Braunschweig. Ob autonomes oder automatisiertes Fahren: Wer haftet bei Unfällen und wer steuert den Wagen? Ein Experte mit den wichtigsten Antworten.

Die Vision ist klar: Irgendwann sollen uns Autos vollautomatisch von A nach B transportieren. Gefahren werden sie von Computern. Der Mensch ist nur noch Passagier. Er muss sich nicht mehr auf den Verkehr konzentrieren, sondern kann arbeiten, lesen, dösen. Der Weg zum autonomen Fahren ist allerdings lang. Es gilt technische und rechtliche Hindernisse zu beseitigen. Jürgen Ensthaler, Professor für Wirtschafts- und Technikrecht an der Technischen Universität Berlin und bis 2016 Richter am Bundespatentgericht, erklärt den Sachstand.

Herr Professor Ensthaler, wann können wir den Maschinen das Autofahren überlassen?

Jürgen Ensthaler während eines Pressegesprächs am Montag.
Jürgen Ensthaler während eines Pressegesprächs am Montag. © Florian Kleinschmidt/BestPixels.de | Florian Kleinschmidt

Jürgen Ensthaler: Bis Autos autonom fahren, werden noch zehn oder mehr Jahre vergehen. Da gibt es noch Entwicklungsaufgaben, insbesondere sind Verkehrsleitsysteme noch nicht hinreichend vorhanden. Beim hoch automatisierten Fahren rechne ich dagegen in zwei bis drei Jahren mit dem Durchbruch.

Worin unterscheiden sich autonomes und hoch automatisiertes Fahren?

Ensthaler: Beim autonomen Fahren hat allein der Computer die Kontrolle. Das hoch automatisierte Fahren sieht dagegen vor, dass der Mensch jederzeit in der Lage ist, die Kontrolle zu übernehmen und das Auto selbst zu steuern. In Berlin wird dafür in den nächsten Monaten eine Teststrecke eingerichtet.

Der neue Audi A8 soll schon im Stau eigenständig fahren können. Verfügt er über die Technik für das hoch automatisierte Fahren?

Ensthaler: Ja, und auch der Golf 8 wird über diese Technik verfügen. Dabei geht es im Grunde genommen um die Verbindung intelligenter Verkehrssysteme. Dazu gehören zum Beispiel das automatische Einparken, der eigenständige Spurwechsel und das Abstandhalten. Eine Geschwindigkeitsbegrenzung speziell für das hoch automatisierte Fahren gibt es übrigens nicht.

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    Verändert sich mit der Automatisierung des Autofahrens der rechtliche Rahmen?

    Ensthaler: Ja. Bisher ging der Gesetzgeber im Zulassungsrecht vom besonnenen und geschulten Fahrer aus. In Zukunft wird der Mensch beim Fahren nicht mehr einbezogen. Die Technik muss also so gut sein wie der ideale menschliche Fahrer. Das erforderte eine Änderung der Zulassungsordnung.

    Mit welchen Inhalten?

    Ensthaler: Die Vereinten Nationen haben sich im „Wiener Abkommen“ darauf verständigt, das hoch automatisierte Fahren zuzulassen. Der Fahrer muss noch immer an Bord sein, aber er braucht nicht mehr die Fahrsituationen zu überblicken, er darf sich fahren lassen. Verlangt ist nur, dass der Fahrer jederzeit die Steuerung übernehmen kann, wann immer er will, beziehungsweise wenn er meint, eine Gefahrensituation zu erkennen, oder wenn das System ihn entsprechend anweist.

    Wie sieht es mit einer Zulassung für das autonome Fahren aus?

    Ensthaler: Die gibt es bislang noch nicht.

    Ein heiß diskutiertes Thema ist die Frage der Haftung: Wer bezahlt den Schaden, wenn das automatisierte Fahrzeug einen Unfall verursacht? Gibt es darauf schon eine Antwort?

    Ensthaler: Nein, das „Wiener Abkommen“ enthält ausdrücklich keine Regelung der Haftungsfrage. Unsere Aufgabe ist es, eine Lösung zu entwickeln.

    Ist das so schwierig?

    Ensthaler: Ja. Bisher kann in aller Regel die Ursache für einen Unfall identifiziert werden. Weil in Zukunft aber viele Systeme miteinander vernetzt sind, wird es sehr schwierig sein, die Kausalität zweifelsfrei festzustellen und daraus Forderungen oder Regressansprüche abzuleiten – zumal es verschiedene Verkehrsleitsysteme gibt, die miteinander kommunizieren. Dazu gehören auf der einen Ebene die Informationen, die von Fahrzeug zu Fahrzeug ausgetauscht werden, und auf einer zweiten Ebene Informationen, die von zentralen Leitsystemen an die Fahrzeuge übermittelt werden. Es gibt eine Vermengung vieler Daten aus unterschiedlichen Quellen.

    Wie könnte eine Lösung für die Haftung aussehen?

    Ensthaler: Für die Haftung gibt es grundsätzlich drei Adressaten: den Fahrzeughalter, den Produzenten und den Staat. Auch heute haftet der Staat für Fehler in der Infrastruktur, zum Beispiel für falsche Beschilderung und defekte Fahrbahndecken. Infrastruktureinrichtungen werden durch die neue Technik erweitert, wesentlich durch Verkehrsleitsysteme; die Verantwortung des Staates wird damit auch erweitert.

    Was ist mit dem Halter?

    Ensthaler: Nach der gegenwärtigen politischen Diskussion soll er nach wie vor für alles verantwortlich sein – zentrale Verkehrsleitsysteme einmal ausgeklammert. Das passt aber nach unserer Auffassung nicht mehr, weil der Fahrzeughalter keinen Einfluss auf die Funktionstüchtigkeit der technischen Systeme hat, vielfach nicht mehr gegensteuern kann. Deshalb gibt es die Überlegung, ob in diesen Fällen auch die Produzentenhaftung in Betracht kommt.

    Wird es dazu kommen?

    Ensthaler: Danach sieht es im Moment nicht aus. Das Bundesverkehrsministerium möchte an der Halterhaftung festhalten. Auch die Versicherer scheinen bereit zu sein, die Halterhaftung beizubehalten, das heißt, über den Versicherungsvertrag für den Halter den Schaden auszugleichen.

    Warum?

    Ensthaler: Die Versicherungen erwarten, dass die Zahl der Unfälle durch die Automatisierung des Fahrens deutlich zurückgeht. Deshalb ist es für sie nach aktuellem Stand wirtschaftlich vertretbar, das Risiko der schwierigen Regressforderungen zu übernehmen.

    Was passiert, wenn sich die Versicherungen doch anders entscheiden?

    Ensthaler: Dann müssen neue Ansätze gefunden werden. Ein Beispiel könnte die Rechtsprechung in den USA im Zusammenhang mit vernetzten Systemen sein. Dort wurden Hersteller bereits zum Schadenersatz verurteilt, wenn eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Verursachung bestand und weitere Nachforschungen erfolglos blieben. Zahlreiche Hersteller haben dort bereits Haftungsgemeinschaften begründet und von vornherein festgelegt, mit welcher Quote im Schadensfall jeweils gehaftet wird. Für rein menschliches Versagen wird es natürlich bei der Halterhaftung bleiben.