anfang.

Wie „alternativ“ dürfen Meinungen sein?

Der Dresdnerin kommt an diesem Tag eine fast prominente Rolle auf der Messe zu. In einem feuerroten Kleid läuft sie über das Messegelände, wird oft erkannt, besonders am Stand von Antaios, jenem Verlag, der als rechts gilt und dessen Bücher jetzt auch bei ihr in der Buchhandlung liegen. Durs Grünbein hatte sie in einem Text in der „Süddeutschen Zeitung“ am Mittwoch als „meine Heldin in der sächsischen Wirklichkeit“ bezeichnet.

Auf der Buchmesse sagt sie, dass sie den Text nur bis zu jener Stelle gelesen habe. Dann dreht sie sich kurz zur Seite, beginnt zu schluchzen, fängt sich aber gleich wieder. Ja, sie habe Freunde verloren, weil bei ihr auch Bücher von Verlagen mit „alternativen Meinungen“ ausliegen dürfen.

„Das Problem ist doch, dass es eine gewollte Meinung gibt, von der man nicht abweichen darf“, sagt sie. Wer es doch tut, dem drohe „Boykott, Stigmatisierung und Denunziation“. Dann hält sie ihre Zeigefinger hoch, etwa im Abstand von zehn Zentimetern, wie ein Tor, und sagt ein Wort, das es vielleicht noch zum Unwort des Jahres schafft: „So eng ist der Gesinnungskorridor inzwischen geworden.“

„Sie dachten, alle Dresdner seien am Montag bei Pegida“

Eine andere Dresdnerin steht in Halle 3 und kann darüber nur den Kopf schütteln. Katharina Salomo ist Gründerin des neun Jahre alten „Dresdner Buchverlags“ und vermisst vor allem Fairness in der Debatte. „Wie kann man sich darüber freuen, wenn sich der Riss in der Gesellschaft verbreitert?“ Für sie ist die Gegenbewegung in Dresden noch viel zu leise.

„Mir ist es passiert, dass mich Verleger aus München angerufen haben und froh sind, mich am Montag überhaupt zu erreichen.“ Das habe sie echt geschockt. „Sie dachten, alle Dresdner seien am Montag bei Pegida.“ Sie fühle sich in der Pflicht, dem etwas entgegenzusetzen, nicht nur in Dresden. „Ich bin froh, dass einige unserer Autoren zum Glück selbst etwas unternehmen und in ihren Romanen das Thema deutlich ansprechen.“

Auftritt der „Identitären Bewegung“ geplant

Schon am Abend vorher hatten etwa 400 Menschen in Leipzig gegen rechte Verlage auf der Buchmesse protestiert. „Wir werden nicht hinnehmen, dass rechte Ideologien auf der Buchmesse verbreitet werden“, sagte René Arnsburg, Mitinitiator von #verlagegegenrechts dort während der Kundgebung.

Am Stand von Antaios machte sich Verleger Götz Kubitschek über die „Versager gegen Rechts“ lustig. Das seien „traurige Verlage ohne Bedeutung“, die „jetzt endlich ein Thema gefunden haben“. Bisher jedoch kam es zu keinen gewalttätigen Auseinandersetzungen. Für Samstag ist ein Auftritt des Leiters der „Identitären Bewegung“, Martin Sellner, in Leipzig angekündigt. Der Verlag hat einen Sicherheitsdienst engagiert, der notfalls für Ordnung sorgen soll. Doch ihrerseits wirken die Plakate nicht unbedingt friedfertig. Auf einem Steht: „Meinungskorridore? Sind uns zu eng!“. Darunter sind schwarze Figuren zu sehen, die sich zwischen viele rote Figuren drängen – und sie wegstoßen.