Berlin. Immer mehr Unternehmen in Deutschland schaffen individuelle Prämien ab. Doch viele Führungskräfte wollen das so nicht akzeptieren.

Uwe Schirmer ist beim schwäbischen Autozulieferer und Haushaltsgerätehersteller Bosch der Mann, wenn es um Grundsatzfragen im Personalbereich geht. Insgesamt 389.000 Mitarbeiter arbeiten für den Stuttgarter Konzern, der darauf angewiesen ist, dass seine Beschäftigten zukunftsweisende Ideen haben. Innovation, die vor allem in Teams und Projektarbeiten entsteht. „Individuelle Boni wären da hinderlich“, sagt Schirmer. Bosch hat deshalb im vergangenen Jahr erstmals auf separate Prämien verzichtet.

Nicht nur Bosch, auch Lufthansa, Infineon, SAP, Daimler und Eon rücken mittlerweile bei der Bezahlung ihrer Führungskräfte von Bonuszahlungen, die auf persönliche Leistung hinzielen, ab. Diese würden nicht mehr dem Puls der Zeit entsprechen, so die einstimmige Begründung. Früher trug allein die individuelle Komponente mit 40 bis 50 Prozent zum Gesamtgehalt bei. Bosch hatte den Einzelbonus damals auch dann bezahlt, wenn das Geschäftsergebnis schlecht ausfiel. 2008, im Jahr der großen Autokrise, betrug die Zielerreichung über alle Führungsebenen hinweg durchschnittlich mehr als 140 Prozent. „Zudem stieg die Zahl der Kriterien, wie die individuelle Zielerreichung zu messen ist, stark an“, sagt Schirmer.

Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung

Bis zu 70 Zielerreichungskriterien – wie Produktivität, Qualität und Senkung von Beständen – mussten einbezogen werden. Nicht zuletzt gab es mitunter lange Diskussionen, ob jemand 100, 105 oder 115 Prozent der Zielvorgabe erreicht hat.Mittlerweile setzt sich bei Bosch der variable Anteil zu gleichen Teilen aus dem Gewinn des Konzerns und des jeweiligen Geschäftsbereichs zusammen. Bosch macht mittlerweile Schule. „Es passt nicht mehr in die Zeit, individuelle Leistung messen zu wollen“, teilte der Lufthansa-Konzern mit. „Wir wollen die Gruppe stärken.“ Seit diesem Jahr werden die flexiblen Gehälter für Führungskräfte zu 70 Prozent am Konzernergebnis und zu 30 Prozent am Ergebnis ihres Geschäftsfeldes bemessen.

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    Herausragende Einzelleistungen könnten dennoch immer noch belohnt werden. Das Beispiel Lufthansa passt zum Ergebnis einer gemeinsamen Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung und der Universität zu Köln. Demnach ist bei 265 befragten Führungskräften im Zeitraum von 2012 bis 2016 der Anteil der personenbezogenen Boni von 36 auf 33 Prozent zurückgegangen. Im gleichen Zeitraum stieg der Anteil des Teambonus von 17 auf 19 Prozent, der Unternehmensanteil stieg leicht von 47 auf 48 Prozent. „Besonders stark ist die Entwicklung im produzierenden Gewerbe“, sagt Mitautor Dirk Sliwka.

    Einige Branchen halten besonders an Prämien fest

    Flächendeckend ist das Ende der individuellen Vergütung aber noch nicht gekommen. Manche Großunternehmen wie Heidelberg-Cement setzen auf das traditionelle System. Auch sie begründen das Festhalten daran mit den neuen Arbeitsmethoden. „Die sich wandelnde Arbeitswelt bringt es mit sich, dass Mitarbeiter in wechselnden Projekten und in hierdurch bedingt wechselnden Teamkonstellationen, teilweise an verschiedenen Standorten und über Zeitzonen hinweg, zusammenarbeiten“, sagt ein Sprecher des Baustoffkonzerns.

    Gerade in solchen Strukturen sei der Wunsch groß, dass die eigene Leistung wahrgenommen, anerkannt und wertgeschätzt wird. Für den Unternehmenssprecher ist deshalb im Ergebnis die Honorierung von individuell erreichten Zielen ein wesentliches Element für die Mitarbeiterzufriedenheit.

    Bonifikationen spiegeln Leistungskultur wider

    Manche Experten sehen die Entwicklung kritisch. „Mitarbeiter, besonders die Topleister, drängen auf eine Differenzierung“, sagt Michael Kramarsch von der Vergütungsberatung HKP. Dem Fachmann ist bewusst, dass die Systeme in der Vergangenheit vielfach Schwächen hatten, wie etwa hohen Aufwand und komplexe Prozesse. Dass dahinter steckende Prinzip variabler Vergütung sei aber nicht schlecht. Personalexperten wie Christine Stimpel wissen, dass in einigen Branchen besonders zäh an individuellen Boni festgehalten wird. „Im Lebensmitteleinzelhandel und in der Finanzindustrie sind diese Prämien die größte Komponente des Gesamtgehalts“, sagt Stimpel.

    „Individuelle Bonifikationen sind Instrumente, die unsere Leistungskultur widerspiegeln“, teilt der Versicherungskonzern Allianz mit, der diese Prämien im Management und in vertriebsnahen Funktionen einsetzt. Michael Kramarsch von HKP weiß: „Nur rund 15 Prozent der Dax-Konzerne und nicht gelisteten Unternehmen vergleichbarer Größe und Komplexität rücken konsequent von individueller Performance bei der Bonusbemessung ab.“ Auch Bosch kann nach wie vor Prämien ausschütten: „Jeder Abteilungsleiter hat ein gewisses Budget“, sagt Schirmer. „Ob er das ausschöpft und wie, liegt in seinem Ermessen.“