Essen. Die 3,9 Millionen Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie erhalten ab April 4,3 Prozent Lohnerhöhung und mehr Selbstbestimmung.

Die Arbeitswelt wird komplizierter, die meisten Berufe werden anspruchsvoller, die Lebensentwürfe der Beschäftigten vielfältiger – nur die Tarifpolitik folgt in den meisten Branchen noch immer den alten Ritualen.

Die Metall- und Elektroindustrie bricht jetzt mit ihrem Abschluss aus dieser Routine aus: Was Arbeitgeber und IG Metall in der Nacht zum Dienstag ausgehandelt haben, soll Unternehmen und Beschäftigte in die Lage versetzen, die Arbeitszeiten sowohl der geschäftlichen Lage als auch den persönlichen Wünschen anzupassen. Damit setzt der größte Industriezweig in Deutschland mit fast vier Millionen Beschäftigten ein Signal auch für andere Branchen.

„Wir haben heute den Grundstein für ein flexibles Arbeitszeitsystem für das 21. Jahrhundert gelegt“, sagte Metall-Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger. Und IG-Metall-Chef Jörg Hofmann nannte den Tarifabschluss einen „Meilenstein auf dem Weg zu einer modernen, selbstbestimmten Arbeitswelt“. Nach dem Pilotabschluss in Baden-Württemberg, der in den anderen Bezirken übernommen werden soll, erinnerte nichts mehr daran, dass ihm die härteste Tarifauseinandersetzung seit vielen Jahren vorausgegangen war, in dem die Gewerkschaft erstmals auch ganztägige Warnstreiks einsetzte.

Metall-Tarifparteien einig über Geld und Arbeitszeitregeln

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    Der Abschluss ist so komplex, wie es die Verhandlungen waren. Die IG Metall hat eine deutliche Lohnerhöhung und das Recht auf eine Verkürzung der Arbeitszeit auf bis zu 28 Stunden die Woche durchgesetzt. Die Arbeitgeber erhalten im Gegenzug mehr Möglichkeiten, ihre Beschäftigten auch länger arbeiten zu lassen. Und sie haben durchgesetzt, dass Betrieben, denen es nicht so gut geht, ein Teil der Lohnerhöhung erspart werden kann.

    Die wichtigsten Punkte im Überblick:

    Die Lohnerhöhung

    Das Entgelt wird ab April um 4,3 Prozent angehoben, für die Monate Januar bis März gibt es eine Einmalzahlung von 100 Euro. Ab dem kommenden Jahr erhalten die Metaller zusätzlich und dauerhaft immer im Juli ein Zusatzgeld von 27,54 Prozent eines Monatsgehalts. In der Regel kommt noch eine Pauschale hinzu – im Südwesten sind es 400 Euro. Weil in Baden-Württemberg die höchsten Tariflöhne gezahlt werden, soll diese Pauschale in den anderen Bezirken niedriger ausfallen. Diese Pauschale sollen allerdings Betriebe, die in Schwierigkeiten stecken, nicht zahlen müssen. Davon muss im Einzelfall die Unternehmensführung Betriebsrat und IG Metall überzeugen.

    Die Laufzeit des Vertrages ist mit 27 Monaten extrem lang (bis März 2020). Nach Berechnungen der Arbeitgeber bedeutet der Abschluss auf ein Jahr gerechnet eine Erhöhung der Personalkosten von insgesamt 3,4 Prozent.

    Flexible Arbeitszeiten

    Jeder Beschäftigte erhält das Recht, seine Arbeitszeit für eine bestimmte Zeit zu verkürzen, anschließend aber wieder in Vollzeit zurückkehren zu können. Die normale 35-Stunden-Woche kann auf bis zu 28 Stunden, also auf vier statt fünf Tage verkürzt werden. Der Beschäftigte muss sich für mindestens sechs Monate und höchstens 24 Monate darauf festlegen.

    Gleichzeitig können die Arbeitgeber mehr Beschäftigte auch länger arbeiten lassen. Das war für sie der Knackpunkt, denn aus ihrer Sicht hätte eine reine Verkürzungsoption den beginnenden Fachkräftemangel noch verschlimmert. Bisher durften Betriebe mit maximal 18 Prozent ihrer Beschäftigten eine Arbeitszeit bis zu 40 Wochenstunden vereinbaren. Künftig können sie ihre Belegschaft durchschnittlich 35,9 Stunden arbeiten lassen. Das heißt: Je mehr Mitarbeiter ihre Arbeitszeit verkürzen oder ohnehin Teilzeit arbeiten, desto mehr Kollegen dürfen länger arbeiten – für entsprechend mehr Geld.


    Sonderregeln für Pflegende

    Nicht durchgesetzt hat die Gewerkschaft ihre Forderung nach einem Lohnausgleich für Schichtarbeiter sowie Menschen, die sich um ihre Kinder oder pflegebedürftige Angehörige kümmern. Die Bedenken der Arbeitgeber, die Ungleichbehandlung verschiedener Beschäftigtengruppen widerspreche dem gesetzlichen Diskriminierungsverbot, waren offenkundig stichhaltig.

    Deshalb erhalten nun alle das Zusatzgeld von gut einem Viertel Monatsgehalt. Eltern kleiner Kinder bis acht Jahren, Pflegende ab Pflegestufe 1 und Schichtarbeiter erhalten die Möglichkeit, statt des Geldes acht freie Tage im Jahr zu nehmen. Weil das Zusatzgeld dem Lohn für etwa sechs Arbeitstage entspricht, hätten sie so zwei freie Tage zusätzlich.

    Ob dieser Tarifabschluss Vorbild für andere Branchen sein kann, darüber gehen die Expertenmeinungen auseinander. Hilmar Schneider, Geschäftsführer des arbeitgebernahen Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA), ist da eher skeptisch. „Der Metall-Tarifabschluss ist sehr kompliziert.“ Dagegen glaubt das gewerkschaftsnahe WSI-Institut der Hans-Böckler-Stiftung, dass diese Vorlage die Tarifrunden der nächsten Jahre prägen wird.