Berlin. Retouren werden immer teurer. Viele Online-Anbieter verzichten daher auf die Rücksendung und lassen die Waren beim Kunden.

Auf seiner Internetseite hat der Handelsverband Deutschland (HDE) in diesen Tagen eine Uhr abgebildet. Sie zählt die noch verbleibenden Stunden bis Heiligabend – die umsatzstärkste Zeit des Jahres. Direkt neben der Uhr hat der Verband eine wichtige Nachricht platziert: Während der Umsatz in den Innenstädten schwächelt, „boomt der Onlinehandel“, heißt es. 2017 seien die Umsätze der Versandhändler zu Weihnachten um zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen.

Doch was die Onlinehändler zunächst freut, schlägt nach dem Fest in Katerstimmung um – wenn die Geschenke wieder zurückgesendet werden. Die steigenden Retourquoten und damit verbundenen Kosten werden zu einem ernsthaften Problem für viele Onlinehändler.

Offenbar ist der finanzielle Druck so groß, dass viele Versandhändler mittlerweile darauf verzichten, die vom Kunden unerwünschte Ware wiederzuerhalten. Etwa der Onlinehändler Amazon: Vermehrt berichten Kunden, dass sie bei einer Retoure nicht mehr dazu aufgefordert werden, das bestellte Produkt an den Händler zurückzusenden.

Betroffen sind meist Artikel unter 20 Euro

Meist handelt es sich um Artikel unter 20 Euro. Amazon erstattet den Preis, weiter ist nichts zu tun. Der Kunde sieht lediglich die Meldung: „Erstattet – Sie müssen diesen Artikel nicht zurücksenden. Ihre Gutschrift wurde veranlasst“.

Auf Anfrage äußert sich Amazon zu der Praxis nur knapp. Mit Kundenrezensionen, Videos und Fotos stelle man sicher, dass ein Kunde sich genau über ein Produkt informieren und so eine fundierte Kaufentscheidung treffen könne, sagt ein Sprecher. „Für den Fall, dass ein Kunde dennoch ein Produkt retournieren möchte, machen wir ihm die Rücksendung so einfach wie möglich.“

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    Der Präsident des Bundesverbandes Onlinehandel beobachtet, dass mittlerweile „jeder professionelle Onlinehändler so vorgeht“. Je nach Kalkulation sei es günstiger auf den Rückerhalt der Ware zu verzichten, sagt Oliver Prothmann. „Vor allem bei kleinen, günstigen Produkten.“ Denn die Retoure bedeutet einen immensen Aufwand für die Unternehmen.

    „Nimmt man etwa ein T-Shirt, das fünf Euro kostet, dann stelle sich die Frage, ob eine Retoure nicht mehr kostet als das ganze T-Shirt wert ist“, sagt Reinhard Vocke, Partner bei der Unternehmensberatung Strategy&. Das T-Shirt müsse abgeholt und zum Lager gefahren, im Lager identifiziert und auf Mängel untersucht werden, bevor es wieder eingelagert wird, erläutert er. Unter Umständen ist die Ware beschädigt und kann ohnehin nicht mehr verkauft werden.

    Zu viele Rücksendungen schmälern den Gewinn

    Das EHI Retail Institute hat in einer Umfrage unter Onlinehändlern herausgefunden, dass im Durchschnitt für jeden zurückgesandten Artikel Kosten von rund zehn Euro anfallen. Bei manchen Händlern liegen die durchschnittlichen Rücksendungskosten sogar bei mehr als 50 Euro pro Artikel.

    Wie sehr die Retouren auf den Gewinn schlagen, hängt auch davon ab, wie hoch die Rücksendequote ist. Bücher oder Haushaltswaren werden weniger häufig zurückgesendet. Modehändler hingegen sind mit Quoten von 50 Prozent konfrontiert. Außerdem gilt: „Bei hochpreisigen Luxuswaren kann der Händler es verkraften, wenn eine Retoure auftritt“, sagt Vocke.

    Gesetzlich vorgeschrieben sind der kostenlose Versand und Retouren nicht. Dennoch entscheiden sich die meisten Onlinehändler zumindest für die kostenlose Rücksendung. Denn um im Wettbewerb zahlreicher Onlinehändler zu bestehen, müssen die Unternehmen Service bieten. Eine reibungslose Lieferung ist der entscheidende Erfolgsfaktor. Es geht um Pünktlichkeit, um Sendungsverfolgung, um die Wahl des Lieferanten. Eine Umfrage des Instituts für Handelsforschung zeigt, es gibt Kunden, die nur bestellen, wenn Versand und Rücksendung kostenfrei sind.

    Hat sich eine „Gratismentalität“ eingeschlichen?

    Die Frage ist nur, wie lange können sich die Onlinehändler das noch leisten? Verbandschef Prothmann warnt: „Eine weitere Steigerung der Retouren kann für die Onlinehändler bedrohlich werden.“ Von einer „Gratismentalität“, die sich unter Verbrauchern verbreitet habe, spricht Vocke. „Onlinehändler müssen sich von dem Gedanken verabschieden, dass sie dem Kunden jedes logistische Abenteuer bieten müssen ohne dabei auf wirtschaftliche Machbarkeit zu schauen.“

    Die Händler arbeiten daran, die Quote möglichst gering zu halten. Eine Möglichkeit ist, das Produkt möglichst genau auf der Webseite abzubilden. Dass die Kunden die Ware behalten dürfen, kann nicht die Lösung des Problems sein, darin ist sich die Branche einig. Schon allein, weil sie Missbrauch fördert – wenngleich die Händler in der Lage sind, Wiederholungstäter ausfindig zu machen.

    Die Kosten für die Rücksendung könnten in Zukunft weiter steigen. Es gebe erste Anzeichen, dass die jüngere Generation offener mit Retouren umgeht als ältere Menschen, sagt Prothmann. Die Branche müsse das sehr genau beobachten.