Bremen. Der Bremer Familienbetrieb OHB ist die Nummer drei in der Branche. Er baut in Handarbeit Satelliten für das Navigationssystem Galileo.
In der Satelliten-Produktion des Bremer Raumfahrtkonzerns OHB muss immer Reinluft herrschen. Um Verunreinigungen der kostbaren Technik zu vermeiden, sind Straßenschuhe nicht erlaubt. Wer die 1600 Quadratmeter große weiße Halle betritt, muss grundsätzlich Schutzkleidung tragen. Handschuhe, Haarnetz und Stoffkittel sind Pflicht. Die Luftfeuchtigkeit ist gering, die Temperatur bei 20 Grad stabil.
Auf einem Metallgestell entsteht ein Wettersatellit
Im Raum ragt ein zylinderförmiger dunkler Korpus in die Höhe – ein Wettersatellit im Entstehen. Er thront auf einem Metallgestell. Fünf Männer und eine Frau verlegen Kabelstränge, befestigen Halterungen, Antennen, Instrumente. Tausende Teile, die OHB bei Zulieferern maßanfertigen lässt, müssen nach genauen Bauanleitungen montiert werden.
Auf der anderen Hallenseite stehen, durch Gitter geschützt, vier Galileo-Satelliten, die silber- und goldfarben ummantelt sind. Ihre gut 14 Meter langen Sonnensegel sind noch eingeklappt und schmiegen sich an den 720 Kilo schweren Satellitenkörper in der Größe eines Telefonhäuschens.
Mittelständler konkurriert mit Konzernen wie Airbus
„Jeder Satellit ist ein Unikat, der für die Bedürfnisse der Kunden entworfen wird“, sagt OHB-Chef Marco Fuchs. Der 55-Jährige ist Sohn der Aufsichtsratschefin Christa Fuchs, die das Unternehmen vor fast 30 Jahren aufgebaut hat. Alle Materialien sind besonders widerstandsfähig – oft auf Carbonbasis. Fast alles ist Handarbeit. Präzision ist oberstes Prinzip.
„Jeder Handgriff wird von einer zweiten Person geprüft und danach erneut von einem Mitarbeiter der Qualitätssicherung angesehen“, berichtet Vorstandsmitglied Fritz Merkle, Physiker und Raumfahrtexperte, beim Gang durch die Produktionshalle. Fast alle Beschäftigten in der Fertigung haben studiert, oft Maschinenbau oder Elektrotechnik.
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OHB ist führend in Europa
Obwohl OHB zum deutschen Mittelstand zählt, spielt das Bremer Unternehmen in der weltweiten Raumfahrt eine immer bedeutendere Rolle. Neben den großen Konzernen Airbus und Thales zählt das börsennotierte Unternehmen, das zu 70 Prozent der Familie Fuchs gehört, mit seinen rund 2400 Mitarbeitern zu den drei größten Raumfahrtsystemhäusern in Europa.
Es konstruiert besonders Satelliten für Telekommunikation, Navigation und Erdbeobachtung. Allein für das Galileo-Navigationssystem, eine Art europäisches GPS, das seit gut einem Jahr in Betrieb ist, entwickelt und baut OHB sämtliche 34 Satelliten. 18 ziehen bereits im All in 22.922 Kilometer Höhe ihre Kreise – und für Juni 2018 ist der nächste Start geplant. Kosten pro Stück: 40 Millionen Euro.
Temperaturschwankungen von plus 140 bis minus 170 Grad
Sowohl beim Raketenstart als auch später im Orbit sind die Satelliten extremen Bedingungen ausgesetzt: Temperaturschwankungen von plus 140 bis minus 170 Grad, Geschwindigkeiten von sieben Kilometern in der Sekunde, gut 25.000 Kilometer pro Stunde. Da muss alles millimetergenau passen. Kein Staubkorn darf eine wichtige Verbindung blockieren.
„In drei bis vier Wochen könnte theoretisch ein Satellit montiert werden, doch in der Regel dauert es bis zu einem Jahr oder auch länger“, sagt Merkle. Hinzu kommen Tests im Vakuum und unter starken Vibrationen. Erst wenn auch danach noch alles funktioniert, ist das Produkt startklar fürs All.
Zwei Drittel der Aufträge kommen von Regierungen
Und auch dann ist der Arbeitsauftrag nicht beendet. Erfolgreich ist die Mission erst, wenn der Satellit von der Trägerrakete in die geplante Umlaufbahn gebracht wurde, die Sonnensegel ausgeklappt hat – und die ersten Signale sendet. So lange schlägt das Herz von Vorstandsmitgliedern und Mitarbeitern stärker, mit dem stillen Gebet auf den Lippen: „Hoffentlich haben wir alles richtig gemacht.“
Hauptauftraggeber für OHB sind vor allem Staaten. „Zwei Drittel unserer Aufträge kommen von Regierungen, davon etwa 95 Prozent aus Europa“, sagt Fuchs. Zu den größten Kunden zählen die Europäische Union und die Europäische Weltraumorganisation ESA. Aber auch die Bundeswehr hat Radaraufklärungssatelliten von OHB im Orbit kreisen. Vor Kurzem hat Deutschland einen Satelliten zur elektro-optischen Aufklärung für mehr als 400 Millionen Euro bestellt, der künftig weltweit Bilder liefern soll.
Unternehmen baut auch an der Ariane 6 mit
Darüber hinaus liefert das Unternehmen auch Komponenten für die Außenhaut und Triebwerktanks der künftigen Ariane 6, die zur europäischen Raketenfamilie gehört. Und am europäischen Marsprogramm ist OHB mit zehn Prozent beteiligt.
„Mit einem Auftragsbestand von mehr als zwei Milliarden Euro sind wir für die nächsten 2,5 Jahre gut ausgelastet“, berichtet Fuchs. Für 2017 erwartet der Vorstandschef rund 800 Millionen Euro Umsatz, nach 700 Millionen Euro im Vorjahr. Auch der Gewinn von zuletzt 43 Millionen Euro vor Zinsen und Steuern dürfte steigen. 2018 sollen allein in Bremen etwa 100 neue Jobs im Satellitenbau geschaffen werden. Weitere Standorte hat OHB in Augsburg, München und Italien, ist aber auch international mit Tochterfirmen vertreten. An der familiären Führungsstruktur, die der ehemalige Investor Guy Wyser-Pratte zuletzt stark bemängelte, möchte Fuchs vorerst nichts ändern. „Damit bleiben wir unabhängig und können schneller Entscheidungen treffen.“
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Ziel ist die Entwicklung von wiederverwendbaren Raketen
Fuchs sieht die Weltraumbranche grundsätzlich im Wandel: „Raumfahrt ist immer weniger ein Anhängsel der Verteidigungspolitik als vielmehr eine Zukunftsindustrie, die anwendungsorientiert arbeitet.“ Der OHB-Geschäftsführer verfolgt deshalb auch das Ziel, „mit immer kleineren und günstigeren Satelliten nützliche Dinge zu erkunden“.
Schon heute verschaffen Satelliten mit Diensten wie Wetterprognosen und Navigation der Wirtschaft Milliardenvorteile. Auch das Klima könnte profitieren, ist Fuchs überzeugt. „Die Schadstoffbelastung, die durch Industrie und Verkehr entsteht, könnte künftig lückenlos per Satellit dokumentiert werden, um Umweltziele zu erreichen.“ Wiederverwendbare Raketen zu entwickeln, wäre ein weiterer Traum.
„Bevor wir den Mars bevölkern, sollten wir beim Mond üben.“
Gleichzeitig liebt Fuchs Visionen – und die Eroberung des Außerirdischen. Wie auch der Space-X-Raketenbauer und Tesla-Gründer Elon Musk, den Fuchs seit Jahren persönlich kennt und mit dessen Raketen er bereits mehrere Satelliten ins All befördert hat. Allerdings setzt Fuchs nicht vorrangig auf die Eroberung des Mars, sondern auf den Mond. „Mond und Mars sind wichtig. Der Mond ist in drei Tagen erreichbar, der Mars in acht Monaten. Bevor wir den Mars bevölkern, sollten wir beim Mond üben.“
Bei allem gehe es schließlich um die zentrale Frage: „Gibt es Leben außerhalb der Erde? Kann man dort leben?“ Und was ist sein persönlicher Wunsch? „Gerne würde ich mal die Erde von außen sehen. Das muss ein spirituelles, erleuchtendes Erlebnis sein.“