Washington. Online-Händler Amazon testet ein Liefersystem, bei dem der Zusteller Zugang zur Wohnung erhält. Und zwar auch wenn keiner zu Hause ist.

In den besseren Stadtteilen Washingtons, so sagte ein entnervter Polizist bei der Aufnahme eines Schadens kürzlich dieser Zeitung, „müssen Diebe gar nicht mehr einbrechen – die Beute lagert ja fast täglich auf irgendeiner Veranda.“ Gemeint ist der Umstand, dass in den USA Post oder andere Lieferanten Pakete einfach vor der Haustür abstellen, wenn der Besteller nicht zu Hause ist. Auch so erklären sich die rund zehn Millionen Pakete, die in US-Amerika im vergangenen Jahr abhanden gekommen sind.

Amazon, der weltgrößte Online-Versandhändler, will diesem Problem von nächster Woche an in 37 Test-Städten in den Vereinigten Staaten mit einem neuen Service beikommen.

Kamera soll Paketboten überwachsen

Das Prinzip von „Amazon Key“ („Schlüssel“): Ist der Kunde außer Haus, darf der Bote des Online-Riesen die Haustür eigenständig öffnen und die Ware sicher deponieren.

Dazu soll ein rund 250 Dollar teures System installiert werden, bestehend aus einer Überwachungskamera und einem digitalen Schloss, das via Internet ferngesteuert wird.

Über einen verschlüsselten Code erhält der Bote, sofern Adresse, Lieferung und Zeitpunkt stimmig sind und der Kunde tatsächlich nicht öffnet, Zugang zur Wohnung. Der Vorgang wird auf Video festgehalten. Parallel erhält der Kunde über eine App auf dem Smartphone eine entsprechende Nachricht. Alles transparent. Fertig.

So wurde Amazon zum Welt-Konzern

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    Aggressiv werdende Haustiere dürfen nicht zu Hause sein

    So viel zur Theorie. In der Praxis aber gibt es zumindest zwei ungelöste Probleme. Erstens: Was, wenn ein Maulkorb tragender Dobermann allein hinter der Tür sitzt? Amazon bittet darum, eventuell aggressiv werdende Haustiere vor einer erwarteten Lieferung in sichererem Abstand zu halten. Zweitens: Weil das „Amazon Key“-System noch nicht kompatibel ist, müssen Haus- und Wohnungseigentümer ihre Alarmanlagen in Abwesenheit ausschalten.

    Kritiker sehen auch die technologische Brücke, mit der Amazon noch ein Stück tiefer in die Privatwelt seiner Kunden gelangen will, als ein Hindernis. Computer-Hacker, heißt es in Fachmagazinen, könnten die „Smart Locks“, die intelligenten Schlösser, knacken und sich so Zutritt zu fremdem Wohneigentum verschaffen. Amazon, das den Service vorerst nur Kunden des 99 Dollar im Jahr teuren Lieferprogramms „Prime“ anbietet, behauptet dagegen, das Verfahren sei sicher und zukunftsträchtig.

    Amazon garantiert Schadenersatz bei Schäden durch den Boden

    Einmal eingeführt und bei den Kunden als verlässlich und bequem akzeptiert, so die Denke des Konzerns, der seinen Chef Jeff Bezos gerade zum vorläufig reichsten Mann der Welt gemacht hat, kann „Key“ auch anderen Diensten Marktchancen öffnen: Handwerkern, Reinigungskräften oder Hundesittern.

    Amazon, das versprach der zuständige Vize-Präsident Charlie Tritscher in einem Interview, garantiere Schadenersatz, sollte der Bote in der Wohnung die teure Vase im Flur umstoßen oder eine herumliegende Brieftasche mitgehen lassen.

    Ähnliches Modell in den USA beim Marktführer Walmart

    Das Milliarden-Unternehmen mit Sitz in Seattle will sich mit seinem „Key“-Projekt nach eigenen Angaben auf einen „weiter rapide wachsenden Online-Handel einstellen“. Dabei werde die Frage der „letzten Meile“, der möglichst unkomplizierte Transport der bestellten Ware zum Kunden, immer wichtiger.

    Und Amazon ist nicht der einzige Konzern, der völlig neue Lieferkonzepte testen will. Vor vier Wochen hat bereits der Einzelhandels-Marktführer in den USA Walmart ein ähnliches Liefermodell angekündigt. Auch bei Walmart sollen in Zukunft intelligente Kameras und Schlösser im Verbund eingesetzt werden.