München. Vom Organ bis zur Turbine: Die Geräte arbeiten inzwischen so präzise, dass sie Industrieproduktion und Medizintechnik umwälzen können.

Ein Lichtblitz zuckt hastig über eine graue, pulvrige Oberfläche. In Sekundenschnelle zeichnet der Laserstrahl Schicht für Schicht kleine Gehäuseteile nach. Leises Surren, und immer wieder dröhnen Staubsauger.

Acht schrankgroße 3D-Drucker stehen in diesem Raum von MTU Aero Engines, jeder mehr als eine halbe Million Euro wert. Einer davon, er trägt die Nummer 429 365, wird in etwas weniger als 40 Stunden 16 neue Boroskopaugen ausspucken – Bauteile zur Wartung von Flugzeug-Triebwerken. Im Münchener Stadtteil Allach findet täglich eine technische Revolution statt.

Drucker können Titan ebenso wie menschliches Knorpelgewebe verarbeiten

Zahnkronen, Kniegelenke, Formel-1-Wagen, Flugzeugteile: 3D-Druck schickt sich an, mit maßgefertigten Produkten ganze Industriezweige auf den Kopf zu stellen. Die Berater von McKinsey sagen der Branche ein Potenzial von bis zu 550 Milliarden Dollar (rund 470 Milliarden Euro) bis 2025 voraus. Denn die neue Technologie produziert schneller, präziser, nachhaltiger.

Anstatt aus dem Block zu fräsen, wird Schicht für Schicht gedruckt. Ein Reservoire spuckt das Pulver aus, ein 1500 Grad heißer Laser bringt das Gemisch zum Schmelzen. 3D-Drucker können nicht nur von Titan bis zu menschlichem Knorpelgewebe alle möglichen Materialien verarbeiten. Sie stellen auch funktionsfähige Komponenten her: komplexe mechanische Gelenke, Batterien, Transistoren.

Die Branchenriesen sitzen in München

München gilt in der Branche als optimaler Standort. Viele große Unternehmen, die sich im 3D-Druck ausprobieren, haben dort einen Standort: BMW, Lufthansa, MTU, Siemens. Anfang Oktober hat der Schweizer Technologiekonzern Oerlikon in Feldkirchen, im Osten Münchens, ein Technologiezen­trum eröffnet. Schwerpunkte: Grundlagenforschung und konkrete 3D-Projektplanung. Eben erst vergab die bayerische Regierung drei Milliarden Euro für den Bereich der Digitalisierung.

Jürgen Kraus geht durch den MTU-Produktionsraum, vorbei an Glaskästen mit Ausstellungsstücken und gedruckten Bauteilen, die wie Brötchen auf dem Backblech liegen. „Wir können hier Komponenten für mehr als 2000 Triebwerksmodule drucken“, sagt er.

Der 52-Jährige hat einen glatt gebürsteten Lebenslauf: In Erlangen studierte er zunächst Fertigungstechnik, promovierte danach in Lasermaterialbearbeitung und leitet nach Jahren in der Konstruktion und Entwicklung jetzt die Additive Fertigung am Münchener MTU-Standort.

Der erste Airbus A320 mit gedruckten Teilen hob 2016 ab

Seit 2013 produziert das Unternehmen Boroskopaugen in Allach in Serie. Anfang 2016 wurden die ersten Airbus A320neo mit Turbinen, in denen gedruckte Teile eingebaut sind, an die Kunden ausgeliefert. Die Boroskopaugen werden am Turbinengehäuse angebracht. Immer dann, wenn die Turbine gewartet werden muss, wird durch das Auge ein Endoskop geführt, mit dem der Techniker – wie bei einer Magenspiegelung – die Schaufeln der Turbine auf Mängel überprüft.

„Revolutionäres Potenzial? Ich sehe es im Leichtbau“, sagt Kraus. Wenn die Technologie erst einmal so weit ist, dass extrem leichte 3D-gedruckte Teile in Flugzeugen verbaut werden können, könnte so beispielsweise enorm Kraftstoff eingespart werden. „Dann können wir auch von einer Energie-Revolution sprechen“, sagt der Ingenieur.

Ressourcenschonung, Nachhaltigkeit, Umweltfreundlichkeit – die Liste der Vorteile von dreidimensionalem Druck ist lang. Während beim Fräsen von Metallteilen bis zu 90 Prozent des Materials in den Abfall wandern, sind es bei gedruckten Bauteilen, etwa aus Stahl, selten mehr als zehn Prozent.

Pulver, das beim Drucken übrig bleibt, wird gefiltert wieder in den Kreislauf eingespeist. Bis zu zehnmal lässt sich die Ressource so wiederverwenden. „Schon jetzt unschlagbar“, sagt Kraus, „und das, obwohl wir doch noch in den Kinderschuhen stecken.“

Experten besprechen Potenzial der Technik bei Konferenz

Rund 20 Kilometer südlich von MTU entfernt, auf dem Campus der TU München, besprechen Experten die Folgen und das Potenzial der Technik. Oerlikon, führend bei Werkzeugbeschichtung und Antriebstechnologie, hat Vertreter der wichtigsten Unternehmen für 3D-Druck zur ersten Münchener Technologie-Konferenz eingeladen. Die rund 650 Gäste aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft kommen aus aller Welt. Etwa EOS, einer der größten Hersteller von 3D-Druckern, der Industriegaskonzern Linde und auch MTU.

„Wir sprechen hier nicht von Revolution im Sinne einer Weltveränderung“, sagt Roland Fischer, Geschäftsführer von Oerlikon. Vielmehr gehe es um Abläufe in der Produktion, die sich dadurch radikal verändern würden. „Die werden aber auch die Welt verändern.“

Lagerbestand schmal halten und Transportkosten sparen

Die Branche könnte so die derzeit globale Arbeitsteilung der Wirtschaftswelt auf den Kopf stellen. Denn wer will noch in Fernost produzieren, wenn sich jedes beliebige Teil massenhaft überall auf der Welt herstellen lässt? „Wozu in Zukunft auf Ersatzteile warten, oder diese einlagern, wenn man sie bei Bedarf auch einfach vor Ort drucken kann?“, fragt Fischer. Unternehmen könnten ihren Lagerbestand schmal halten und Kosten für den Transport sparen. Statt Teilen müssten nur Rohmaterial, Designs und Datensätze um den Globus reisen.

3D-Druck verändert nicht nur die Industrie, sondern auch die Medizin. „Ich habe mir Mühe gegeben, unblutige Bilder zu finden, denn ich wollte unbedingt zeigen, wie ein operiertes Knie mit Gelenk aus dem Drucker aussieht“, sagt Erich Rembeck, Facharzt für Orthopädie und Sportmedizin. Hunderte Kniegelenke, Implantate, Kronen oder Brücken können in wenigen Stunden individualisiert gedruckt werden, mit einer höheren Genauigkeit als durch Handarbeit.

Selbst lebende Zellstoffe können verdruckt werden. Im vergangenen Jahr gelang es einem Team der Wake-Forest-Universität in North Carolina eine funktionsfähige Niere mit einem 3D-Drucker herzustellen. 14 Jahre haben die Wissenschaftler dafür an einem speziellen Drucker gearbeitet.

Spezielle Drucker stellen funktionsfähige Organe her

Das gedruckte Gewebe kann, in den Körper eingepflanzt, Blutgefäße bilden, die die Versorgung des Organs mit Nährstoffen sicherstellen. Solche Transplantate könnten künftig Patienten helfen, die lange auf eine Organspende warten müssten. Bis dahin wird noch etwas Zeit vergehen, die Entwicklung verläuft aber rasant.

Forscher der Northwestern University in Chicago haben im Mai 2017 Versuchsmäusen funktionsfähige Eierstöcke eingepflanzt, die aus dem Drucker kamen. Nach der Transplantation entwickelten die weiblichen Tiere ohne weitere Behandlung Eizellen, die auf natürliche Weise befruchtet wurden.

Auch der Nachwuchs sei fruchtbar gewesen, schreibt das Team um Teresa Woodruff und Ramille Shah im Fachblatt „Nature Communications“. Die Medizinerinnen sprechen davon, dass mit einem solchen Ansatz künftig die Fruchtbarkeit von Frauen etwa nach einer Chemotherapie erhalten oder wiederhergestellt werden könnte. Die Revolution aus dem Drucker schreitet voran.