München. Die Präsidentin des Patentamtes sieht die wachsende Zahl Patent aus China kritisch. Hierzulande fehle eine Innovationsstrategie.

Das Deutsche Patent- und Markenamt hat seinen Sitz seit den 1960er-Jahren am Münchener Isartor in einem historischen Bürogebäude, wo der Paternoster-Aufzug noch fährt. Zum Gespräch lädt Präsidentin Cornelia Rudloff-Schäffer in den zehnten Stock. An schönen Tagen reicht die Sicht bis zu den Alpen.

Hier hat die 61-jährige Juristin nicht etwa ihr Büro eingerichtet: Die Mitarbeiterkantine ist hier untergebracht. Weitblick braucht die Amtschefin dennoch. Die wachsende Zahl der Patentanmeldungen aus China beobachtet sie kritisch.

Frau Rudloff-Schäffer, in China wurden zuletzt 1,3 Millionen Patente im Jahr angemeldet, so viele wie in Europa, den USA, Japan und Südkorea zusammen. Müssen wir uns um unsere Innovationskraft sorgen?

Cornelia Rudloff-Schäffer: In Deutschland sind derzeit mehr als 650.000 Patente in Kraft. Und was die Anzahl der gültigen Patente pro 100.000 Einwohner angeht, liegt China noch immer weit zurück. Aber das Land holt rasant auf. Jahrelang haben die Chinesen eher auf Masse statt Klasse gesetzt, nicht alles war neu und erfinderisch. Die Qualität der Patente steigt mittlerweile. Zudem investieren die Chinesen massiv in ein System zum Schutz geistigen Eigentums, sie schaffen Patentgerichte, bis zuletzt wurden 11.000 Patentprüfer eingestellt. Das Ziel ist ein gut funktionierendes System, wie wir es in Europa haben.

Ein besseres Patentsystem in China bedeutet für deutsche Firmen auch ein besserer Schutz davor, kopiert zu werden.

Rudloff-Schäffer: Es hat zwei Seiten. Einerseits ist es für deutsche Firmen, die auf dem chinesischen Markt aktiv sind, positiv, dass sich das Schutzsystem verbessert. Andererseits bedeutet das Streben nach Innovationsführerschaft auch eine zunehmende Konkurrenz. Trotz der Verbesserungen beim Patentschutz höre ich aber immer noch von deutschen Firmen, dass sie davor zurückschrecken, mit ihrer neuesten Erfindung nach China zu gehen.

2017 haben chinesische Firmen massiv in deutsche Firmen investiert. Das Robotikunternehmen Kuka ist jetzt in chinesischer Hand. Verlieren wir unsere Patente an die Chinesen?

Rudloff-Schäffer: Es kann durchaus sein, dass bei Firmenübernahmen die Rechte an den Patenten an den chinesischen Investor gehen. Ich bin mir sicher, die Chinesen haben Kuka gekauft, weil sie die Technologie dahinter lernen wollen. Die Chinesen fahren eine sehr offensive Strategie, um weltweiter Innovationsführer zu werden. In den USA spricht man schon von einem Frontalangriff auf den Westen und beginnt sich zu wappnen. Auch wir sollten darauf reagieren.

Was muss passieren?

Rudloff-Schäffer: Der Schutz geistigen Eigentums spielt in der öffentlichen Debatte um Innovationsförderung eine viel zu geringe Rolle. Was wir brauchen, ist eine Innovationsstrategie aus einem Guss. Die entscheidenden Ministerien für Wirtschaft, Justiz und Forschung müssen an einem Strang ziehen. Wir wünschen uns, dass ein künftiges Regierungsprogramm nicht nur die Innovationsförderung, sondern auch den Schutz geistigen Eigentums in den Fokus nimmt.

Was heißt das konkret?

Rudloff-Schäffer: Wir müssen uns beispielsweise das Patentverfahren anschauen. Ich sehe durchaus Punkte, wo man es gesetzlich schlanker und effizienter gestalten kann, damit die Patentprüfung schneller abläuft. Man könnte zum Beispiel daran denken, die derzeitige isolierte Recherche in ein gestrafftes Verfahren zu integrieren. Wir brauchen aber auch mehr hoch qualifiziertes Personal. Wir schieben einen Berg von mehr als 200.000 offenen Patentprüfungsverfahren vor uns her. Jeder Patentprüfer hat bis zu 300 offene Verfahren.

Muss sich auch das Patentamt verändern?

Rudloff-Schäffer: Wir haben unsere Ergebnisse mit effizienten Geschäftsprozessen, leistungsfähiger IT und komplett elektronischer Schutzrechtsakte gesteigert. 2017 haben wir mehr Anmeldungen abgearbeitet und mehr Recherchen erledigt als im Jahr zuvor. Trotzdem brauchen wir 200 zusätzliche Prüferstellen, um das Tagesgeschäft zu bewältigen und um die offenen Verfahren abzuarbeiten. Zusätzlich benötigen wir 100 Stellen für die Markenprüfung und in unseren IT-Abteilungen. Mit jeder Patentanmeldung kommen mehr Dokumente in die Datenbank. Schon jetzt enthält sie mehr als 100 Millionen Dokumente, jedes Jahr kommen mindestens 100.000 hinzu. Bei jeder Prüfung muss das durchforstet werden, um zu sehen, ob eine Patentanmeldung auch wirklich neu ist. Diese Unterbesetzung macht mir große Sorgen.

Was ist die Folge?

Rudloff-Schäffer: Unsere Innovationskraft leidet. In Deutschland müssen Unternehmen im Schnitt fünf Jahre auf ihr Patent warten – das ist viel zu lang. Mindestens einmal pro Woche beschwert sich ein Unternehmen deshalb bei uns. Wir können ein Start-up nicht so lange vertrösten, bis dahin gibt es das Unternehmen nicht mehr oder es geht ins Ausland, weil es sagt, es hat keinen Zweck, hier in Deutschland zu investieren. Schutzrechte sichern nicht nur Investitionen und Unternehmensgewinne, sondern haben auch einen gesamtwirtschaftlichen Nutzen. Studien zeigen, dass Unternehmen, die über geistiges Eigentum verfügen, mehr Arbeitsplätze schaffen, höhere Gehälter zahlen und nachweislich höhere Umsätze machen. Wir wollen das Verfahren deshalb unter drei Jahre drücken.

Wie steht es um den Erfindergeist in Deutschland?

Rudloff-Schäffer: Die Zahl der privaten, freien Erfinder nimmt stetig ab. Zuletzt lag ihr Anteil an der Gesamtzahl der Patentanmeldungen noch bei um die sechs Prozent. 2016 hatten wir knapp 3400 Anmeldungen aus dieser Gruppe. Die Zahlen für 2017 werten wir gerade aus, der rückläufige Trend setzt sich offenbar fort. Für viele private Tüftler stellt es eine große Hürde dar, am Ende das Produkt auf den Markt zu bringen oder produzieren zu lassen. Man braucht einen langen Atem und vor allem Geld. Zwar gibt es einige Gründerdarlehen, aber mehr staatliche Unterstützung für die Erfinder wäre besser.

Patente werden auch kritisch gesehen – etwa solche auf Pflanzen und Tiere. Manch einer sagt, die Rechte an diesen Gütern gehören nicht in den Besitz eines einzigen Unternehmens.

Rudloff-Schäffer: Patente sind Monopole auf Zeit, nach 20 Jahren läuft der Schutz aus. So ist das Recht, es gibt für mich keinen Zweifel daran, dass das Sinn macht. Dennoch, Patente auf Leben muss man etwas differenzierter sehen, da gibt es rechtliche Schranken. Aber Firmen aus der Biotech-Branche haben es durch ihre Forschung geschafft, dass die Landwirtschaft heute mit weniger Pestiziden auskommt und ertragreicher ist. Ich finde, man muss auch die positiven Seiten sehen.

Bei der Debatte geht es etwa darum, dass Bauern horrende Summen für Saatgut an Unternehmen zahlen müssen. Gibt es einen Bereich, den Sie ausschließen würden?

Rudloff-Schäffer: Natürlich gibt es keine Patente auf sittenwidrige Erfindungen. So darf man etwa Menschen nicht klonen. Auch Patente auf reine Computerprogramme sehe ich kritisch. Wenn man Programme patentieren lassen würde, würden die freien Softwareentwickler aufschreien. Das deutsche Patentgesetz setzt der Patentierbarkeit ohnehin klare Grenzen.