München/Berlin. Der Siemens-Chef Joe Kaeser hat im gesamten Konzern den größten Umbau seit Langem durchgekämpft. Jetzt wechselt der Aufsichtsratschef.

Trotz der frühen Stunde ist Joe Kaeser recht entspannt. Um 7.15 Uhr legt der Siemens-Chef in einem Raum des Münchner Olympiastadions die Zahlen für das erste Quartal vor. „Wir sind stark ins Geschäftsjahr 2018 gestartet“, sagt er. Rekordauftragsbestand, Umsatzplus, Gewinnplus – der Siemens-Chef macht indirekt klar, wem der Konzern das zu verdanken hat: ihm selbst, der 2013 nach seinem Antritt die Strategie 2020 durchgekämpft hat, die jetzt „schneller Ergebnisse zeigt als geplant“.

Wenige Stunden später wird auf der Hauptversammlung ein Mann verabschiedet, der auch viel mit dem Siemens-Erfolg zu tun hat: Aufsichtsratschef Gerhard Cromme, der Kaeser 2013 installierte. Wie es unter seinem Nachfolger Jim Hagemann Snabe, ehemals Co-Chef des Softwarekonzerns SAP, weitergeht, ist noch offen. Auch sonst gibt es noch einige Baustellen im Unternehmen.

• Konzernumbau

Siemens wandelt sich gerade in großem Tempo vom klassischen Konglomerat zu einer Art Holding mit Sparten, die eigenständig in ihren jeweiligen Branchen tätig sind. Bestimmte Sparten sind inzwischen Gemeinschaftsunternehmen. So ist das Windgeschäft mit dem spanischen Gamesa-Konzern fusioniert. Der Weltmarktführer ist börsennotiert, gehört aber mehrheitlich zu Siemens.

Ähnlich wird es der Mobilitätssparte ergehen, die unter anderem den Hochgeschwindigkeitszug ICE herstelt und Bahnleittechnik baut: Sie soll noch in diesem Jahr mit dem französischen Konkurrenten Alstom (TGV) zusammengelegt werden. Es entsteht die neue Nummer zwei auf dem Weltmarkt hinter dem chinesischen Staatskonzern CRRC. Und Siemens wird die Mehrheit halten.

Bis zu 25 Prozent der Gesundheitssparte Healthineers (etwa Röntgengeräte) sollen noch im ersten Halbjahr an die Börse, vermutlich der größte Börsengang in Deutschland seit der Deutschen Telekom 1996. Mit dem frischen Geld soll die sehr rentable Sparte weltweit wachsen – Zukäufe sind geplant.

• Energiewende

Vor allem der Trend weg von fossilen Brennstoffen weltweit macht Siemens in seiner Kraftwerkssparte Power & Gas zu schaffen. Die stellt zwar unter anderem die effizienteste Gasturbine der Welt her, findet aber dafür immer weniger Käufer. Auf dem Markt gibt es gleichzeitig zu viele Anbieter, die versuchen, ihre Produkte zu verkaufen – die Preise fallen. Kaeser glaubt nicht daran, dass sich der Markt noch einmal wandelt. Der Umsatz brach im ersten Quartal um 15 Prozent ein. Und Finanzvorstand Ralph Thomas sagt etwas sperrig bei der Pressekonferenz: „Ignorieren, Fernbleiben und Abwarten sind keine sachdienlichen Optionen.“

Auch die Sparte Power & Drives (Großmotoren etwa für Steinbrüche) schwächelt, hat sich im ersten Quartal allerdings erholt. Dennoch wird auch hier kräftig gespart. In beiden Sparten will Siemens insgesamt bis zu 6900 Arbeitsplätze weltweit streichen. Produktion soll etwa von Berlin nach Mülheim verlegt werden, auch Werksschließungen sind geplant. Am Mittwoch deutet Kaeser allerdings an, dass es in Görlitz nicht so kommen müsse.

• Stimmung

In Teilen der Konzernbelegschaft ist die Stimmung sehr schlecht – wegen der Streichpläne. Draußen vor der Münchner Olympiahalle protestieren rund 250 Demonstranten aus Berlin, Erfurt und Offenbach. „Mensch vor Marge“ steht auf den Plakaten und „Mit Siemens spekuliert man nicht!“. Aus Görlitz sind einige Mitarbeiter per Rad nach München gekommen, um gegen die Schließung zu demonstrieren. Kaeser wird sie später in die Hauptversammlung bitten.

Siemens-Chef Kaeser verteidigt geplanten Stellenabbau

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    Die Mitarbeiter sind verärgert, weil Siemens Stellen streicht, obwohl der Konzern Milliardengewinne verzeichnet. Selbst die betroffenen Sparten schreiben schwarze Zahlen. Die Arbeitnehmer hoffen auch auf den neuen Aufsichtsratschef Hagemann Snabe. Ihnen hat Kaeser bisher zu sehr auf die Märkte und weniger auf die Mitarbeiter gesehen. Der Aktienkurs ist unter Kaeser von um die 80 auf mehr als 120 Euro gestiegen.

    • Digitalisierung

    Im Zukunftsfeld schlechthin steht die Digitale Fabrik von Siemens herausragend da, wie Kaeser sagt, der Konzern sei Marktführer, gestalte die Entwicklung mit. Es geht um Steuersoftware für Produktion, Datenanalyse, vorausschauende Wartung. Zudem sucht der Konzern nach neuen Geschäftsfeldern, steckt etwa Millionen in Elektroantriebe für Flugzeuge.

    • Führungsteam

    Ein Spitzenmanager wird immer wieder genannt, wenn es um die mögliche Nachfolge von Joe Kaeser geht: Michael Sen. Der Mann aus Nordrhein-Westfalen startete mit einer Lehre bei Siemens, wechselte 2015 als Finanzvorstand zu E.on und ist seit Mai vergangenen Jahres im Siemens-Vorstand unter anderem für die Gesundheitssparte zuständig. Derzeit betreut er den Börsengang der Gesundheitssparte. Sollte dieser reibungslos laufen, empfiehlt sich Michael Sen womöglich für höhere Aufgaben. Kaesers Vertrag läuft bis 2021.