Berlin. Der Geflügel-Konzern Wiesenhof investiert in künstliche Muskelfasern und beteiligt sich an einem israelischen Biotech-Unternehmen.

Kommt unser Fleisch bald aus dem Biotech-Labor? Deutschlands größter deutscher Geflügelfleischanbieter PHW – mit der Marke Wiesenhof – geht neue Wege und steigt in das Geschäft mit künstlich erzeugtem Fleisch ein. Der niedersächsische Konzern hat dazu eine Minderheitsbeteiligung am israelischen Start-up-Unternehmen Supermeat übernommen.

„Wir sehen unseren Einstieg hier weniger als rein finanzielles Investment, sondern vielmehr als den Beginn einer strategischen Partnerschaft“, begründet PHW-Vorstandschef Peter Wesjohann die Investition. Schon in wenigen Jahren, ist er überzeugt, könnte die Nachfrage nach künstlichem Fleisch so hoch sein wie für vegane Fleischersatzprodukte.

Fleisch produzieren, ohne Tiere zu töten – was nach Science-Fiction klingt, haben sich längst mehrere junge Unternehmen weltweit zur Aufgabe gemacht. Ziel ist es, angesichts der steigenden Weltbevölkerung den Fleischhunger und Bedarf nach tierischem Protein zu stillen. Nach einer UN-Schätzung wird sich dieser bis zum Jahr 2050 auf 465 Millionen Tonnen jährlich verdoppeln.

Biotech-Firma Supermeat aus Tel Aviv zählt zu den Trendsettern

So zählt auch die Biotech-Firma Supermeat aus Tel Aviv zu den Trendsettern. Seit 2015 tüftelt das Team daran, „saubere“ Hühnerprodukte zu entwickeln – sogenanntes Clean Meat. Diese Lebensmittel sind nicht nur vegan und koscher, sondern sollen künftig zu einem ähnlichen Preis wie konventionelle Tierprodukte verkauft werden. Eine Idee, für die das Unternehmen über Crowdfunding im Internet bereits Millionen Euro zur Finanzierung einsammeln konnte.

PHW-Vorstandschef Peter Wesjohann.
PHW-Vorstandschef Peter Wesjohann. © dpa | Friso Gentsch

Supermeat-Geschäftsführer Ido Savir schätzt, dass er in drei Jahren die erste Generation von künstlich erzeugtem Fleisch an Restaurants liefern kann: „Der nächste Schritt wäre, in weiteren zwei bis fünf Jahren die Produktion auf einen industriellen Maßstab zu vergrößern, um Supermärkte und den Lebensmittelhandel zu versorgen.“

Ende der industriellen Massenproduktion?

Um künstliches Fleisch zu erzeugen, werden lebendigen Hühnern per Biopsie Muskelstammzellen entnommen – und zwar schmerzfrei, wie das Unternehmen betont. Anschließend wachsen diese unter bestimmten Laborbedingungen zu essbaren Fleischstücken heran. Diese In-vitro-Produktionsweise könnte der industriellen Massenproduktion mit all ihren negativen Begleiterscheinungen ein Ende setzen. Das massenhafte Kürzen der Schnäbel von Hühnern etwa wäre vorbei. Das künstliche Fleisch würde somit artgerechter und umweltschonender, so die Vision.

Die Tierschutzorganisation Peta begrüßt das Engagement von Wiesenhof für In-vitro-Fleisch deshalb „ausdrücklich“. „Bei aller Kritik an der fleischlichen Produktpalette von Wiesenhof haben wir von Peta die Erfahrung gemacht, dass man sich auf Zusagen vom Wiesenhof-Vorstand für die Kreation auch einer anderen Produktausrichtung verlassen kann“, sagt Edmund Haferbeck, Leiter der Peta-Rechtsabteilung, unserer Redaktion.

So sieht es bislang aus: Geflügelfleisch in den Wiesenhof-Produktionshallen in Lohne (Niedersachsen).
So sieht es bislang aus: Geflügelfleisch in den Wiesenhof-Produktionshallen in Lohne (Niedersachsen). © dpa | Friso Gentsch

Christoph Then, Leiter des Instituts für unabhängige Folgenabschätzung in der Biotechnologie Testbiotech, hält die Wiesenhof-Ankündigung dagegen für einen „Vermarktungstrick“. „Was man bisher produzieren kann, ist teuer und ergibt nur kleine Mengen. Das kann kein Ersatz sein für die Masse an herkömmlich produziertem Fleisch“, urteilt der Gentechnikexperte.

Verbraucherschützer sind noch skeptisch

Auch Verbraucherschützer sehen das ganze noch im Laborstatus. „Noch ist nicht bekannt, ob Menschen das künstliche Fleisch genauso gut vertragen wie echtes“, sagt Bernhard Burdick, Ernährungsexperte der Verbraucherzentrale NRW. Zudem liege der Energieaufwand der In-vitro-Metzger heute noch deutlich höher als bei der Produktion mit lebenden Tieren.

„Weniger Fleisch essen, beim Fleischkauf auf artgerechte Tierhaltung achten und mehr Geld für Fleisch ausgeben – mit diesen Maßnahmen könnte jeder Verbraucher sehr viel schneller zu einem besseren Tierschutz beitragen, als auf Ersatzfleisch aus dem Reagenzglas zu warten“, ist Burdick überzeugt. „Und dies käme sowohl der Umwelt, der eigenen Gesundheit, den Tieren und Bauern zugute.“