Rotkäppchen ist Deutschlands größter Sekthersteller. 125 Millionen Flaschen verlassen jährlich das Werk in Freyburg. Wir waren zu Besuch.

Der Weg zur Kellerei führt eine schmale Steintreppe hinab in den fünfstöckig in den Fels getriebenen Keller des Unternehmens Rotkäppchen-Mumm. Es riecht muffig, die Wände sind mit schwarzem Moos bedeckt. In einem der Gewölbe verbirgt sich das Prachtstück der Sektkellerei: ein gigantisches schwarzes Holzfass, sechs Meter Durchmesser, 160.000 Flaschen Fassungsvermögen, im Jahr 1896 erbaut. Vier Tage lang haben früher die Kellermeister in diesem Fass die Mischung der Weine für die Sektherstellung zusammengerührt.

Heute ist das Fass nur noch ein Museumsstück. Der Wein, der hier zu Sekt verperlt wird, kommt nicht mehr in Holzfässer. Der Rebensaft wird aus ganz Europa in Lastwagen nach Sachsen-Anhalt gekarrt, um in Stahltanks mit einem Fassungsvermögen von jeweils 40.000 Litern vergoren zu werden.

Das Weinbaugebiet Saale-Unstrut ist eines der kleinsten in Deutschland. Auf nur 650 Hektar wächst die Frucht. Und trotzdem stammt jede zweite Flasche Sekt, die die Deutschen trinken, aus Freyburg in Sachsen-Anhalt, aus den Kellern von Rotkäppchen.

Bis zu einer Million Flaschen täglich in der Weihnachtszeit

Kurz vor Weihnachten und Silvester macht das Sekthaus besonders guten Umsatz. Bis zu einer Million Flaschen werden dann an einem einzigen Tag verkauft – 125 Millionen Flaschen Rotkäppchen-Sekt in einem Jahr. 2016 setzte das Unternehmen knapp eine Milliarde Euro um und ist der größte Sekthersteller Deutschlands (Marktanteil 55,4 Prozent). Heute zählt der Konzern 636 Mitarbeiter an vier Standorten.

Die Rotkäppchen-Mumm Sektkellereien in Freyburg (Sachsen-Anhalt).
Die Rotkäppchen-Mumm Sektkellereien in Freyburg (Sachsen-Anhalt). © picture alliance / Hendrik Schmi | dpa Picture-Alliance / Hendrik Schmidt

Zehn Kilometer nördlich von Naumburg an der Saale liegt das Winzerstädtchen Freyburg. Knapp 5000 Einwohner. Eingerahmt von Weinterrassen, Muschelkalkhängen und der Unstrut. Staatlich anerkannter Erholungsort. 20 Mal so viele Besucher wie der Ort im Burgendlandkreis Einwohner hat kommen jährlich hierher. Sie alle haben das gleiche Ziel: die Sektkellerei von Rotkäppchen, die über der Stadt thront. Hier kommt der Traditionssekt in die grünen Flaschen mit der roten Kappe, die im Laden oft für 3,89 Euro angeboten werden.

Und hier begann vor über 160 Jahren auch die Erfolgsgeschichte der Marke. Die Basis dafür bildet die sogenannte Cuvée – die Vermählung der Weine. Verschiedene Rebsorten werden in einem Verhältnis gemischt, das so nah wie möglich an den Geschmack des Vorjahrgangs kommt. „Für unsere Kunden soll der Sekt schließlich wie immer schmecken“, sagt Ilona Kaiser, Marketingchefin des Unternehmens, die durch die Gemäuer der Sektkellerei führt.

Die Abfüllanlage schafft 26.000 Flaschen pro Stunde

Die Cuvée lagert mit einem Gemisch aus Hefe und Zucker sechs Monate in den Tanks. Der Zucker spaltet sich in dieser Zeit in Alkohol und Kohlensäure. Die Tanks werden nach einem halben Jahr abgesaugt, der verperlte Inhalt wird in die Abfüllanlage hinter dem Haupthaus gepumpt. Dort rauschen die grünen Flaschen vierspurig nebeneinander in langgezogenen Schlangenlinien auf einem Förderband. Die riesige Abfüllanlage schafft 26.000 Flaschen pro Stunde. In Sekundenschnelle werden die Pullen gespült, kopfüber zur Abfüllanlage chauffiert, befüllt, verschlossen, etikettiert.

Christof Queisser, Geschäftsführer bei Rotkäppchen.
Christof Queisser, Geschäftsführer bei Rotkäppchen. © dpa | Sebastian Willnow

Verbraucher werden sich im kommenden Jahr wohl auf höhere Preise für Sekt und Wein einstellen müssen, meint der Chef der Rotkäppchen-Mumm-Sektkellerei, Christof Queisser. Grund für den wahrscheinlichen Preisanstieg im nächsten Jahr sei die schlechtere Weinernte in diesem Jahr.

Die Qualität der Trauben sei hervorragend, aber die Mengen seien etwas reduziert. Im Vergleich zu vergangenen Jahren gebe es rund zehn Prozent weniger Ertrag. „Das bedeutet natürlich leider immer, dass das auch etwas teurer wird. Insofern erwarte ich leicht steigende Preise für 2018 für Sekte und auch Weine im Allgemeinen.“ Dem Verkauf von Rotkäppchen-Mumm wird das voraussichtlich nicht schaden. Neben der Eigenmarke Rotkäppchen sammeln sich – in der Sekt-Sparte – die Marken Mumm, Jules Mumm, MM Extra, Geldermann sowie Klossen & Foerster unter dem Dach des Freyburger Betriebs. Spirituosen wie Chantré oder Echter Nordhäuser und Blanchet-Weine gehören ebenso zum Sortiment.

Prosecco-Firma Ruggeri zählt jetzt auch zu Rotkäppchen

Seit Anfang des Jahres zählt auch die italienische Prosecco-Firma Ruggeri zu den Produkten der Firma in Freyburg. Rotkäppchen hat die Produktionsstandorte, Keller und Mitarbeiter des ehemaligen Familienbetriebs aufgekauft. Der Prosecco wird in über 30 Ländern verkauft – das wolle man nutzen, sagte Rotkäppchen-Mumm-Chef Christof Queisser bei der Übernahme im Februar.

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    Im Vergleich mit internationalen Branchengrößen in Übersee und Afrika sei das Unternehmen bisher nur Mittelständler. Rotkäppchen-Mumm setzt auf Marke. Und darauf, sie so gekonnt es geht zu verkaufen. 365 Tage im Jahr hat das Werk in Freyburg geöffnet. Den größten Besucheransturm erlebe die Kellerei während der Weinlese im Herbst, sagt Kaiser. Werktags können sich Besucher zweimal, am Wochenende viermal täglich über das Anwesen führen lassen und in die wechselvolle Geschichte des Traditionsbetriebs eintauchen.

    Im Jahr 1856 gründeten die Brüder Moritz und Julius Kloss mit dem gemeinsamen Freund Carl Foerster die Freyburger-Champagner-Fabrik-Gesellschaft. „Damals konnte man auch Schaumweine, die nicht aus der Champagne kamen, noch Champagner nennen“, erklärt Kaiser.

    Der Sekt hieß zunächst „Monopol“

    Der Sekt aus dem Hause von Kloss und Foerster trug den Namen ‚Monopol‘, 1894 musste er wegen eines neuen Gesetzes zum Schutz der Warenzeichen umbenannt werden. Fortan gibt es Rotkäppchen Sekt aus Freyburg.

    Die riesige Abfüllanlage von Rotkäppchen schafft 26.000 Flaschen pro Stunde.
    Die riesige Abfüllanlage von Rotkäppchen schafft 26.000 Flaschen pro Stunde. © picture alliance / Hendrik Schmi | dpa Picture-Alliance / Hendrik Schmidt

    Nach dem Zweiten Weltkrieg stand die Sektkellerei zunächst unter sowjetischer Militärverwaltung, ehe sie 1958 in Volkseigentum überging. Kloss wurde die Existenzgrundlage entzogen. Er ging in den Westen, gründete Kloss & Foerster neu. An der Unstrut blieb die enteignete Sektkellerei zurück.

    Mit Werbeanzeigen im sozialistischen Stil steigerte man die Nachfrage. Neue Produkte wie der Mocca-Sekt oder das Sekt-Pils brachten der Kellerei 1987 mit 15,3 Millionen verkauften Flaschen den höchsten Absatz. Nach der Wende brach der Markt abrupt ein. Die Ostdeutschen öffneten sich Westprodukten. In den Lagern stapelten sich die abgefüllten Flaschen. 1990 drohte der Marke das aus. Es folgte eine erneute Privatisierung der Kellerei. Fünf Jahre später ist Rotkäppchen Sekt der meistverkaufte Schaumwein in den neuen Bundesländern.

    Eine gesamtdeutsche Erfolgsgeschichte

    Für viele ist die Rotkäppchen-Geschichte seitdem eine positive Ostlegende, wie Spreewälder Gurken aus Brandenburg oder Halloren-Schokokugeln aus Halle. Laut einer Statista-Umfrage war Rotkäppchen-Sekt im vergangenen Jahr der beliebteste Sekt aller Deutschen, vor Freixenet, der mit nur rund zehn Prozent Marktanteil weit hinter Rotkäppchen liegt. Eine gesamtdeutsche Erfolgsgeschichte ist dem Unternehmen aus Freyburg damit gelungen.

    Der Weinanbau hat in Sachsen-Anhalt eine lange Tradition. Vor über 1000 Jahren entdeckten Mönche das günstige Klima und begannen, die Hänge zu kultivieren und die ersten Reben anzubauen. Heute ist die Gegend eine der nördlichsten Weinbaugebiete Deutschlands.

    Doch die Tradition ist gefährdet. Durch die Saale-Unstrut-Region soll womöglich eine neue Stromtrasse gebaut werden. Die Trasse soll Strom aus dem windreichen Sachsen-Anhalt zu den Großverbrauchern in Süddeutschland bringen. Für die Region und ihren Weinbau hätte das Folgen. Rotkäppchen-Mumm hingegen hätte keine Auswirkungen zu fürchten: Dem Unternehmen gehört kein einziger Weinberg. Weder in der heimischen Region, noch im Rest der Welt.